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Nitzer Ebb: Body of Work 1984-1997
Isn't It Funny How Your Body (still) Works?
Wahrscheinlich waren Die Krupps aus Düsseldorf die erste Band, die den Begriff „Arbeit“ auf die Tanzfläche holte. Ihr Schweiß- und-Stahl-Hit von 1981 „Wahre Arbeit, wahrer Lohn“ gilt als direkter Vorläufer der Electronic Body Music, gern als „EBM“ abgekürzt. „Arbeit“ im Popkontext war neu und schuf neue Regeln: auch Spaß muß verdient werden, Tanz dient nicht der Entspannung, sondern dem Muskelaufbau. Aber auch DAF und ihr „Mussolini“ können für die Art von Musik zur Verantwortung gezogen werden, die ab Mitte der achtziger Jahre vor allem von Belgien (Front 242), aber auch von England aus ihren Siegeszug antrat. Man kommt kaum umhin, in derart militärischen Bildern zu sprechen; DAF und Die Krupps, aber auch britische Industrialacts wie Throbbing Gristle liebten Uniformen und spielten mehr oder weniger verdeckt mit faschistischen Symbolen und Begriffen. Diese Bands verbannten die üblichen Rockinstrumente aus ihren Projekten und verwendeten Synthesizer, Drummachines und Sequenzer, die Vocals wurden durch Vocoder gejagt, womit wir wieder beim Militär wären: der Vocoder wurde in den dreißiger Jahren von den US-amerikanischen Streitkräften zur Stimmverschlüsselung benutzt. Stilistisch und musikalisch schockierte der harte Maschinensound ehemalige Hippies noch mehr als Punkrock, der ja größtenteils mit „echten“ Instrumenten gemacht wurde.
Nitzer Ebb Live:
7. Juli: Wien, Arena 9. Juli: London, Islington Academy 14. Juli: Arvika, Arvika Festival (Schweden) 12. August: Hildesheim, M'era Luna Festival
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Nitzer Ebb gründeten sich 1982 in Chelmsford/Essex, die Hauptakteure Bon Harris, David Gooday und Douglas McCarthy waren damals fast noch Kinder und gaben Malaria!, DAF und Die Krupps als ihre Haupteinflüsse an. 1985 veröffentlichten sie auf ihrem eigenen Label Power of Voice die Single „Isn't it Funny how Your Body Works“. Deutlich hört man bei diesem Stück DAFs „Verschwende Deine Jugend“ als Vorbild heraus, treibender, eingängiger Synthiesound, kombiniert mit den schnell zum Erkennungsmerkmal gewordenen Brachial-Brüllvocals von McCarthy. Nach ihrer zweiten Single „Warsaw Ghetto“ wird Daniel Miller auf die Band aufmerksam und signt sie für sein Label Mute. Die erste Nitzer-Ebb-LP „That Total Age“ gehört heute unbestritten zu den Elektro-Klassikern, Tracks daraus sorgen noch immer für volle Tanzflächen. 1988 dürfen Nitzer Ebb ihre Labelkollegen Depeche Mode auf deren legendärer Tournee durch die USA begleiten, danach gelingt NE auch allein der Durchbruch. Mit verwandten Bands wie Front 242, Klinik, Laibach und Skinny Puppy formiert sich eine Szene, die sich optisch an DAF und Joy Division orientiert, also strenge Haarschnitte und einen körperbetonten, uniformen Look favorisiert. Dazu ein Zitat von Gabi Delgado: „Das war so ein Schönheitsideal. Große Füße, kleiner Kopf. Unten schwer. Gute Bodenhaftung.“(aus: Jürgen Teipel, Verschwende Deine Jugend, Suhrkamp 2001, S. 187). Musikalische Hauptbestandteile der EBM sind Synthies, Drummachines, Kommandos und Parolen als textliches Beiwerk. Obwohl sich viele EBM-Vertreter gegen die häufig geäußerten Vorwürfe wehrten, beziehungsweise sich als „unpolitisch“ bezeichneten, konnten sie den Ruch des Faschistoiden nie ganz ablegen. Die häufig sinnlosen, befehlsartigen Vocals*, das Spiel mit vieldeutigen Symbolen und Zeichen in Kombination mit dem martialischen Äußeren – all das bietet viel Raum für derartige Interpretationen. Auch Nitzer Ebb, deren Bandname keine wirkliche Bedeutung hat, das Wort sollte möglichst harrrt und deutttsch klingen (wie „Schnitzel“), blieben von derlei Verdacht nicht frei.
* Lyrics „Join in the Chant“
lies, lies, lies, lies gold, gold, gold, gold guns, guns, guns, guns fire, fire, fire gold, gold, gold, gold judge, judge, judge, judge guns, guns, guns, guns fire, fire, fire muscle and hate muscle and hate muscle, muscle, muscle, muscle lies, lies, lies, lies books, books, books, books burn, burn, burn, burn fire, fire, fire judge, judge, judge, judge gold, gold, gold, gold guns, guns, guns, guns fire, fire, fire muscle and hate muscle and hate muscle, muscle, muscle, muscle join in the chant join in the chant join in the chant join in the chant (wiederholen ab Anfang)
| Im Rückblick kann man die EBM als „Zwischengenre“ betrachten – Nachfahren früher Elektrobands und Vorläufer von Techno/Tekkno, bis hin zu Rammstein und Scooter (die große Nitzer-Ebb-Fans sein müssen, wenn man von H.P. Baxxters Gebrülle ausgeht). Nitzer Ebb trafen jedenfalls den Nerv ihrer Zeit – als Tanzmusik nicht funky sein mußte, sondern hart und straight 4-to-the-floor. Erfolgreiche Kooperationen ergaben sich für Nitzer Ebb: ihr Held Ralf Dörper (Ex-Krupps) holte die Band ins Studio, um mit ihnen zusammenzuarbeiten, ebenso Alan Wilder von Depeche Mode für sein Nebenprojekt Recoil. Ende der achtziger Jahre formieren sich Nitzer Ebb mehrfach um, 1990 veröffentlichen Harris und McCarthy als Duo das Album „Showtime“. Mit den späteren Platten „Ebbhead“ und „Big Hit“ sinkt der Stern Nitzer Ebbs. Sie veränderten ihr Erfolgsrezept, experimentierten mit konventionellen Instrumenten, heraus kam halbgarer Crossover – weder Metal noch Elektro, und tanzen konnte man erst recht nicht mehr dazu. Man trennte sich und ging seiner Wege, McCarthy zum Beispiel wurde Video-Filmer. 2002 trifft McCarthy auf den Techno-DJ Terence Fixmer und beginnt mit ihm eine Zusammenarbeit, die bis heute anhält: Fixmer/McCarthy sind als Hard-Techno-Duo unterwegs und veröffentlichen fleißig Platten (Details: www.fixmermccarthy.com).
Doch Nitzer-Ebb-Fans sind treu: konstantes Drängen von der Basis kann Bon Harris und Douglas McCarthy schließlich überzeugen, 2006 für gemeinsame Auftritte als Nitzer Ebb wieder zusammenzukommen. Obwohl es keine neuen Tracks gibt und auch kein neues Album geplant ist, gerät der Tourauftakt bei den Leipziger Wave-Gotik-Tagen triumphal (Fotos auf nitzer-ebb.com).
Bei Mute ist nun die Doppel-CD „Body of Work“ erschienen, auf CD 1 sind alle Hits und Singles zu hören, auf CD 2 finden sich viele schicke Remixe, unter anderem von William Orbit und George Clinton.
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