Buchmesse-Nachlese Teil III:
Frank Apunkt Schneider:
Als die Welt noch unterging.
Von Punk zu NDW
Anwärter für den besten Buchtitel des Jahres ist Frank Apunkt Schneiders „Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW“ - wer wie ich (und Frank Apunkt) in den frühen Achtzigern zur Schule ging, sah sich über Jahre hinweg einem unvergleichlich deprimierenden Unterricht ausgesetzt, dargeboten von friedensbewegten Lehrern, die Bettina Wegner („Sind so kleine Hände“) für eine Revolutionärin hielten und DAF für die Verkörperung des absolut Bösen. Die Schullektüre bestand aus Gudrun Pausewangs Atomschlagschocker „Die letzten Kinder von Schewenborn“ und George Orwells „1984“, unvergessen auch die von meiner Klassenlehrerin verordneten Kinobesuche von „Watership Down“ und „The Day After“, veritablen Endzeitszenarios, die uns Zwölfjährige verstört und ängstlich zurückliessen. Gefühlte und echte Bedrohung – verkörpert durch Atomsprengkopfstationierung, sauren Regen, kalten Krieg oder Helmut Kohl – begleitete die in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren geborenen Jugendlichen wie Pubertätsakne und schlechte Noten in Latein. Ein Wunder, dass die meisten von uns heute noch am Leben sind, klang das Wort „Selbstmord“ während dieser Zeit doch nach einer völlig okayen, ja vernünftigen Option; mit dem Weltende respektive Untergang mußte täglich gerechnet werden. Schneider schreibt in seinem Vorwort „Die eigene Zeit am Abgrund anzusiedeln, lässt sich retrospektiv natürlich leicht in einer menschheitsgeschichtlichen Konstante unterbringen: So gut wie jede Zeit kannte das nahe Ende. Im abgeklärten Rückschauwissen lässt sich aus dieser Tatsache sogar folgende Behauptung synthetisieren: Die Friedensbewegung war schuld, dass in den 1980ern Kinder Angst vor der Bombe hatten.“ Neben Bombenangst und Umweltzerstörung wurde das Leben der (meisten) Jugendlichen noch von etwas anderem bestimmt: spätestens ab 1982 nahm auch der letzte Dorftrottel wahr, dass Langhaar-Progrock hoffnungslos out war. Punk schwappte – mit einiger Verzögerung – von England aus nach Hamburg. Doch Punk und später die NDW fand nicht nur in den Metropolen statt, sondern gelangte auf Umwegen auch bis in den Vogelsberg*, Südbaden und nach Ostwestfalen. In jedem Kuhkaff gab es plötzlich Punks oder „Punker“, die eigene Bands gründeten – Frank Apunkt Schneiders schier unglaubliche Fleiß- und Pionierarbeit, hunderte dieser Bands ausfindig zu machen und aufzulisten, kann man im umfangreichen Anhang von „Als die Welt …“ bestaunen.
* An dieser Stelle ein kleines Rätsel: die Punkband aus meinem Heimatort hieß „Die Reichsverweser“, später „Die verranzten Schulbrote“, in ihrer bis dato letzten Inkarnation als „Sabbatanistische Endgülle“ nahmen sie eine CD bei ZYX Records auf. Woher stammt die Band? Wer den Ort weiß, den ich meine, gewinnt bestimmt was!
