Es gibt erstaunlich wenig Dinge, worauf man sich als Erwachsener noch freuen kann. Zu der revolutionären Erkenntnis komme ich mindestens einmal im Jahr, spätestens in dem Moment, wenn ich die immer mehr werdenden Kerzen auf meiner Geburtstagstorte auspuste.
Anfang des Jahres erklärte mir Deine Lakaien-Mastermind Ernst Horn in einem Telefoninterview, dass die Band für den Sommer 2005 eine besondere Überraschung für die Fans plane. Die Idee dazu käme von EMI, der neuen Plattenfirma des Duos. Die Fans, die sich im Februar die Over and Done-Maxi, Vorbote des neuen Albums „April Skies“ kaufen, haben die Möglichkeit, sich im Netz in eine besondere Liste einzutragen. Die ersten 2000 erhalten dann per Mail ihre persönliche Einladung zum „Konzert das es so nie gab", wo die Band ausschließlich und in solcher Art wohl einmalig ihre Lieder aus der Anfangsperiode von Deine Lakaien mit Originalinstrumentarium zum Besten geben wird. Das ganze, wie gesagt, völlig kostenlos als kleines Dankeschön für alle treuen Anhänger, die dem Duo auf seinem musikalischen Weg bereits seit zwei Dekaden folgen. Einzige Vorausetzung: die Fans sollen die aus dem Netz heruntergeladene und ausgedruckte persönliche Einladung, das Singlecover und ihren Personalausweis beim Einlass vorzeigen.
Das Jahr fing für mich soeben gut an ….
Am Tag der Singleveröffentlichung trug ich mich auf der angegebenen Internetseite mit Namen und Mailadresse ein.
Die Monate vergingen und es passierte … nicht sonderlich viel. In den seltenen Rundmails gab man an, dass es Probleme mit dem Finden einer passenden Location für das Konzert gäbe, später hieß es sogar, die Firma, die sich um das Organisatorische kümmern sollte, hätte Konkurs angemeldet. Auch EMI, so könnte man zumindest zwischen den Zeilen lesen, schien an ihrer eigenen Idee plötzlich nicht weiter interessiert zu sein. „The Concert that Never Happened Before“ drohte immer mehr zu einem „The Concert that Never Happened“ zu mutieren. Doch wie heißt es so schön: „erstens kommt es anders und zweitens als man denkt". Ab da klingt die Geschichte des „Konzerts, das es so nie gab“ fast wie ein modernes Märchen.
Zusammen mit Chrom Records, der ehemaligen Plattenfirma des Duos und etlichen freiwilligen Helfern übernahm die Band kurzerhand persönlich die anstehenden Aufgaben. Das ganze geschah ausschließlich auf Volontärbasis. Der Szene-DJ Kai Hawaii gewährte letztendlich der Veranstaltung Unterschlupf auf seiner Dark-Wave-Party, die regelmäßig im Hannoveranischen Capitol stattfindet. Und als das i-Tüpfelchen kamen die Clubbetreiber den Organisatoren mit verbilligter Saalmiete entgegen. Als im Juli endlich die Links mit den zum Download der Einladungen benötigten Passwörtern verschickt wurden, konnten alle Beteiligten endlich mal aufatmen.
Denn ein ganz besonderer Abend stand uns allen bevor. Dessen war ich mir ganz sicher, als ich an einem verregneten Freitagnachmittag in das nur 100 km von meiner Zwangsheimat Bielefeld entfernte Hannover im Schneckentempo über die A2 fuhr. „Nur“ klingt vielleicht an dieser Stelle etwas seltsam, aber die Mehrheit der Lakaien-Anhänger hat um einiges beschwerlichere und längere Wege auf sich genommen, um am 12. August im Capitol dabei sein zu können.
Die Ticketausgabe vor dem Club verlief erstaunlich schnell und reibungslos, trotz des etwas komplizierten Prozederes. Als aber plötzlich auf der Strasse ein Polizeiauto mit Schwung anhielt und ein Ordnungshüter heraussprang, dürften die Veranstalter, die an der Kasse saßen, wahrscheinlich kurz geschluckt haben. Der Rest der Versammelten guckte zumindest interessiert zu. Wie sich schnell herausstellte, wollte der Polizist allerdings keine Genehmigung für die Veranstaltung oder dergleichen sehen, was durchaus denkbar gewesen wäre, da sich vor der Lokalität zu dem Zeitpunkt bereits größere schwarzangezogene Menschenmassen tummelten, sondern: ebenfalls die im Internet vorbestellte kostenlose Karte abholen! Ja, der Lakaienkult macht nachweislich vor keiner Berufsgruppe halt.
