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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




September 2007
Christina Mohr
für satt.org

Neue Sampler,
September 2007

Wir stellen vor:
Doom & Gloom (und feiern 33 1/3 Jahre Trikont),
Jamie Cullum, Hallam Foe, Frei:Gespielt
und rare Funk-Singles …


Doom & Gloom.
Early Songs of Angst
and Disaster 1927-1945
(Trikont)

Cover

Das legendäre Label Trikont feiert in diesem Jahr ein schönes, krummes Jubiläum: seit 33 1/3 Jahren schicken die Münchner liebevoll zusammengestellte Sampler zu den obskursten Themen in die Welt, aber auch Solokünstler wie Rocko Schamoni, Bernadette La Hengst und Hans Söllner veröffentlichen ausschliesslich bei Trikont. Das Trikont-Programm «unkonventionell» zu nennen, liegt nahe, trifft den Kern aber nur am Rande. Im Mittelpunkt der Labelarbeit steht die Liebe zur Musik und der Wunsch, abseits des Mainstreams Perlen zutage zu fördern. Der aktuell erschienene Sampler «Doom & Gloom. Early Songs of Angst and Disaster» präsentiert amerikanische Songs über Kriege, Unfälle, Tod und Untergang aus der ersten Hälfte des «katastrophalen Jahrhunderts», wie Historiker das 20. Jahrhundert nennen. Weltwirtschaftskrise, Kriege, schreckliche Unfälle wie Flugzeugabstürze und entgleiste Eisenbahnen waren die Kehrseite des industriellen und technischen Fortschritts, an dem die Menschen schnell zu zweifeln begannen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden viele neue Musikrichtungen, deren Interpreten nicht nur von Liebe sangen, sondern die privaten und globalen Katastrophen thematisierten. US-amerikanischer Blues, vorgetragen von Künstlern wie Blind Willie Johnston ist das vorherrschende Genre auf «Doom & Gloom», dazu gibt es Hillbilly-Titel aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und frühen Folk, quasi die Vorläufer des «Protestsongs» der sechziger Jahre.

satt.org hat Trikont-Chefin Eva Mair-Holmes einige Fragen rund um das Label-Jubiläum stellen können:

CM: Wie behauptet man sich über so viele Jahre im "Geschäft" - was ist das Geheimnis Eures Erfolgs?

Eva Mair-Holmes: Ob es ein Geheimnis ist, weiß ich nicht, aber unser Erfolg, oder sagen wir unser Überleben hat sicher damit zu tun, dass wir ein relativ breit gefächertes Programm haben. Breit gefächert nicht aus spekulativen Gründen, sondern weil unser Spaß und unsere Neugier was Musik angeht, einfach nicht so eng ist. Das bedeutet natürlich auch, dass unsere Fans und die Käufer unserer CDs aus ganz verschiedenen Ecken, Nischen und Bereichen der Gesellschaft kommen - was uns auch immer sehr wichtig war und ist.

CM: Bei Trikont erscheinen Indiepop-Helden wie Rocko Schamoni, Bernadette La Hengst und nicht zuletzt der Söllner-Hans - warum sind diese Leute so gern bei Euch?

EMH: Tja, das sollte man unsere MusikerInnen am besten selbst fragen. Wahrscheinlich hat es auch damit zu tun, dass die Beziehung zum Label und umgekehrt mit Sicherheit enger und persönlicher ist, wenn man Musik bei einer so kleinen Klitsche wie Trikont rausbringt. Und ganz wichtig: Alles was wir machen lieben wir auch - unser Budget für Werbeaktivitäten ist sehr begrenzt, das heisst für uns, dass wir mit riesigem persönlichem Einsatz kämpfen müssen, um wahrgenommen zu werden.

CM: Fast alle namhaften Indies sitzen in Berlin, Hamburg oder Köln - seht Ihr Euch als gallisches Dorf/bayrische Bastion?

EMH: Das Bild trifft es ganz gut. Aber wir sitzen hier natürlich auch deshalb, weil wir uns musikalisch auch immer wieder auf Bayern beziehen, seien es unsere "Raren Schellacks" (Uralte Aufnahmen von VolksmusikerInnen, die wir neu editiert haben) oder Hans Söllner (so einer kann nur aus Bayern kommen).

CM: Eure Sampler sind mittlerweile legendär - denkt Ihr Euch die Themen aus oder kommen die Kompilatoren auf Euch zu?

EMH: Es gibt Ideen zu Samplern, die wir hatten und wo wir uns auf die Suche nach einem Herausgeber gemacht haben, meist ist es aber so, dass Leute auf uns zukommen mit Vorschlägen oder Sammelleidenschaften und wenn es nicht zu kurios ist, machen wir das dann. Da hat sich im Lauf der Zeit ein großer Kreis von Leuten um uns rum gebildet, die hervorragende Zulieferer von musikalischen Themen und Geschichten sind.

CM: Welche Sampler-Themen habt Ihr verworfen?

