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Dass es ihn einmal als jungen Songwriter auf die Insel verschlagen würde, ist McLennan nicht in die Wiege gelegt worden. Und doch lässt sich im Rückblick skizzieren, wie ein Erfahrungsschatz entsteht. Geboren am 12. Februar 1958 in Rockhampton, einer 50.000-Einwohner-Stadt in Queensland, erlebt das Kind McLennan einen frühen Verlust. Es ist vier Jahre alt, als der Vater stirbt. Fünf Jahre seiner Schulzeit absolviert McLennan auf einem Internat in Brisbane. Die Mutter heiratet erneut, und die Familie zieht hundert Kilometer ins Landesinnere auf eine Farm. Die frühen Prägungen der ländlichen Welt wird McLennan später immer wieder in Songs wie Bye Bye Pride reflektieren. Und doch ist es abermals die Millionenmetropole Brisbane, in die es ihn 1976 zum Studium an der University Of Queensland zieht. Das zu einer Zeit, in der dort die Zeichen auf Sturm stehen. Seit 1968 regiert in der Hauptstadt Queenslands Joh Bjelke-Petersen, Hassfigur in linken und libertären Zirkeln. Nicht ohne Grund – Staatsgewalt gegen Studenten, Gewerkschafter und Aborigines, Notstand, Überwachung und Kommunistenparanoia verdunkeln den Himmel über dem Sunny State. McCarthy in Down Under. Statt im Hörsaal findet sich McLennan bald in Polizeigewahrsam wieder. Er hatte an einer der zahlreichen Protestveranstaltungen gegen Bjelke-Petersen teilgenommen. Nicht die beste Voraussetzung für ein erfolgreiches Studium an einer Hochschule, deren akademischer Senat den politischen Hardliner im selben Jahr mit der Ehrendoktorwürde auszeichnen wollte. Zuflucht im konservativen Brisbane bieten Literatur, Musik und Kunst. Bereits als Schüler hatte McLennan geschrieben, sich für Film und den New Yorker Underground begeistert. 1977 dann die Begegnung, die aus dem Studenten einen Musiker machen sollte: Robert Forster, wie McLennan eher ein Außenstehender an der Universität, überzeugt ihn, Bass zu lernen und eine Band zu gründen. Die beiden verbringen Monate mit Proben und Songschreiben und veröffentlichen 1978 mit Lee Remick / Karen ihre erste Single als The Go-Betweens. Im Geiste der Zeit limitiert auf 500 Stück. Und doch präsentiert sich die Band schnell als Außenseiter unter Außenseitern. Wer Ende der siebziger Jahre den Rebellen geben möchte, zeigt gerne auf seine Sex Pistols-Platten. Forster und McLennan hören lieber Bob Dylan und die Monkees, wie sich ihr Studienkollege, der spätere Musikkritiker und Autor Clinton Walker, erinnert. Damit nicht genug: In der Ära der berühmten drei Akkorde benutzen sie Akustikgitarren. Anfangs noch mit improvisatorischen Charme, aber bereits sehr eigen inmitten von Punk und Post-Punk. Nick Cave: „Ihr habt stets nervöse, empfindsame Kunst gemacht.“ McLennan: „Wahrscheinlich, weil wir anfangs nicht sonderlich gut spielen konnten“. Cave: „Wir erst recht nicht.“ McLennan: „Möglich, aber ihr habt auf Lautstärke gesetzt. Uns haben die Leute regelrecht angeschrieen, wir sollten lauter spielen.“ Es dauert noch einmal drei Jahre, und auf dem Londoner Label Rough Trade erscheint Send Me A Lullabye, das Debütalbum der Go-Betweens. Mit ihm und seinen Nachfolgern Before Hollywood (1983), Spring Hill Fair (1984), Liberty Belle And The Black Diamond Express (1986), Tallulah (1987) und schließlich 16 Lovers Lane (1988) sichern sich die Go-Betweens ihren Platz in dem, was später die andere, aufregende Seite der achtziger Jahre darstellen wird. Lindy Morrisson, langjährige Drummerin, hält speziell McLennans Songs für eine ganze Geschichtsschreibung des Jahrzehnts. Trotzdem oder gerade deshalb teilt die Band das Schicksal der vielen von The Velvet Underground bis zu The Triffids, von Fans und Kritikern geliebt und dabei vom Markt gescheut zu werden. So melodisch und durchdacht die Musik der Go-Betweens ist, so intelligent sind ihre Texte. Zu intelligent. Und zu rätselhaft für das vorvergangene Jahrzehnt. Dabei sind die Rollen in der Band klar verteilt. Während Forster den schillernden Dandy gibt, verkörpert der ruhigere McLennan die geerdete Seite der Go-Betweens. Auf jeder Platte gibt es die „RF“- und die „GM“-Stücke, erst auf den späteren Alben heben sie die strikte Trennung auf: Too Much Of One Thing von der 2003 erschienenen CD Bright Yellow, Bright Orange ist nicht nur gemeinsam geschrieben, sie singen auch zusammen. Einige der schönsten Stücke der Go-Betweens stammen aus McLennans Feder. Gewiss auch einige der zauberhaftesten Popsongs überhaupt, ein Wort, das hier mit Absicht gewählt ist. So zum Beispiel Quiet Heart und Was There Anything I Could Do von 16 Lovers Lane, der Platte, nach der sich die Go-Betweens für ein Jahrzehnt trennen sollten. Um 2000, pünktlich zum neuen Jahrzehnt, mit The Friends Of Rachel Worth zurückzukehren. Unterstützt durch Sleater-Kinney-Mitglieder und von Go-Betweens-Süchtigen zwischen Australien und Island sehnsüchtig erwartet. McLennan war, wie Forster, zwischenzeitlich auf Solopfaden unterwegs. Er veröffentlichte vier Soloalben und spielte mit Steve Kilbey von The Church und Ian Haug von Powderfinger in Bands wie Jack Frost und The Far Out Corporation. Amanda Brown, bei den Go-Betweens für Violine und Klarinette zuständig, über die Arbeit ihres Bandkollegen, der ihr lange Jahre auch Partner war: "Grants Porträts von Australien sind von seiner Liebe zu zeitgenössischen amerikanischen Autoren wie Cormac McCarthy, Richard Ford und Raymond Carver genauso beeinflusst wie von Bob Dylan, Bruce Springsteen und Patti Smith. Sie haben seine Bilder des Kontinents geprägt, seine australischen Landschaften aus Nostalgie und Verlust, seine Erzählungen aus dem Vorstadtleben, und nicht zuletzt, seine wunderbaren Liebeslieder.“ Oceans Apart aus dem Vorjahr ist das letzte Geschenk, das die Go-Betweens ihrem Publikum geben konnten. Am 6. Mai ist Grant McLennan in Brisbane im Schlaf gestorben. Er wurde 48 Jahre alt. Australische Medien vermuten einen Herzinfarkt. Seine Mutter, die Schwester, seine Freundin und Kollegen werden sich an einen Musiker erinnern, der als herzlich, freundlich und humorvoll galt. Mit 25 Jahren hatte er in Dusty In Here noch einmal von seinem Vater Abschied genommen. Der Song findet sich auf Before Hollywood: „Like a ghost / A ghost of something old / It’s cold and dusty in here / It's in your hand / It sits just like a glove / The finger traces the lines of love / It's cold and dusty in here / Someone you knew / Is watching you / I’m someone you knew.“ |
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