06
Champagner für alle
archie shepp “gemini”
Archie Shepp: Gemini Archiball 2007
» amazon
|
Zurück zu 1967, fordert Chuck D, im Hauptberuf MC bei Public Enemy, eingangs. 1967, das Jahr, in dem John Coltranes Expression und Archie Shepps Mama Too Tight erschienen. Das eine Album ein elegischer Schwanengesang, fast schon der Welt entrückt, das andere eine geballte Ladung Wut auf selbige. Die Nachrichten vor 40 Jahren brachten unter anderem: Die tödliche Kugel auf Benno Ohnesorg, Rassenunruhen im Süden der USA, die Erschießung Che Guevaras in Bolivien. Genauso das Ende der Kolonialherrschaft im Südjemen, Martin Luther Kings erste öffentliche Rede und Muhammad Alis Kriegsdienstverweigerung. Schnee von gestern ist das nicht, sondern die Erinnerung, ohne die man bis in alle Ewigkeit hilflos auf die Nachrichten aus der wachsenden Kampfzone starren wird.
Gemini, diese Veröffentlichung eines neugierig gebliebenen Siebzigjährigen, ist eine Kombination von Hoffnung und Zorn, Gospel, Groove und Poesie, das alles im Doppelpack. Die erste CD, The Reverse, ist mit Shepps langjährigem Quartett eingespielt worden. Er selbst ist an an Tenor- und Sopransaxofon zu hören und singt. Am Bass begleitet Wayne Dockery, Sideman Stan Getz’ und John Coltranes, Armymusiker in Vietnam und schon mal Taxifahrer gewesen. Pianist Tom McClung hat mit Shepps Sohn die Highschool besucht und entlockt den 88 Tasten ungestüme, stets aber im Blues verwurzelte Läufe. Schlagzeuger Steve McCraven war vor einem runden Vierteljahrhunder Shepps Schüler. Jetzt steuert er selbst zwei Stücke bei, das komplexe, nahezu coltranesk-hymnische Burning Bright und das eher ruhige Intertwining Spirits. Fast schon spirituell mutet diese Musik an.
Erdabgewandt ist sie nicht. Auf Revolution (Mama Rose), einem halsbrecherischen Stück Talking Jazz, besingt der Literaturwissenschaftler Shepp in politisch und sexuell aufgeheizten Bildern eben diese. Dazu ein Saxofon, Stillstand aus dem Vokabular verbannend. Das Stück ist so fromm wie Wasser satt macht. Die Band verneigt sich vor Monks Pannonica, das der exzentische Pianist für die Baronin de Koenigswarte schrieb, Förderin des Modern Jazz und Zuflucht Charlie Parkers vor seinem Tod. Auf Trippin’ kriegt Shepp, unterstützt von Gitarrist Stéphane Guery, den Funk. Nicht etwa den weichgespülten, sondern den verwegenen, frivolen. The Reverse, das Titelstück, gibt es gleich in drei Versionen. Je einmal mit Chuck D und Shepp, zum krönenden Abschluß intonieren beide es im Duett. Wer es nicht glaubt: Public Enemy baten Shepp Anfang April diesen Jahres in Paris auf die Bühne. Ein wunderbarer Moment, sagt er, ein großer Fan von Spike Lees Do The Right Thing und Fight The Power. Man habe sich auf Anhieb verstanden, schließlich seien sie alle Blues People.
Der Blues ist allgegenwärtig. Auf der zweiten CD, Live In Souillac, kommt er sogar noch deutlicher zur Geltung. 2002 live während des Jazzfestivals in der südfranzösischen Stadt aufgenommen, bietet sie Shepp in einer anderen Konstellation. Gemeinsam mit Amina Claudine Myers, der von ihm verehrten Pianistin, Organistin und Sängerin, die traditionelle afro-amerikanischer Musik mit neuem Jazz verbindet. Shepp schätzt ihr Gespür für Blues und Gospel und fühlt sich von ihrem Gesang an Little Esther erinnert, früh verstummte Zeitgenossin Otis Reddings und Nina Simones. Gemeinsam mit Cameron Brown (dem Bassisten, nicht dem Ironman) und Schlagzeuger Ronnie Burage spielen sie ein Set, dass mehr Platz für solistische Ausflüge lässt. Brown, er vertrat bereits 1975 den an Lungenkrebs erkrankten Jimmy Garrison in Shepps Band und hat mit Art Blakeys Jazz Messengers gespielt, brilliert mit Myers in dem langen, verwinkelten Opener Hope two. Genauso finden sich getragene, ergreifende Gesangsstücke und mit Ujaama ein fast viertelstündiges, dynamisches Feuerwerk, das Raum für das Zusammenspiel von Myers, Brown und Burage, Rhythmusgeber Pat Methenys, Sonny Rollins und vieler anderer, bietet. Nick Reynolds von der BBC bevorzugt diese zweite CD. Es sitzt sich aber auch wunderbar auf dem Zaun. Übrigens, Archie Shepp besteht darauf, dass Konzertveranstalter in ausreichenden Mengen zur Verfügung stellen: Kaltes Buffet, Tee, Kaffee, Mineralwasser, Fruchtsaft, Bier, Wein. Und Champagner für ihn. Nicht neidisch werden, nach dieser Musik ist man in jedem Fall beseelt.
» www.archieball.com