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März 2007
Christina Mohr
für satt.org

Die Zimmermänner:
Fortpflanzungssupermarkt
(ZickZack/What's so Funny About)

Fortpflanzungssupermarkt

Na, das ist ja eine Ueberraschung! Eine, mit der man keinesfalls rechnen konnte, denn nicht weniger als 23 Jahre sind vergangen, seit Die Zimmermänner mit „Goethe“ ihre letzte Platte veröffentlicht haben. Doch bevor im „Fortpflanzungssupermarkt“ die Regale eingeräumt werden, muss ein kurzer Ausflug in die Geschichte erlaubt sein. Die Zimmermänner wurden 1979 gegründet: Timo Blunck und Detlef Diederichsen besuchten dieselbe Hamburger Schule und hegten denselben Wunsch, nämlich Popmusik mit deutschen Texten zu machen, eine linke Haltung auszudrücken und dabei weder wie Udo Lindenberg oder Reinhard Mey zu klingen, aber auch nicht bierdosig-punkrockig wie viele andere Bands dieser Zeit. Timos Schwester Rica kam auf den ursprünglichen Bandnamen „Ede und die Zimmermänner“, als man dann noch auf Alfred Hilsberg traf, war die Sache klar – eine erste EP für das legendäre ZickZack-Label wurde aufgenommen, 1982 folgte die LP „1001 Wege Sex zu machen, ohne daran Spass zu haben“, 1983 erschien „Zurück in der Zirkulation“. Die Zimmermänner begannen, deutsche Texte mit Ska, später mit viel Funk* zu unterfüttern, dabei entstanden Hits wie „So froh“, „Ich werde in der Sonne immer dicker“ und – unvergessen - „Erwin, das tanzende Messer“. Die Zimmermänner verbanden Leichtigkeit, Humor, Intellekt und Tanzbarkeit, was seinerzeit keineswegs üblich war und verkörperten vielleicht am ehesten, was Hilsberg meinte, als er in einem Artikel in „Sounds“ den Begriff „Neue Deutsche Welle“ erfand. Damals konnte er noch nicht ahnen, dass die „NDW“ schon bald unter den Fittichen von Dieter Thomas Heck zu einem schrill-albernen Karnevalsumzug werden sollte, dem niemand der eigentlichen Protagonisten mehr angehören wollte. Auch Die Zimmermänner nicht, 1985 hörte man auf, unter diesem Namen Musik zu machen, abgesehen von den seit 1983 in Hamburg regelmässig stattfindenden Weihnachtskonzerten. Untätig waren die Herren seitdem natürlich nicht, DD ging seinem Hobby Journalismus ernsthafter nach und begann, für namhafte Magazine zu schreiben, produzierte verschiedene Bands und gründete in den neunziger Jahren das Label Moll Tonträger. TB spielte bei Grace Kairos, ist heute ein erfolgreicher Musikproduzent und Betreiber der Werbemusik-Produktionsfirma Bluwi. Zwischen all diesen Aktivitäten fand man noch Zeit für Familiengründungen, deren Ergebnisse auf der neuen Platte zu hören sind: Timos Söhne Nicolas** und Elliot singen, Detlefs Sohn Victor pfeift bei einigen Songs.

Die Zimmermänner

Mitte der Neunziger keimte bei Blunck und Diederichsen ganz sachte der Gedanke, dass es doch schön wäre, gäbe es mal wieder ein Album der Zimmermänner. Bis die ersten Stücke konkretisiert wurden, floss viel Wasser die Elbe hinunter, schliesslich wurden bis 1999 mit der Hilfe von Christoph M. Kaiser, in einem früheren Leben Bassist der Jeremy Days, vier Songs produziert. Dann dauerte es noch ein paar Jahre und nun ist es endlich soweit: 14 Stücke bilden die Angebotspalette des „Fortpflanzungssupermarkts“, der ab jetzt geöffnet hat. Wie hören sich Die Zimmermänner heute an? Trotz aller Altersweisheit, die sie laut Hilsberg allerdings schon als junge Männer besassen, ist die Liebe zur Tanzbarkeit geblieben: „Nirwana“, „Paderborn“, „Mama Baby Joe“ und „Zuckermann“ grooven fantastisch, warten mit vielerlei technischen Spielereien auf und sind definitiv discotauglich. Songs wie „Regenschirm im Regen“ oder „Tiefs“ klingen regelrecht chansonhaft, mal düster und melancholisch, mal heiter-beschwingt.

