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Oktober 2005
Christina Mohr
für satt.org


Goldfrapp:
Supernature

Mute 2005

Goldfrapp: Supernature

Goldfrapp
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Goldfrapp: Supernature

Von Ride A White Swan zu Ride A White Horse

Supernature ist ein Traum von einer Platte – sexy, glamourös (obwohl Alison Goldfrapp und Will Gregory standhaft behaupten, total unglamourös zu sein; aber das ist wohl echt britisches Understatement), schillernd, tanzbar und voller eingängiger Hits. Sogar das Andreas Dorau’sche Gebot, ein nervendes Stück auf der Platte zu haben, damit die übrigen umso strahlender hervortreten, beherzigen Goldfrapp: You Never Know geht mir ein klein wenig auf den Keks, aber hatten nicht auch schon die Beatles immer Songs wie Ob-la-di-ob-la-da auf ihren Meisterwerken? Aber es ist völlig unangemessen, zuallererst das einzige etwas abfallende Stück zu erwähnen, wo doch die zehn anderen wahre Perlen oder besser Diamonds sind und Supernature schon jetzt einen sicheren Platz in meinen Jahrescharts 2005 hat (falls das jemand interessiert).



Goldfrapp
Goldfrapp
Foto: Mute

Schon der Opener und erste Singleauskopplung Ooh La La geht ohne Umwege in Ohren, Beine und Keimdrüsen; frech und souverän werden hier die charakteristische T.-Rex-Gitarre zitiert (nicht zum einzigen Mal), ein tiefpumpender Baß und Alisons lässig-laszive Stimme erlauben keine Gegenwehr. Augenzwinkernd gibt Mrs. Goldfrapp hier die Hyper-Kylie, über jeden Discomaus-Verdacht erhaben. Viel mehr ist sie die Diva, die sie immer sein wollte: So schweigt sie sich zum Beispiel beharrlich über ihr Alter aus. Aber wen interessiert das schon, Hauptsache, sie ist fit genug, um noch viele Platten zu machen.

Auf Ride A White Horse geht es – klar – um Sex, aber auch um Goldfrapps Naturverbundenheit. Tiere kommen in ihren Texten immer wieder vor, Alison läßt sich im Pfauenkostüm fotografieren und schlägt so die Brücke zwischen der Studio-54-haften Künstlichkeit und der gleichzeitig sehr erdigen und organischen Bodenständigkeit des Goldfrapp-Sounds. Fly Me Away ist ein hymnischer Pophit, wie geschaffen fürs Radiohören beim Autofahren (in einem offenen Coupé, versteht sich), very uplifting. Auf Koko schleichen sich Reminiszenzen an Gary Numans Cars ein, Satin Chic (welch‘ passender Songtitel!) geht einerseits wiederum als Verbeugung an T. Rex durch, bekommt aber durch den beherzten Einsatz eines Honky-Tonk-Klaviers eine Cabaret-hafte zweite Ebene, überdreht und in Sektlaune singt man mit „ne na na na na na na, he's my man, yeh he's my man". Gechillt werden darf auch mal, bei Let It Take You und Time Out From The World darf die hartgesottene Dancing Queen mal die Beine hochlegen und entspannen. Dringend empfohlen sei an dieser Stelle der Einsatz von Kopfhörern: Goldfrapp sind verliebt in raffinierte Details und probieren alles aus, was es in einem Studio so an Schnickschnack und Firlefanz gibt. Schön dargestellt durch das Apfelbild im Innencover: außen „nur“ goldmetallic, innen buntmetallic-gestreift. Reinbeißen lohnt auf jeden Fall.

Den schönsten Song haben sich Goldfrapp für den Schluß aufgehoben: Number One vereint die Grandezza eines guten Blondie-Songs mit musikalischen Umarmungen, wie es sonst nur die Pet Shop Boys können. Und wenn Alison singt „I’m like a dog to get you“ ist das weniger als S/M- oder Iggy-Pop-Neuinterpretation zu verstehen, sondern illustriert eher die unaufgeregt-vertraute Stimmung morgens früh um fünf, wenn man nach einer durchtanzten Nacht im Club doch mit seinem bewährten longtime companion nach Hause geht und auf alle kurzen Kicks pfeift: „Sunset only Seconds / Just ripe then it's gone / Got no new intentions / Just right then it's gone / Cos you're my Number one". Sehr erwachsen und immer noch verliebt.

Goldfrapp gelingt nach Felt Mountain und Black Cherry mit Supernature sowas wie der große Wurf, die Definition ihres Glampop-Universums. Überschwenglich, verschwenderisch, cheesy und tasty.

Klangen die ersten beiden Platten noch ein wenig unentschieden, ist nun alles klar: Will Gregory und Alison Goldfrapp bedienen sich aus der großen Schatzkiste der Pop-, Glam- und Discomusic seit 1970, also seit Marc Bolan und T. Rex die Bildfläche betraten, durchstreifen mit Kennerblick die Achtziger Jahre, grüßen Verwandte und Bekannte (Erasure, Yazoo, Housemusic) und landen auf allen vier Beinen mitten im Heute. Noch dazu sind Goldfrapp intelligent, humorvoll, todschick und absolut geschmackssicher – also quält Euch nicht länger mit irgendwelchem öden Kram, Supernature reicht völlig für einen heißen Herbst.