John Peel kannte die Regeln seines Geschäfts und hat sie mit Vergnügen gebrochen. 1993 hatte die BBC ihren legendären DJ anstelle der üblichen Nachtschicht im Mittagsprogramm plaziert und vorsorglich instruiert: „Natürlich wollen wir auf dein Programm keinen Einfluss nehmen. Aber denke bitte daran, dass Du diesmal ein anderes Publikum hast. Und – wir haben eine tägliche Titelliste abzuarbeiten. Vergiss das bitte nicht.“ Peels Antwort war deutlich und unüberhörbar. Am hellichten Tag eröffnete er seine Sendung mit The Falls Version von „Why Are People Grudgeful?“ Gefolgt vom Original des Reggae-Songs, einer obskuren Parodie Joe Gibbs auf Lee Perry. Anschließend Trance und Ambient und zum krönenden Abschluss Captain Beefheart. Eine Woche später fand sich Peel auf seinem gewohnten späten Sendeplatz wieder.
John Peel Foto: © Eamonn McCabe |
Ein nie nachlassendes Interesse am noch Ungehörten wie auch am Unerhörten war Peels Markenzeichen. Als er 1967 bei der BBC anheuert, hat er bereits Stoff für mehrere Leben hinter sich. In Dallas ist der gebürtige Liverpooler 1963 Zeuge der Ermordung John F. Kennedys geworden. Mehrere Jahre als Moderator in Oklahoma und Kalifornien schließen sich an. Den lokalen Behörden werden seine Sendungen zu subversiv und Peel entscheidet sich zum Rückflug. Ein Piratensender vor der Küste Londons ist seine nächste Station. Die einzige Konstante seiner Sendungen sind schon da das Experiment und die Überraschung. Jimi Hendrix, David Bowie und Pink Floyd werden zu frühen Schützlingen des Mannes, dem seine Arbeit weit mehr war als ein gut bezahlter Job: „Die BBC hat es mir ermöglicht, als eine Art Patron der Künste zu wirken, wie es sie im 17. oder 18. Jahrhundert gab. Mit dem großen Unterschied, dass ich nicht so viel eigenes Geld dafür ausgeben muss wie die.“
Dass The Fall neben den nordirischen Undertones seine Lieblingsband waren, erscheint im Rückblick geradezu als zwangsläufig. Voraussehbar – ein Wort, das Peel eher selten benutzt haben dürfte – ist es Ende der Siebziger noch nicht gewesen. Im Mai 1978 begibt sich John Walters, 2001 verstorbener langjähriger Produzent Peels, nach Croydon. Auf der Bühne des Foxes At The Greyhound sollen an diesem Abend Siouxsie & The Banshees, Peels Gäste vor wenigen Monaten, stehen. Walters Interesse gilt aber weniger den Stars des Abends, sondern der aus Manchester angereisten Vorband. Nach einem Roman von Albert Camus haben sie sich benannt. Allein schon ihre Songtitel sprechen für sich: „Psycho Mafia", „Industrial Estate", „Hey Fascist“ und „Rebellious Jukebox". Walters ist gebannt und bietet The Fall einen der begehrten Auftritte in Peels Programm an. Drei Wochen später betreten Mark E. Smith, Martin Bramah, Yvonne Pawlett, Karl Burns und Steve Davis die Maida Vale-Studios der BBC und nehmen ihre erste Peel-Session auf. 23 weitere sollen in den kommenden 25 Jahren folgen.
Peel, wie The Fall ein Kind des „Black Belt", des rauhen Kohle- und Industriegürtels Nordenglands, erkennt das nonkonformistische Potential der Band und unterstützt sie nach Kräften. The Fall werden Rekordhalter in Peels Sendungen. So kompromißlos sie auch ihren eigenen Weg gehen, so dokumentieren sie parallel den verästelten Musikgeschmack ihres Förderers. „The Complete Peel Sessions 1978 – 2004“ macht die Facetten von Peels Horizont, gespiegelt von The Fall, hörbar. Streng chronologisch geordnet, beginnt die Sammlung mit Songs im Geiste der Punk-Revolte und endet mit der Garage-Psychedelia des jüngsten Albums „Fall Heads Roll". Dazwischen Post-Punk, Wave, Rockabilly, Reggae, Elektronica und Breakbeats. Neben Versionen bereits von den Alben bekannter Songs steht Ungesendetes und finden sich Raritäten. So eine zusammenhängende Version des Klassikers „Winter“ von 1981, in der Smith als kühler, aber nicht teilnahmsloser Städtebewohner überzeugt: „I just looked round/And my youth it was sold". „Eat Y’self Fitter", anderthalb Jahre später aufgenommen, ist von einer Intensität, die selbst Peel ängstigte. Und wer The Fall für schwierig hält, wird von den Sessions der Jahre 1985 bis 1991 überrascht sein. Wenn Pop intelligent sein kann, dann ist hier der Beweis. „Free Range", bitterer Kommentar zum Ende des Ostblocks und zu den Jugoslawienkriegen, ist in einer Fassung zu hören, deren Direktheit jeglichen weiteren Kommentar überflüssig macht. Coverversionen von Lee Perry, Lee Hazlewood, Captain Beefheart und The Saints runden die tour de force ab. Sie klingt aus mit „Job Search“ - Geschenk der Band an ihren Mentor und gesendet am 31. August 2004 zu Peels 65. Geburtstag. Es sollte sein letzter sein. John Peel ist vor einem Jahr, am 25. Oktober 2004, während eines Arbeitsurlaubs in Peru einem Herzinfarkt erlegen. Seine seit langem geplante Autobiographie konnte er nicht mehr selbst vollenden. Eines der Hauptkapitel jedoch liegt hier mit 6 CDs vor. Normalerweise wird niemand ein Box-Set von 97 Songs als Einstieg in das Werk einer Band empfehlen. An dieser Stelle sei es getan. Diese 24 Sessions sind Peels Denkmal. Eines, dem man sich nicht in stummer Ehrfurcht, sondern mit Freude und Dankbarkeit nähern kann. Sie sind die Essenz dessen, was The Fall ausmacht und was Peel an ihnen faszinierte. Als „always different, always the same“ hat er einmal Smith und seine Mitstreiter charakterisiert. Und sich damit indirekt selber beschrieben.