EMH: Nach unserer La Paloma-Reihe kamen natürlich wahnsinnig viele auf die Idee, irgendwelche Songs im Internet zu suchen um dann damit eine CD zu füllen. Also zum Beispiel 350 Versionen der „Internationalen“, oder hundertmal „Ave Maria“ - da steigen wir dann aus.

CM: Welcher ist der erfolgreichste Sampler? Und welcher der erfolgloseste?

EMH: Sehr erfolgreich waren zum Beispiel "Russendisko" von Vladimir Kaminer & Yuriy Gurzhy oder "Finnischer Tango". Äußerst erfolglos war aus unserer Reihe "Rare Schellacks" der Sampler "Musik aus Sachsen" - irgendwie wollte in Sachsen niemand die alte Musik hören und im Rest Deutschlands hat's leider keiner verstanden.

CM: Welche Aktionen gibt/gab es im Jubi-Jahr?

EMH: Wir machen CDs wie immer - allein im zweiten Halbjahr kommen zehn neue Produktionen, unter anderem eine neue "MAMA"-CD, in dieser Reihe haben wir mit "Perlen Deutschsprachiger Popmusik" 1998 die letzte veröffentlicht . Auch diesmal macht das wieder Franz Dobler, damit haben wir uns selbst ein Jubiläumsgeschenk gemacht, nach so einer langen Pause also "On The Road Again Mama".

CM: Trikonts Zukunftspläne?

EMH: Weitermachen, weitermachen, weitermachen. Hoffentlich noch lange mit so viel Lust, mit so tollen Musikern, so engagierten Herausgebern und vor allem mit so loyalen Mitarbeitern wie bisher. Immer auch den Blick auf die allgemeine Entwicklung gerichtet, siehe Downloads undsoweiter - aber ohne Panik, eher ein „jetzt erst recht!“


Weitere Sampler:

The World's Rarest
Funk 45s(Jazzman)

Cover

Will Holland alias Quantic ist ein Funk-Aficionado: für das britische Label Jazzman Records stellte er den Sampler «The World's Rarest Funk 45s» zusammen, dem nun ein zweites Volume mit 16 weitgehend unbekannten Tracks der sechziger und siebziger Jahre folgt – wer kennt die Platten von Abraham & The Metronomes, The Fun Company, Weston Prim oder den Road Runners? Darauf kommt es auch gar nicht an, die auf diesem Sampler versammelten Songs, vom Label «sixteen heavy-weight super-tough deep-funk ultra-rarities» genannt, lassen wenig Zeit zum Nachdenken, sondern führen direkt auf die Tanzfläche zum booty-shaken und hip-swingen. In «Walking on the Moon» von Rev. Jamel & Bob Johnson muss Superman die USA retten («We need help in Detroit! We need help even in the capital!»), bei «Right on Right off» von der Afros Band wird den geneigten Hörern/Tänzern ein jazzfunkiges Improvisationsgebläse um die Ohren gehauen und The Third Guitar featuren auf «Baby don't Cry» einen hemmungslosen, enthusiasmierten James Brown-Wiedergänger. Für Connaisseure und Tänzer gleichermassen zu empfehlen!


In The Mind of Jamie Cullum
(!K7/District 6)

Cover

Der 28jährige Jamie Cullum gilt als Jazz-Wunderkind: in jungen Jahren brachte er sich selbst Keyboardspielen bei und sang dazu, seine Vorbilder waren Charles Mingus, Herbie Hancock und Miles Davis – ungewöhnlich für einen britischen Teenie in den neunziger Jahren. Das Studium an der Musikhochschule finanzierte er sich mit Auftritten in Bars, Clubs und als Kreuzfahrtpianist, sein erstes Album «Heard it all Before» nahm er in Eigenregie auf. Das Ergebnis liess die Jazzszene aufhorchen, mit seinen späteren Platten wie zum Beispiel «Twentysomething» von 2003 festigte seinen Ruf als experimentierfreudiger Nonkonformist in Sachen Jazz. Inzwischen hat er fast drei Millionen Alben verkauft, ist also reich, berühmt und ausserdem gutaussehend – was fehlt ihm noch zum Glück? Ein selbst zusammengestellter Sampler zum Beispiel, der jetzt beim Label District 6 (in Deutschland über !K7 erhältlich) erschienen ist. Er feiert alte Helden und präsentiert ganz neue; Cullum bringt zusammen, was auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammenpasst und versteckt ganz dezent zwei eigene neue, bisher unveröffentlichte Tracks. Die ausgewählten Songs tun einander gut – so gewinnt Charles Mingus' «Fables of Faustus» durch die unmittelbare Nachbarschaft zu Quasimoto einerseits und Cullum selbst andererseits ungeahnte Aktualität; das Cinematic Orchestra passt wunderbar zu Herbie Hancock. Und wer Nina Simone als Opener wählt, um dessen «Mind» braucht man sich keine Sorgen zu machen.


