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Harry Rag: In erster Linie lag es daran, dass wir kein Geld haben. Wären wir reich, würden wir uns vier Wochen zusammensetzen und an einem Stück eine Platte aufnehmen können. Zu den Studiokosten kommen die Reisekosten für Freunde und Gastmusiker. -1 ist mit einem sehr geringen Budget entstanden. Anfangs haben wir zwei Tage hier, zwei Tage dort Stücke aufgenommen, erste Skizzen als CD-Files zwischen Ljubljana, Wuppertal, Solingen oder Köln verschickt. Diese Aufnahmen konnten auch nicht immer sofort bearbeitet werden, sondern erst dann, wenn die Musiker Zeit hatten. Jeder von uns muss zusätzlich Geld verdienen, um überhaupt zu überleben. Ein finanzielles Rückgrat ist bei uns leider nicht vorhanden. Dadurch und aufgrund der räumlichen Distanz zwischen Slowenien und Deutschland hat sich die Arbeit so sehr hingezogen. Ihr könnt von der Musik nicht leben? Jojo Wolter: Von der Musik – das wäre schön, aber da hätten wir wohl eine andere Zeit, einen anderen Zeitgeist. Woher kommt dann das Geld? Harry, Du arbeitest beispielsweise im Filmbereich. Harry Rag: Ja, Dokumentarfilme, Musikclips, aber alles in einem sehr kleinen Rahmen. Vor kurzem habe ich für 3sat gearbeitet. Vor zwei Jahren dann eine kurze Dokumentation über Doc Schoko und die Quarks. Sechzigminutenfilme, an denen ich circa ein Jahr arbeite, um dann mit Ach und Krach ein oder eher ein halbes Jahr davon leben zu können. Dann arbeite ich gelegentlich für meine Frau, die auch Filmemacherin ist. Es kommt aber schon vor, dass man sich Geld leihen muss. Nach zwei Jahrzehnten Arbeit an Film und Musik hat sich da nicht viel angesammelt. Eine Plus-Minus-Existenz wie auch vor zwanzig Jahren, was nicht heißt, dass ich nicht das Gefühl hätte, es könnte einmal anders werden. Vielleicht mit einer Platte, die sich besser verkauft. Letztendlich wollen wir ja schon, dass die Leute unsere Sachen hören. Was wir machen, machen wir nicht ausschließlich für uns. Sondern wir wollen unseren Kommentar, unsere Auseinandersetzung mit der Realität doch veröffentlicht wissen. Seht Ihr die Chancen dafür momentan günstiger? 1977 klingt wieder verheißungsvoll. 2004 hat sich die Ausstellung Zurück zum Beton ihr Motto von euch geborgt. Jojo Wolter: Ich denke schon, dass eine Öffnung, ein verstärktes Interesse da ist. Zum einen durch die Bands, die mittlerweile deutschsprachig unterwegs sind. Das Problem mit der eigenen Muttersprache ist keines mehr. Wobei es uns nicht so wichtig war, dass irgendwelche Zeichen günstig sind, eine solche Platte zu veröffentlichen. Wir hätten das auch getan, wenn alle nur HipHop und Soul hören würden. Punknostalgiker dürften an -1 nicht unbedingt Freude haben. Harry Rag: Das kommt drauf an. Für mich waren Phil Ochs und Tim Buckley im weitesten Sinne auch noch Punk. Wenn die Leute unter Punk nur verstehen, dass die zwanzigste Ramones-Platte wie die erste klingt, ja, dann tun sie mir auch leid. Eine Entwicklung muss schon zu hören sein. Jimi Hendrix hat sich von Platte zu Platte eklatant weiter entwickelt, wer weiß, was er heute täte. Wir haben als Band auch nicht mehr das Bedürfnis nach dem Schema Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug. Das war schon nach der ersten Platte nicht mehr gegeben. Mit der zweiten Platte hatten wir Improvisation entdeckt, als Verweigerung und grundsätzliche Haltung. Wer diese Musik spielt, verweigert sich dem Mainstream von vornherein. Dass Punk früher oder später Mainstream werden würde, war abzusehen. The Clash haben es gezeigt. Klar waren sie gut, aber es ist eine riesige Industrie daraus geworden. Das war nicht unser eigentliches Ziel. Wie hat das Punkpublikum reagiert, als ihr auf PST (1980) mit Holger Czukay von