Auf ihrer myspace-Seite geben die Zimmermänner unter anderem Schobert & Black und Ulrich Roski als Einflüsse an und verweisen damit auf das andere konstituierende Element des Zimmermänner-Universums: die einzigartigen Texte, mit leichter Hand und schwerem Kopf geschrieben. Liebeslieder gehen bei den Zimmermännern zum Beispiel so: „Wenn du schon mit mir / bis zum Basislager gehst / Warum steigen wir nicht auf den Berg? / Wenn du schon mit mir über Brahe diskutierst / Warum schmust du nie mit meinem Gehirn?“ („Warum schmust du nie mit meinem Gehirn?“)


Die Zimmermänner live:
So. 22.04.07 Bielefeld - Forum
Mo. 23.04.07 Berlin - Lido
Di. 24.04.07 Frankfurt - Mousonturm / Studio
Mi. 25.04.07 Heidelberg - Karlstorbahnhof
Do. 26.04.07 Schorndorf - Manufaktur
So. 06.05.07 Hamburg - Mandarin Casino
Mo. 07.05.07 Köln - Gebäude 9
Di. 08.05.07 München - Ampere
Mi. 09.05.07 Nürnberg - K4
Do. 10.05.07 Dresden - Groove Station tbc
Sa. 12.05.07 Leipzig - PopUp tbc

Oder sie thematisieren das Dilemma junge Frau – älterer Herr: „Du willst alles was ich will, zirka '89 / Ein flotter Spruch, für eine Weile macht sich / so was ganz gut, irgendwann kracht's / '89 warst du acht / Du bist März und ich September und dein Mai ist mein November“ („März/September“) „Ich bin ein Wurm“ erinnert durch Text und Intonation am ehesten an „früher“ und Palais Schaumburg: „Ich bin ein Wicht / ich bin eine Wurst / Wer gibt mir Wasser? / Ich habe Durst.“

Sehr catchy ist die Ode an Schauspielerin Christiane Paul, die die erste Single aus „Fortpflanzungssupermarkt“ ist. Im Text reimt sich Al-Quaida auf Romy Schneider, das soll den Zimmermännern mal jemand nachmachen.

Timos Schwester Rica singt die Kurort-Tanzballade „Letzter Tango in Bad Ems“, Rica ist nicht die einzige Kollaborateurin: neben den bereits erwähnten Söhnen sind noch Ralf Denker, Marco Dreckkötter (Ja König Ja), Niels Lorenz (Bassist bei Grace Kairos; Quarks) und Christian Kellersmann mit von der Partie und machen „Fortpflanzungssupermarkt“ zu einer lässig-runden Sache. Und man kann nur heftig beipflichten, wenn es im letzten Song der Platte heisst: „Danken wir nicht Gott / Dass wir uns trafen / Danken wir dir / Danken wir mir.“

* Die Sache mit dem Funk und deutschen Texten beschäftigte auch Palais Schaumburg – bei denen Timo Blunck Bass spielte. Doch das ist wieder eine ganz andere Geschichte, die hier zu weit führen würde
** Mit Sohn Nicolas singt Timo Blunck die neue Werbemelodie der Auskunftnummer 11 88 0, „Wer, wie, was“


Interview mit Timo Blunck

CM: Blumfeld hören auf, Rocko Schamoni macht Schluss - die Zimmermänner fangen wieder an. Warum ist gerade jetzt die Zeit reif für ein neues Zimmermänner-Album?

TB: Rocko Schamoni macht Schluss? Kann nicht sein … Im Ernst - eigentlich muss diese Frage jemand anderes beantworten - wir haben ja nicht absichtlich gewartet, um den günstigen Moment abzupassen, es ergab sich nur einfach so. Erstaunlicherweise scheint die Zeit aber reif zu sein - so viele positive Kritiken hatten wir Anfang der 80er nicht. Ich kann es mir nur mit der Tatsache erklären, dass mittlerweile in all den wichtigen medialen Entscheider-Positionen, also an den Schalthebeln des populären Geschmacks alte Zimmermänner-Fans sitzen - vor 25 Jahren waren das noch vornehmlich andere Typen, denen wir mit unserem Versuch, deutsche Popmusik zu machen, nicht geheuer waren. Wir waren ja auch Image-technisch ein Hybrid - linke Popper! Das ging gar nicht. Heute ist das so hip, das ist schon wieder überholt.

CM: Auf den Fotos im Booklet Eurer neuen Platte wirkt Ihr unglaublich entspannt, als seien Euch Texte und Musik einfach so beim Parlieren und Spazierengehen eingefallen - war das so oder täuscht der Eindruck?