Hallam Foe
(Soundtrack, Domino)

Cover

Hallam Foe ist ein sensibler Junge aus Edinburgh, der vermutet, dass seine schöne Stiefmutter etwas mit dem Tod seiner geliebten echten Mutter zu tun haben könnte …. ok, wir wollen an dieser Stelle nicht zu viel verraten, ausser, dass es sich natürlich um einen Film (Regie: David Mackenzie) handelt und dafür ist schliesslich Kollege Thomas Vorwerk zuständig!

Zu Hallam Foe gibt es einen entzückenden Soundtrack, den Regisseur Mackenzie zusammengestellt hat und den wir hier überschwänglich abfeiern wollen: für alle Songs zeichnet das verdiente Domino-Label verantwortlich und hat ein Füllhorn älterer und aktueller Songs seiner Schützlinge ausgeschüttet. Es geht los mit der legendären Postpunkband Orange Juice, deren Song «Blue Boy» zwar schon 27 Jahre auf dem Buckel hat, aber kein bisschen gealtert erscheint, sondern noch immer sonnig, charmant und energiegeladen klingt. Es geht weiter mit Sons and Daughters aus Schottland (mit «Broken Bones»), die vielleicht gerade mal so alt sind wie «Blue Boy». Clinic sind mit dem hypnotischen «If I could read your mind» vertreten, von den sanften Elektronikern Junior Boys gibt es «Double Shadow» zu hören, dazu gesellen sich Singer/Songwriterin Juana Molina, Psapp, James Yorkston und und und … der grösste USP (unique selling point) dieses Albums dürfte der neue und bisher unveröffentlichte Track von Franz Ferdinand sein: er heisst «Hallam Foe Dandelion Blow» und ist eine für FF-Verhältnisse ruhige, zurückgenommene Ballade. Doch ob mit oder ohne Franz Ferdinand ist dieses Album ein herzerwärmdender Herbst-Sampler und gleichzeitig eine beeindruckende Domino-Werkschau!


Mehmet Scholl:
Frei:Gespielt
(Stereo Deluxe)

Cover

Weil Mehmet Scholl anlässlich der Beendigung seiner aktiven Fussballerkarriere die queere Band Hidden Cameras einlud, damit sie seiner Abschiedsparty beim FC Bayern München die musikalische Krone aufsetzen sollten, wurde kurz (aber nur ganz kurz) gemunkelt, dass Scholl schwul sei – dieses Gerücht taucht zwar immer wieder auf, darf aber wahrscheinlich in den Bereich «moderne Mythen» einsortiert werden. Denn ein schwuler Fussballer, ein Nationalspieler noch dazu, ist heute immer noch so undenkbar wie … na ja, ein schwuler Fussballer eben. Mit Bestimmtheit kann aber festgehalten werden, dass Mehmet Scholl den besten Musikgeschmack der gesamten Bundesliga hat(te) und schon allein deswegen ist das Ende seiner Laufbahn ein Verlust – vor allem für seine Mannschaftskollegen, die jetzt allein auf sich gestellt sind und Jennifer Lopez oder Roger Cicero im Nightliner hören müssen. Weil Mehmet Scholl nicht nur ein erfolgreicher Fussballer war, sondern einer mit irrsinnig vielen Verletzungen und Ausfällen, konnte er massig Zeit für sein Hobby aufwenden, das Kompilieren schicker britpoplastiger Sampler. Die ersten beiden heissen «Vor dem Spiel ist nach dem Spiel. Mehmet Scholl kompiliert I & II», der neue, der gleichzeitig der Soundtrack eines Biopics von Andreas Neumayer und Eduard Augustin über Scholl ist, trägt den griffigen Titel «Frei:Gespielt. Mehmet Scholl – über das Spiel hinaus.» Idealerweise eröffnen die «Sporties», also die Stiller-Buam den Songreigen mit «Dem Fritz sein Wetter», so dass man gleich zum nächsten Stück weiterskippen kann, denn dann wird es richtig gut: The Decemberists, Röyksopp, Teenage Fanclub, Mazzy Star, die oben genannten Hidden Cameras, CocoRosie und einige tolle Bands mehr hat sich Mehmet ausgesucht, um sich den Abschied zu versüssen. Peter Björn And John sind auch drauf und mal nicht mit «Young Folks» zu hören, sondern mit dem ebenso hübschen «Amsterdam». Zach Condon alias Vorjahresmeister Beirut ist mit «Postcards from Italy» vertreten und zu den HushPuppies schreibt Mehmet freimütig ins Booklet, dass es «der Wunsch der Plattenfirma» war, den Song «Bassautobahn» auf dieses Album zu packen. Zum Schluss kommen zwei nostalgische Perlen: Velvet Underground mit «Sunday Morning» und Hildegard Knefs «Für mich soll's rote Rosen regnen», das Mehmet seiner toten Mama widmet. Er ist halt ein guter Kerl.