Can gearbeitet habt? Harry Rag: Die Platte hat sich genauso gut verkauft wie die erste. Wohl auch, weil sie relativ kurz nach unserem Debüt erschienen ist. Trotzdem waren viele Hörer dann doch konsterniert. Klar, hätten wir einfach ein Nachfolgealbum vorgelegt, wären wir eventuell bei der Industrie gelandet und erfolgreich geworden. Es war aber da schon klar, dass wir uns deutlich in eine andere Richtung bewegten. Live haben wir dann ja zum Teil zwanzig Minuten improvisiert, anstatt zum Tanz aufzuspielen. Die Punks waren schon frustriert, standen herum, konnten weder Pogo tanzen, noch Bier saufen und sind rausgegangen. Wir haben dann vor deutlich weniger Leuten gespielt. Was uns nicht gestört hat, da wir die Musik für uns auch als bewusstseinserweiternde Maßnahme betrachtet haben. Als das Schaffen von Erlebnissen. Die uns angetrieben haben, weiter zumachen. Harry, dein Künstlername geht auf einen Song von den Kinks zurück. Ein erster Hinweis, aber könnt ihr uns mehr über eure Biographien als Hörer verraten? Harry Rag: Bevor ich mit achtzehn und Punk als Anregung selber mit der Musik begonnen habe, hatte ich fleißig gesammelt. Ungefähr, seitdem ich zwölf Jahre alt war. Alles mögliche, aber ein paar Namen: Deep Purple als ganz wichtige Band, T. Rex, Slade. Später Jethro Tull und Yes. Das waren allerdings nicht unbedingt die Einflüsse, als es darum ging, dann eine Band zu gründen. Ganz wichtig waren uns damals noch King Crimson und Can. Und, naheliegend, die Kinks. Im Sinne kurzer, pointierter Songs, die selber kleine Geschichten erzählen. Jojo Wolter: Meine Mama hat in den Sechzigern gerne Beatles gehört. Im Radio, das damals das Medium war. Schallplatten waren eher Mangelware. Irgendwann gab es dann den Ausweis für die Jugendbücherei. Und da ist man dann hingegangen und hat sich Kassetten geborgt – für mich damals das Medium, die Musik zu entdecken. Besonders Jimi Hendrix, den ich eindeutig als Punk bezeichnen würde, und der bei mir entscheidende Dinge im Kopf geöffnet hat. Durch die Zusammenarbeit mit Holger Czukay habe ich mich später stark mit moderner Klassik, elektronischer Musik und Leuten wie Stockhausen beschäftigt. Eine Zeitlang habe ich das intensiv gehört und versucht, zu verstehen. Dabei ist es dann auch geblieben (lacht). Euer neues Album ließe sich in gewissem Sinne als Konzeptalbum betrachten, sagt der Pressetext. Wir wüssten gerne mehr. Harry Rag: Die großen Konzeptalben Frank Zappas, der Who, Kinks und Beatles hatten eine Art roten Faden, haben meist eine zusammenhängende Geschichte erzählt. Bei uns zieht sich durch das gesamte Album eine gewisse Haltung, formuliert sich eine Einstellung zur heutigen Musik. Wir reflektieren verschiedene Stile, und jeder Song steht klar für sich. Es wurde nicht als Konzeptalbum geplant und ist auch keines. Man könnte es aber … Jojo Wolter: …als solches bezeichnen. Harry Rag: Man könnte es so sehen, wenn auch nicht im klassischen Sinne. Jojo Wolter: Sagen wir so, es ist nicht als Konzeptalbum geplant gewesen, aber letztendlich vielleicht eines geworden. In dem Sinne, dass wir verstärkt Wert auf Songs in Anführungszeichen gelegt haben. Es gibt noch viel anderes Material, das hoffentlich auch bald veröffentlicht wird. Das sind dann die freieren, experimentellen Geschichten, wo wir die Songstrukturen über Bord geworfen haben. Harry Rag: Eins noch: Wir hatten das Konzept, dass die Platte irgendwann herauskommt. Das darf man auf gar keinen Fall unterbewerten, weil es in der Welt, in der wir heute leben, immer schwieriger wird, Platten zu produzieren. Erst recht, wenn man versucht, eigenständige, zum Teil schräge oder schwer fassbare Gedanken zu formulieren, und auch noch ohne große Unterstützung zwischen allen Stühlen