Kurz nach 21 Uhr durften die im Nieselregen geduldig wartenden Fans endlich in das Capitol reinmarschieren. Innen ähnelte die Atmosphäre eher einem entspannten Familientreffen als einem Gruftkonzert.
Als um 22:30 die Lichter erlöschen und der Vorhang aufgeht, kommt auf der linken Bühnenseite zuerst ein U-förmiger Turm aus Computern, Keyboards und einem antik anmutenden Tonbandgerät zum Vorschein. Dass es sich dabei tatsächlich um das museumsreife Originalinstrumentarium aus den 80ern handelt, wird sich an dem Abend einige Male unverhofft zeigen.
Der studierte klassische Musiker Ernst Horn, dessen Haarschopf anscheinend seit der „April Skies"-Frühjahrstour keine Schere gesehen hat, was vielleicht als kleines Tribut an die 80er verstanden werden sollte, macht leider seine im Interview geäußerten Drohungen bezüglich des Konzerts nicht wahr. So platziert er sich nicht wie zuvor angekündigt „breitbeinig mit dem Gesicht zum Publikum", wie es seine Kollegen vor 20 Jahren taten, sondern verschanzt sich sofort, wie üblich, hinter seinen Tasteninstrumenten und den alten Ataris, Commodores und wie die Dinger alle heißen. Auch meine stille Hoffnung, den Sänger Alexander Veljanov mit derselben fulminanten New-Wave-Amokfrisur zu erleben, die mich auf einem der ersten Promofotos des Duos seit Jahren immer wieder zum Schmunzeln bringt, wird zunichte gemacht. Irgendwie schade, doch meine Enttäuschung hält sich natürlich in Grenzen.
Deine Lakaien waren nie für die visuelle Umsetzung ihre Musik auf der Bühne bekannt und beweisen bis heute bei jedem Liveauftritt äußerst eindrucksvoll, dass es auch wunderbar ohne aufwendige Videoprojektionen, Feuerwerk und spektakuläre Lightshows geht. Auch der Abend im Capitol bildet da keine Ausnahme: die Keyboards als die perfekte Untermalung für die unvergleichliche Stimme von Alexander Veljanov, eine fast bieder wirkende Beleuchtung – kurzum ein purer Zen, aber wirkungsvoll und beeindruckend zugleich!
Das erste Lied des Abends heißt „Nobody`s wounded“ und stammt aus dem 1986er selbstbetitelten Debüt des Duos. Das nächste, „Colour-ize“ war der Opener auf dem Erstlingswerk und wurde vor 19 Jahren zum ersten großen Szenehit der Band. Auf derselben Platte ebenfalls zu finden „Love will never die“ und „Fashion, Passion and Pigaches", ein Lied, von den ich niemals gehofft habe, es je live hören zu dürfen! Nicht umsonst heißt die Veranstaltung „Das Konzert, das es so nie gab".
Deine Lakaien (Fotos: Steven Riou)
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Das Songrepertoire besteht erwartungsgemäß aus einer Auswahl aus den ersten drei Werken des Duos – dem 1986er First Album, dem 1987er „Silver Tape“ und dem 1991er Meilenstein der Dark-Wave-Szene namens „Dark Star". Das chronologisch zweite wurde übrigens erst 2003 unter den Namen „The lost early works“ auf mehrfachen Wunsch der Fans als Rarität herausgebracht. Sie alle sind auch richtig angetan, die sich darauf befindenden Stücke wie „Battle of the ghosts", „The Pope“ (mit der Ansage „für unseren Bayern in Rom …") und die letzte geplante Zugabe „On the way to Narmada“ zum ersten und hoffentlich nicht zum letzten Mal endlich live zu erleben.