TB: Bei der Fotosession war es unheimlich heiss, wir haben sehr un-entspannt geschwitzt. Aber Du hast Recht, wir sind generell eher entspannt - spazieren weniger, parlieren mehr … aber die Texte/Musik fallen/fällt uns überall und permanent ein - in allen Lebenssituationen, dagegen kann man sich gar nicht wehren. Auch in weniger entspannten Momenten, mit denen auch wir zu kämpfen haben.

CM: Wo wurden die Bilder gemacht?

TB: In Buch, nordöstlich von Berlin.

CM: Ihr wirkt so unzornig (im Gegensatz zu Peter Hein/Fehlfarben, der sich auch heute noch seine Punk-Wut bewahrt zu haben scheint)

TB: Diese ganze Punk-Rock Attitude hatten wir nie - deshalb sind wir lange noch nicht unzornig. In einigen unserer Texte passiert schon der eine oder andere Wutausbruch - wir formulieren ihn nur etwas anders.

CM: Ihr habt Euch also nie als Punk gesehen - wie würdet Ihr das Konzept der Zimmermänner bezeichnen?

TB: Die Zimmermänner sind und waren der Versuch, eigenständige deutsche Popmusik zu machen - nicht angelsächsische Musik mit deutschen Texten. Früher war das Punk und Rock, heute sind R&B und Hip Hop dazugekommen - und die deutschen Texte sind nach wie vor nachempfundene englische. Wir versuchen, nicht ein englisches oder amerikanisches Lebensgefühl zu imitieren, wir wollen nicht nur textlich, sondern auch musikalisch deutsch sein. Und da gibt es nach wie vor keine Tradition.

CM: Die Punks von damals sind heute etablierte Künstler - ist das komisch, ehemalige Bürgerschrecks wie Blixa Bargeld heutzutage als Hochkultur-Bohemien zu sehen oder einfach eine logische Entwicklung?

TB: Blixa war nie ein echter Punk - ich kenne ihn von früher, er war schon immer ein Künstler. Künstler sein heisst vor allen Dingen Talent zur Selbstinszenierung haben. Und das hat er. Es gibt aber auch so viele schlimme Alkoholiker und Drogenopfer aus der ehemaligen Punkszene - sehr anti-bohemian.

CM: Als die "NDW" albern und doof wurde, hattet Ihr damals das Gefühl, dass mit Der Plan, Palais Schaumburg, den Zimmermännern etc. etwas losgetreten wurde, was von Bands wie Hubert Kah gründlich missverstanden wurde?

TB: Missverstanden nicht ganz - vielmehr, von Geier Sturzflug bis zur Spider Murphy Gang waren die meisten NDW-Bands ja ehemalige 'normale' Rock/Pop-Bands, die meistens auch englisch gesungen haben. Als es mit uns losging, haben die Lunte gerochen, sind auf den Zug gesprungen und haben die Kohle gemacht (wenn ich weiter nachdenke, fallen mir bestimmt noch mehr bescheuerte Bilder ein) Dabei haben sie viel mehr dem Volksgeschmack entsprochen - eigentlich waren das 50er-Jahre-Schlager. Wir waren halt etwas abgehoben für den Durchschnitt. Komischerweise habe ich das Gefühl, dass die Zeit für uns jetzt viel reifer ist.

CM: Texte wie "Zurück zum Beton" verstörten vor 25 Jahren Hippies und Oekos - versteht Ihr heute Leute wie Sido?

TB: Verstehen - inhaltlich vielleicht nicht - aber als Zeitströmung absolut. Er ist so wie seine Fans und spricht bestimmt einer Ecke Deutschlands aus der Seele. Allerdings hätte er die Maske aufbehalten sollen … Verstören tut er aber weniger als S.Y.P.H. damals - heute ist es doch kaum noch möglich, jemanden zu schocken.

CM: Welche Musik mögen Eure Kinder? Thomas Meinecke zum Beispiel erzählt ja immer gern, dass er und seine Tochter die gleiche Musik hören …

Nicolas Blunck (13) - Musicals (vor allen Dingen Stephen Schwartz, seit wir mal 'Wicked' am Broadway gesehen haben - meine Söhne sind Halb-Amerikaner, Nicolas liebt die Texte) - Elliot Blunck (10) - Britpop oder Glam (vor allen Dingen Suede - er hasst Blur. Elliot ist ein Poser) Victor Diederichsen (20) HipHop (was genau, weiss ich im Moment nicht. Zur Vollständigkeit: Victor ist Halb-Portugiese - oh, was für bewegtes Leben … ). Wir hören nur teilweise die gleiche Musik - aber die Zimmermänner finden die drei super. Grüsse an Thomas Meinecke!