sitzt. Irgendwann mussten wir uns sagen: Wir ziehen das jetzt jetzt durch und bringen unsere Arbeit in die Öffentlichkeit. Schwer, weil die Stücke so eng mit uns verbunden, fast ein Teil unseres Lebens sind. Viele der Songs sind sehr intim, jeder eine kleine Geburt. -1 sollte das als Titel illustrieren. Kein Schlussstrich, sondern ein Neustart vor Null. Bands, die ihre erste Platte machen, fangen bei Null an, und dann geht alles in eine Richtung. Nun haben wir bereits Platten gemacht, fühlten uns aber auch dadurch, dass Uwe Jahnke, unser wesentlicher Gitarrist, nicht dabei ist, als würden wir wieder bei Null anfangen. In dem Fall aber vor Null. Jojo Wolter: Daher der Titel. Harry Rag: Und das ist die Auflösung. Oder das Konzept (lacht). Für -1 habt ihr euch zahlreiche Gastmusiker ins Studio geholt. Fangen wir mit dem prominentesten an – Chris Eckman von den Walkabouts. Harry Rag: Ganz einfach, er hat seine Frau in Ljubljana kennengelernt und lebt jetzt da. Ich hatte zwei seiner Stücke für Hüter der Grenze, den Spielfilm meiner Frau, vorgeschlagen. Daher kannten wir uns bereits. Die Atmosphäre zwischen uns war auf Anhieb sehr freundlich, wir haben uns schnell Platten geschenkt und gemeinsam Musik gehört. Als Jojo nach Slowenien kam, habe ich Chris auch ins Studio eingeladen – und er hat Unglaubliches zu den Aufnahmen beigetragen. Wir arbeiten momentan an einer Filmmusik. Er war es auch, der Ungehörsam, unsere Best Of, stark unterstützt und die Linernotes geschrieben hat. Und er erzählt allen, wie begeistert er von unserer Musik ist, obwohl er kein Wort Deutsch versteht (lacht). Harry, Du lebst seit langem in Ljubljana. Ist der Eindruck einer kleinen, aber kreativen Hauptstadt richtig? Harry Rag: Klar, es passiert tatsächlich sehr viel. Slowenien ist eines der jüngsten Länder überhaupt, und endlich mal frei. Sie sind auch clever dort, Slowenien ist fleißig, und kann sich schnell vieles aneignen. Außerdem ist Musizieren in der slowenischen Gesellschaft fest verankert, als Hausmusik, dass man als Kind die Musikschule besucht oder später im Blechblasorchester ist. Hinter jedem Hügel gibt es ein anderes Dorf, und in jedem Dorf eine andere Band. Es wird einfach viel, viel mehr als in Deutschland gesungen und gespielt, sei es Akkordeon, Gitarre oder Klavier. Natürlich hat das auch eine negative Seite – wenn du schon mit vierzehn Noten lesen kannst und traditionell musizierst, löst du dich umso schwerer davon, bleibst schneller in diesen Strukturen. Was noch sehr schön ist in Ljubljana: Du hast die Möglichkeit, Konzerte in Wohnzimmeratmosphäre zu besuchen. Zum Beispiel hat Damo Suzuki von Can in einem kleinen Club vor circa zwanzig Leuten gespielt – undenkbar in Berlin. Noch ein Wort zu den slowenischen Musikern auf -1. Harry Rag: Ja, zuerst Andrija Pusic, in den Achtzigern Keyboarder bei Otroci Socializma. Andrija hat einen Bruder, der in Ex-, in Gesamtjugoslawien der ungekrönte Zar des Underground war und ist. Rambo Amadeus, der Frank Zappa Jugoslawiens. Rambo wohnt in Belgrad, Andrija in Ljubljana. Kümmert sich aber um die Homepage seines Bruders und hat die ersten Platten produziert. Dann Aldo Ivancic – ehemals bei Borghesia, neben Laibach eine der erfolgreichsten Bands aus Slowenien und früher auf Play It Again Sam. Bei seinem Nachfolgeprojekt Bast habe ich ihn wiederum gerne unterstützt. Wenn Du die meiste Zeit in Ljubljana bist – welches Bild bietet Deutschland aus der Distanz? Harry Rag: Ich bin gerne in Deutschland und komme hierher, so oft ich kann. In Solingen hat für mich alles begonnen, und in Berlin habe ich lange gelebt und viele meiner Freunde kennengelernt. Politisch ist es natürlich frustrierend. Zum Beispiel: Im Februar, auf der Berlinale, hat Volkswagen