Die von Ernst Horn persönlich für den Abend liebevoll wieder in Schuss gebrachte altertümliche Technik streikt ein wenig, doch das scheint keinen wirklich zu stören, weder das Publikum, noch die beiden Hauptakteure. Ganz im Gegenteil, der älteste Lakaien-Fan kann sich vermutlich an kein Konzert seiner Lieblingsband erinnern, auf dem der Wahlberliner Veljanov so aufgelöst und geschwätzig mit dem völlig entzückten Publikum plauderte. Grufties, die in den Keller heruntersteigen, um dort zu schmunzeln? Von wegen, heute Abend können sich die etwa 1500 Versammelten vor Lachen kaum einkriegen, leider sind nicht alle Ansagen des charismatischen Sängers, zumindest dort wo ich stehe – ganz vorn, aber etwas seitlich - zu verstehen. Auf der Bühne passieren derweil kleine Patzer, die bei weitem kein Gang und Gäbe auf den sonst so perfekten „regulären“ Konzerten des Duos sind. Der Sänger vergisst sogar plötzlich sein kabelloses Mikrophon in der Ecke, die Zuschauer toben fast vor Freude über die Comedyeinlagen des Herrn Veljanov. Der scheint heute verdächtig gut drauf zu sein, so gut, dass sich einige fragen, was wohl in der als harmloses Mineralwasser getarnten Flasche in Wirklichkeit drin sein mag ….
Das Zusammenspiel zwischen Publikum und Band erinnert ein wenig an Depeche Mode-Konzerte. Das ist auch irgendwie neu, denn Deine Lakaien-Anhänger sind eher für ihre Reserviertheit bekannt. Andächtig lauschen sie still der Musik, natürlich applaudieren sie nach jedem Lied heftig, aber lassen üblicherweise keine Partyatmosphäre aufkommen. Doch dieser Abend ist etwas besonderes. Spätestens zu „Reincarnation“ wird ganz laut mitgesungen, obwohl das Wort „mitgebrüllt“ passender wäre.
Die Lieder aus der Anfangsperiode unterscheiden sich ein wenig von den absolut perfekten aktuellen Produktionen des Duos. De gustibus non est disputandum, zumindest ich muss ehrlich zugeben, dass mir persönlich die alten, „rohen", unruhigen, emotionsgeladenen Stücke um einiges besser gefallen, als die fast zu sehr für meinem Geschmack „aufpolierten“ neuen Werke der Band. Umso mehr bin ich deswegen froh, am heutigen Abend hier sein zu dürfen.
Fast zwei Stunden sind vergangen. Dem Duo gehen allem Anschein die vorbereiteten Zugaben aus. Eine kleine Diskussion zwischen den beiden Hauptakteuren ist im vollen Gange. „Was zur Hölle sollen wir noch spielen?“ scheinen sich Ernst Horn und Alexander Veljanov zu fragen. „OK, aber bitte nur die konstruktiven Vorschläge und nicht uuaahhhh!!!“ schmunzelt letztendlich der Sänger ins Mikro. Das allerletzte Stück des Abends heißt „Return". Es ist das einzige der neueren Lakaien-Lieder. 1999 wurde es zu einem richtigen Hit, schaffte es, in der Rotation diverser Musiksender zu landen und fand sogar Platz auf dem „Bravo Hits"-Sampler. Das dazugehörige Album namens „Kasmodiah“ bleibt bis heute mit Platz vier in den MediaControlCharts das kommerziell erfolgreichste der Band. Welch ein wunderschöner Ausklang für „The Concert that Never Happened Before". Der zauberhafte Abend endet perfekt. Zu meckern gibt es …gar nichts. Alles hat wunderbar geklappt, die im Anschluss stattfindende Dark-Wave-Party von Kai Hawaii platzt aus allen Nähten.
Überglücklich steuern wir mit meiner kleinen Fahrgemeinschaft in Richtung unserer Ostwestfälisch-Lippischen Heimat. Obwohl, einen Vorschlag für die Organisatoren hätten wir doch …. Same time, same place in, sagen wir, fünf Jahren? Ein Vierteljahrhundert Deine Lakaien wäre ein perfekter Anlass für „The Concert that Never Happened Before Pt 2".
Das Konzert wurde übrigens gefilmt und es bleibt zu hoffen, dass das Bild- und Tondokument des Abends von 12. August 2005 bald käuflich zu erwerben sein wird.