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März 2007
Christina Mohr
für satt.org

The TriSonics:
Welcome to the Club


The TriSonics:
Welcome to the Club

Raucous Records 2007

The TriSonics: Welcome to the Club

Vor einigen Wochen haben wir an dieser Stelle das Jubiläumsalbum der Moulinettes, „10 Jahre verstrickt“ vorgestellt. Barbara Streidl, Bassistin der Moulinettes, ist seit einigen Jahren in einer weiteren Band aktiv, der Münchner Rockabillyband The TriSonics. Für Streidl sind die TriSonics keineswegs ein Hobby- oder Feierabendprojekt, sondern eine eigenständige Band neben den Moulinettes. The TriSonics spielen keine klassischen Rocksongs nach, sondern können aus einem umfangreichen eigenen Repertoire schöpfen – ihre aktuelle CD, „Welcome to the Club“ ist gerade bei Raucous Records erschienen. Darauf befinden sich elf neue Songs und eine sehr eigenwillige Coverversion von Blondies „Call Me“ - nicht unbedingt typisch für eine Rockabillyband. Aber „typisch“ ist an dieser Band sowieso nur wenig: Am 28.10.2006 traten die TriSonics an einem ungewöhnlichen Ort auf, nämlich in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Die 90 Gefängnisinsassen waren begeistert, es gab viel Presseresonanz. Hatte nicht vor vielen Jahren schon ein gewisser Man in Black a.k.a. Johnny Cash sein Rebelimage genutzt und gerne vor Knastbrüdern gespielt? Seine Auftritte in Folsom Prison und anderen berühmten US-Gefängnissen sind legendär, die daraus entstandenen Livealben sind bis heute Kultobjekte eines jeden Cash-Fans. Rock'n'Roll scheint bis heute ein Musikstil zu sein, der das Gefühl von Gefangenen (sei es real im Knast oder im übertragenen Sinne) auf den Punkt bringt. Für die TriSonics war es auf jeden Fall eine bereichernde Erfahrung, sie wollen weitere Gefängniskonzerte geben und eventuell – und das wäre früher oder für Johnny Cash wohl undenkbar gewesen – in einem Frauenknast spielen.

Um nochmal auf die Moulinettes zurückzukommen: diese bedienen sich stilistisch munter aus dem Sechzigerjahre-Schmuckkästchen, lieben Swing, Bossa Nova und Schlager, verorten sich durch ihre Texte aber immer voll im Heute. Einer Rock'n'Roll-Band, die stilecht mit Schmalztollen und hochgekrempelten Jeans auftritt, könnte man nun vorschnell nostalgische Rückwärtsgewandtheit vorwerfen – wie sieht das aus, Frau Streidl, als Bassistin bei den TriSonics? Zu dieser und anderen Fragen gab Barbara Streidl satt.org aufklärende Antworten:

The TriSonics
Fotos © The TriSonics
The TriSonics

CM: Zuerst die Basics: wie ist das als weibliche Kontrabassistin in einer Rock'n'Roll-Band?

BS: Haben Veranstalter, Bühnentechniker und Zuschauer begriffen, dass ich weder Groupie noch Roadie bin, sondern tatsächlich zur Band gehöre, immer sehr nett.

CM: R'nR wie Ihr ihn spielt, ist ja eher männlich dominiert - wie reagiert das Publikum? Und du?

BS: Kaum ein Konzert findet ohne Kommentare wie „Ich hab noch nie eine Frau am Kontrabass gesehen“ statt. Die Kollegen aus der Band freuen sich, denn so gibt es immer ordentliche Hotelzimmer auf Tour, da kein Veranstalter einer Frau das verlauste Backstagesofa als Übernachtungsmöglichkeit anbietet. Natürlich ist der Rock’n’Roll eine männlich dominierte Musikszene – doch 53 Jahre nach der Veröffentlichung von „That’s alright, Mama“ ist es meines Erachtens völlig okay, nicht nur über Frauen zu singen, sondern sie auch in der Band mitspielen zu lassen.