fünfzig rote Lupos mit Milchglasscheiben auf den Potsdamer Platz gestellt. Jedes Auto war einer berühmten Schauspielerin aus den Fünfzigern gewidmet, die man sich dann durchs Schlüsselloch anschauen konnte. Eine größere Verschwendung von Energie und Ressourcen ist schwer vorstellbar. Außerdem nimmt es fünfzig Parkplätze weg. Gut, das ist jetzt ein kleines Beispiel. Aber wenn auf der anderen Seite Kindergärten geschlossen werden und Unsummen in die berühmten Beraterverträge investiert werden – das hätte Deutschland nicht nötig. Genauso wenig, wie die Firmenverkäufe ins Ausland. Klar, auf einer kleineren Ebene passiert das auch in Slowenien. Was wir aber hier erleben, ist ein System, dass sich verselbständigt. Ich habe allerdings auch keine Hoffnung, dass sich das bald ändert. Jojo Wolter: Ich betrachte das Ganze ja nicht von außen, sondern als Beteiligter, als Betroffener, der hier leben und überleben muss. Die Tendenz ist wirklich entwürdigend und entmenschlichend. Ökonomisch und sozial. Das lässt sich alles natürlich mit dem schönen Wort Globalisierung entschuldigen, aber letzten Endes gräbt sich das Land das Wasser ab, sägt an dem Ast, auf dem es jahrzehntelang gesessen hat. Es macht mich wütend und ist einfach ungesund. Es fördert, im doppeldeutigen Sinne, den Krebs. Ein System, das sich verselbständigt, ist Krebs. Und auf der mentalen Ebene ist es das auch. Das Erschreckende ist, dass dadurch die positiven Energien, die ja eigentlich bei jedem Menschen gegeben sind, ausgebremst werden. Dass Sachzwänge, speziell finanzielle, zu Unterordnung führen. Mir fehlt in Deutschland die Revolution. Die ist dringend nötig. Revolution in Deutschland?
Harry Rag: Revolution setzt immer Frustration voraus, die offenbar noch nicht schlimm genug ist. Aber – sollen wir erst zehn Millionen Arbeitslose haben, sollen alle verschuldet sein und sich das Ganze im totalen Amok entladen? Das wollen wir auch nicht. Jojo Wolter: Das meine ich auch nicht mit Revolution. Harry Rag: Nur, bevor die Revolution erst mal in Gang kommt, fordert sie ihre Opfer. Völlig unnötig, da will ich auch nicht hin. Jojo Wolter: Revolution meine ich eher als Bild. Ich glaube auch nicht daran, dass die Deutschen kollektiv so gestrickt sind, eine klassische Revolution zu beginnen. Wir hätten noch eine Schlussfrage, die uns auf den Nägeln brennt. S.Y.P.H. – wofür steht der Name? Es gibt da verschiedene Erklärungen. Harry Rag: Am Anfang stand Syph – einfach die Abkürzung für Syphilis und generell die deutsche Bezeichnung für abstoßenden Dreck. Ein typischer Punkname. Irgendwann kam ich auf den Trichter, hinter jeden Buchstaben einen Punkt zu setzen, damit der Name immer schön groß geschrieben wird. Was aber wiederum zur Folge hatte, dass Journalisten und andere genau wissen wollten, was das denn nun heißt. Da musste ich mir was überlegen. Und jetzt finde mal ein Wort mit Ypsilon. Na ja, dachte ich mir, wenn nun ein betrunkener Ami eine Gewalttat an einer Minderheit verübt, dann muss das angeprangert werden. Und kam auf Saufender Yankee prügelt Homo. Natürlich komplett an den Haaren herbeigezogen. Jojo Wolter: Weniger konstruiert ist, was mir während meiner Zivildienstzeit eingefallen ist. Ich hatte damals viel Zeit zum Nachdenken, und als ich einmal aus dem Büroschlaf aufgewacht bin, war mir klar, dass S.Y.P.H. Save Your Pretty Hearts heißen sollte. Harry Rag: Das Cover von -1 deutet es an. Ein Herz, das wiederum gebrochen ist. Jojo Wolter: Es sind ja eigentlich auch schöne Herzen, wenn man auf die Welt kommt und unschuldig ist. Dass man sich das bewahrt, ist vielleicht die versteckte Botschaft dahinter. Harry und Jojo, herzlichen Dank für das Gespräch. |
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