CM: Hört Ihr Euch junge deutsche Bands an? Sind welche dabei, die etwas wagen? (Mir gehen diese ganzen hausbackenen, "ehrlichen" Jungsrockbands wie Tomte ziemlich auf den Geist, aber das nur am Rande)

TB: Da sind wir einer Meinung - Tomte, Kante, etc. - auch nicht mein Fall. Blumfeld teilweise ja. Ansonsten gefällt mir Jens Friebe, Ja König Ja sind gut. Wagen … mmh, nicht wirklich. Ich hör mir schon das meiste an, nicht nur neue deutsche Sachen - danke Internet. Mein Geschmack ist sehr selektiv, aber ich kann nie wirklich verallgemeinern. Es gibt immer wieder Songs, die mir aus der seltsamsten Ecke gefallen - das kann auch mal Christina Aguilera sein. Deshalb gefällt mir vielleicht schon nächste Woche was von Junges Glück.

CM: Was sollen Leute, die Euch nicht von früher kennen, von Euch halten? Welches Lied von "damals" sollte die Jugend unbedingt hören?

TB: Die Jugend und alle anderen sollen unsere neue Platte hören - wir sind ja nicht als klassische Reunion unterwegs, die noch mal ihre alten Songs singt (siehe Fehlfarben) - wir haben nie aufgehört, Musik zu machen, nur eine lange Pause als Zimmermänner genommen. 'Fortpflanzungssupermarkt' ist brandaktuell und kein Revival. Hören! - unbelastet, mit offenen Ohren, ohne grosse Vorgeschichte. Wenn schon, dann könnte ich höchstens meinen Lieblingssong von damals nennen - 'Schlecht, aber einer von uns: Jesaja'.

CM: Hat Jürgen Teipels "Dokuroman" Verschwende Deine Jugend die Zimmermänner neu belebt, gab es danach ein neu entfachtes Interesse an Euch? Oder hätte es auf jeden Fall wieder eine Zimmermänner-Platte gegeben?

TB: Es hätte auf jeden Fall eine Platte gegeben - allerdings: wenn wir clever gewesen wären, hätten wir sie aber besser getimt, kurz nach Veröffentlichung von Jürgens Buch.

CM: War es von vornherein klar, dass "Fortpflanzungssupermarkt" wieder bei ZickZack/Hilsberg erscheint, oder war eine neue Annäherung nötig?

TB: Alfred hat uns dazu gezwungen, eine neue Platte zu machen! Nein, aber er hat uns motiviert, nachdem er neue Songs gehört hatte. Und wir wollten nur Indie, nachdem vor allen Dingen ich nur Schlechtes bei den Majors erlebt hatte.

CM: Als Zimmermänner-Fan muss man viel Zeit und Geduld mitbringen - denkt Ihr manchmal, Ihr hättet mehr und öfter Platten machen sollen?

TB: Ja, das denken wir - aber das Leben hat's nicht ergeben - wir hatten zu tun. Um so stolzer sind wir jetzt, dass wir's hingekriegt haben.

CM: Eure alten Platten werden bei ebay zu enorm hohen Preisen versteigert - freut Euch der "Kultstatus"?

TB: Wir hassen das Wort Kult - aber empfinden doch etwas Genugtuung, wenn unsere Musik derlei Anerkennung findet. Obwohl es natürlich auch immer um den Sammler-Aspekt geht - deshalb kommen wir mit unserem neuen Album auch als Doppel-Vinyl raus.

CM: Nehmen wir an, Christiane Paul wünscht sich ein Drehbuch von Euch und es soll keine typisch deutsche Komödie werden - was schreibt Ihr für sie?

TB: Einen französischen Autorenfilm der frühen 70er - eine Dreiecks-Liebesgeschichte von Andrzej Zulawski oder Claude Sautet, die Paul in einer Romy Schneider-artigen Rolle.

CM: Gibt es ein Vorbild für den Zuckermann?

TB: Ich bin der Zuckermann!

CM: Ihr könnt Euch Mitspieler fürs nächste Album wünschen, tote oder lebende - wer ist dabei?

TB: Das Album ist ja so ein Mittelding zwischen Spielen und Programmieren - ich bin als Produzent ein 'Bedroom-boy' - direkter Weg von der Idee zur CD via Vorsprung durch Technik! Als Musiker sind wir nämlich nicht so toll - keine grossen Virtuosen. Und das ist dann auch der Sound - Musiker mit starkem persönlichen Stil würden da nicht passen. Live hätte ich gerne die Studio-Besetzung von Steely Dan's Titel 'Hey Nineteen!' dabei - zum Nachlesen auf 'Gaucho'.

CM: Ihr dürft nie wieder Musik machen - was würdet Ihr stattdessen tun?

TB: Autobiographische Kriminalromane schreiben.


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