CM: Wer sucht Eure Songs aus?

BS: Alle – übrigens sind die meisten Songs, die wir spielen, selbst komponiert.

CM: R'n'R ist ja nicht gerade eine sehr zukunftsorientierte Stilrichtung - wieso macht Ihr diese Musik? Aus nostalgischen Gründen, oder weil die Musik einfach toll ist, oder weil Ihr Chuck Berry mögt?

BS: Wir sind keine Rock’n’Roll-Museumsband, die 50 Jahre alte Nummern auf Vintagegeräten spielt, mit der Haarpomade aus Elvis’ Nachlass auf dem Kopf. Unsere Musik ist sehr wohl zukunftsorientiert – neue Songs, neue Instrumente und eine Frau am Bass.

CM: Euer Gefängnis-Auftritt erinnert an Johnny Cash und seine Auftritte vor Gefangenen - wolltet Ihr in seine Fussstapfen treten?

BS: Partizipation ist ein wichtiger Grundsatz einer funktionierenden Gesellschaft. Die einen gehen Blutspenden – wir spielen im Gefängnis. Übrigens tritt der Tölzer Knabenchor dort auch auf; da denkt dann keiner an Johnny Cash.


The TriSonics live:
3.07 Hamburg, BeatClub
3.07 Hannover, Heartbreak Hotel
30. 3.07 Oberhausen, Westside Club

CM: Was ist es für ein Gefühl, vor Leuten zu spielen, die hinterher nicht raus können?

BS: Eine gute Heimfahrt wünscht man denen nicht; aber die Motivation, für gute Unterhaltung zu sorgen, ist auf einer Gefängnisbühne genauso groß wie auf einer anderen.

CM: Denkt man darüber nach, welche Straftaten die Knastis verübt haben oder ist das kein Thema?

BS: Natürlich denkt man darüber nach. In unserem Fall waren es auch noch Nicht-Verurteilte, Untersuchungshäftlinge.

CM: Habt Ihr Briefe von den Gefangenen bekommen? Oder von anderen Bands - wie sind die Reaktionen?

BS: Wir haben viele Reaktionen bekommen, sowohl von Insassen als auch von anderen Musikern. Immer noch werden wir viel darauf angesprochen, egal, wo wir hinkommen. DJs legen „Jailhouse Rock“ für uns auf, und mancher Fan ist traurig, dieses Konzert verpasst zu haben!

CM: Ist Rock'n'Roll für den heute "typischen" Knasti (gibt es den überhaupt) von Bedeutung? Oder ist da HipHop/Aggro Berlin identifikationsstiftender?

BS: Die heutigen Häftlinge sind multi-ethnisch – in Stadelheim etwa spricht man in 200 Sprachen und Dialekten. Hauptkommunikationssprache untereinander ist sicher Englisch. Der Hipness-Faktor der Musik ist vielleicht nicht so bedeutend wie der Unterhaltungswert; außerdem gibt es auch Häftlinge im Seniorenalter, die lieber Doris Dörries Lesung zuhören als einer Band.

CM: Passt Rock'n'Roll wegen des Rebel-Images besser ins Gefängnis als andere Musikstile? Könntest du dir andere Konzerte vorstellen? Ist das so ein archaisches Rock-Thema - der Outlaw und der Rock'n'Roller?

BS: Wir suchen keine Verbrüderung mit den Eingesperrten, schaffen aber gerne mit unserer Musik ein Ventil für Emotionen. Als wir unseren Song „Solitude“ spielten, in dem es um Einsamkeit geht, konnten wir starke Reaktionen bei den Häftlingen hören und sehen. Wir bemerkten, dass sie sich verstanden fühlten. Kann es eine bessere Bestätigung für eine Band geben?



» www.trisonics.de
» myspace.com/thetrisonics
» www.raucousrecords.com