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Anders als Jürgen Teipels mittlerweile als Standardwerk angesehener Interviewband „Verschwende deine Jugend“, in dem in erster Linie renommierte, goetheinstitutgeehrte Deutschpunkstars zu Wort kommen, gibt „Als die Welt …“ den Vergessenen und Erfolglosen ihren Platz in der Geschichte zurück. Schneider distanziert sich bewusst und ausdrücklich von „dem Teipel“, ohne dieses Buch zu ignorieren oder zu schmähen, doch Punk/NDW in Deutschland bestand eben nicht nur aus den Einstürzenden Neubauten, den Fehlfarben und Ideal. Die Dorf- und Kleinstadtszenen, denen Schneider viel Raum widmet, funktionierten anders als die der Zentren, generell wurden mit Punk ganz neue Produktionsweisen und -wege erfunden. Das Fanzine, im Jugendzimmer zusammengekritzelt, kopiert, getackert und billig verscheuert, erlebte seine Hochzeit; ebenso die Cassette/das Tape – Schneiders Buch liefert im Anhang die wohl bisher einzige in Deutschland publizierte „Kassettografie“, in der sich die kreative Energie der Punkphase am eindrucksvollsten offenbart. Wie sich NDW aus Punk entwickelte, wer dazugehörte und wer nicht (viele NDW-Bands rekrutierten sich aus altgedienten Profimuckern, das nur am Rande), beschreibt Schneider in seinem unglaublich dicht verfaßten Text - „dicht“ ist hier ganz wörtlich gemeint und bezieht sich auf Layout, Inhalt und Sprache. „Als die Welt noch unterging“ ist kein „easy reading“ für unbeleckte Einsteiger und Nebenbeileser, Schneiders Stil ist ambitioniert und eigenwillig: neben verschachtelten Sätzen und Wort-Neukreationen wird sowohl die Binnen-I-Schreibweise („PunkerInnen“) und die Verwendung von man/frau konsequent durchgehalten – all das sorgt für eben diese strukturelle Dichtheit, die ihrem komplexen Subjekt mehr als gerecht wird. Denn: kaum eine Szene/eine Mode/ein Musikstil ist in so viele Nebenarme aufgespalten wie Punk respektive (in Deutschland) die NDW. Bierdosenkapellen wie Daily Terror waren ebenso Punk wie aus dem Kunstbereich stammende Bands wie Der Plan und Die Tödliche Doris. Und später wurde es noch komplizierter: Trio, Ideal und die Neonbabies zählt man zur NDW, klar. Aber was ist mit der Spider Murphy Gang, Relax, der Münchner Freiheit und Ina Deter? Da wird Definition zum Hochseilakt …. Schneider macht deutlich, dass die BRAVO für die Wahrnehmung von Punk und NDW mindestens genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger war als Spex und Scritti (kurzlebiges Zeitschriftenprojekt). Doch mit der Popularität kam auch der Niedergang, mit Grausen erinnert man sich an die letzten Zuckungen der NDW in Form von lustlosen Veröffentlichungen im Jahre 1984 – deutsch zu singen war auf einmal nicht mehr witzig und erfolgsträchtig, sondern wirkte irgendwie abgestanden und peinlich. Man sang wieder englisch, und es sollte lange dauern, bis Deutsch sich wieder als Popsprache raustrauen durfte – unter anderen Vorzeichen selbstverständlich, „Hurra, Hurra, die Schule brennt“ hört man nur noch auf NDW-Partys, HipHop/Rap wurde zum Maßstab jugendlicher Artikulation.
„Als die Welt noch unterging“ ist Lexikon, Lesebuch, Retrospektive und Würdigung einer Epoche, die nur wenige Jahre andauerte und doch bis heute nachwirkt wie kaum eine andere Popphase. Und das nicht nur durch Hits wie „Hurra, Hurra, die Schule brennt!“
Frank Apunkt Schneider:
Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW
Ventil Verlag, 384 Seiten, 17,90 €
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John Robb: Punk Rock.
Die ganze Geschichte
Vor dreissig Jahren galt die Jugend noch als gefährlich und nicht als siecher Pflegefall wie heutzutage. 1977 waren in Deutschland alle Gebäude des öffentlichen Lebens mit RAF-Fahndungsplakaten tapeziert, in Grossbritannien zeigte die junge Generation mit nihilistischen Parolen wie „No Future“, was sie von Staat und Monarchie hielt. Und dazu dieser Lärm: eine neue, laute, ungestüme Musik sorgte für den Soundtrack zur Rebellion, 1977 erschien das Punkalbum überhaupt, „Never Mind the Bollocks“ von den Sex Pistols. Höhepunkt und Anfang vom Ende zugleich. Jetzt, 2007, treten die Sex Pistols anlässlich des 30. Geburtstags von „Never Mind the Bollocks“ wieder auf und trampeln – bewusst oder unbewusst – auf dem eigenen Mythos herum. Und die UK Subs, auch schon seit 31 Jahren im Geschäft, nennen ihr neues Album subtil „Original Punks, Original Hits“.
Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung der deutschen Uebersetzung von John Robbs 523 Seiten starkem Werk „Punk Rock. Die ganze Geschichte“ könnte also nicht passender gewählt sein. Zu diesem Buch gibt es Vorläufer, oral histories wie Clinton Heylins „From the Velvets to the Voidoids“, „Please Kill Me“ von Legs McNeil und Gillian McCain, Jürgen Teipels „Verschwende deine Jugend“. Punk-Historien der USA und Deutschlands liegen seit Jahren vor, ausgerechnet auf die Geschichte des englischen Punkrock musste man lange warten – obwohl aus Großbritannien die meisten Bands und Platten stammen, die man bis heute für „echten“ Punk hält: die Sex Pistols, The Clash, The Jam, The Adverts, Buzzcocks, um nur einige zu nennen. Aber was war, was ist Punk genau? Wo kam er her und wer zählte wirklich dazu? War (und ist) Punk eine Protestbewegung, schockierender Modestil oder musikalische Revolution? Punk als Genre zerbröselt in tausend Einzelteile, wenn man zwecks Definition genauer hinschaut, so vielfältig sind die Einflüsse, Ausprägungen und Weiterführungen dessen, was als griffiges Four-Letter-Word so leicht über die Lippen geht. Glamrock und David Bowie, Iggy Pop, die New York Dolls und früher Rock'n'Roll werden häufig als stilistische und musikalische Paten genannt. „Punk Rock“-Autor John Robb, ehemaliger Sänger der legendären Membranes und heute Frontmann der Band Goldblade, geht sogar soweit, mittelalterliche Strassensänger, die in ihren Liedern die Obrigkeit angriffen, als erste Punks zu bezeichnen – nur ohne Stromgitarren und Nietenjacken. Tatsächlich hat Punk viele Väter und Mütter, nicht zuletzt die von der Mehrheit der Punks so sehr verhassten und abgelehnten Hippies. Vor allem in der Hausbesetzerszene („squats“) offenbaren sich die Hippie-Wurzeln der Punks ganz deutlich, Bandmitglieder von Crass und X-Ray-Spex bekennen im Buch unverblümt, der Hippiebewegung zu entstammen. Auch Pubrockbands wie Mott the Hoople und Dr. Feelgood, die man in Deutschland nicht unbedingt mit Punk in Verbindung bringt, wird in Robbs Buch viel Raum gewidmet, da sie vielen jungen britischen Musikern seinerzeit als kredible Vorbilder dienten.
Robb hat für sein Buch hunderte Interviews geführt und nahezu alle britischen Punkprotagonisten zu Wort kommen lassen, altbekannte und fast vergessene: zum Beispiel Filmemacher Don Letts, der den Punks den Reggae nahe brachte, Pauline Murray, Sängerin von Penetration, Vic Godard, charismatischer Bandleader der sozialkritischen Subway Sect., Tony James, Bassist in Bands wie London SS, Generation X und Sigue Sigue Sputnik. John Lydons a.k.a. Johnny Rottens eloquente und zynische Aeusserungen besitzen den höchsten Unterhaltungswert. Ueber Vivienne Westwoods und Malcolm McLarens Boutique „Let it Rock“ (später „Sex“) sagt er: „Ich fand es interessant, als sie anfingen, Gummi-Kleidung zu verkaufen. Nicht, weil sie mir gefallen hätte – ich habe sie getragen und halte sie für das Unangenehmste, Ekelhafteste, was man anziehen kann, also hat das natürlich gut zu mir gepasst. Ich bin nicht besonders gut aussehend und ich bin auch nicht besonders eitel, was mein Aeusseres betrifft, also habe ich diese Sachen getragen, ohne mich im Geringsten dafür zu schämen. Ich denke, das Leben ist lächerlich und man muss es auslachen.“
Das Leben auslachen – jedenfalls das bürgerliche Spiesserleben – wollten alle Punks. Oder wenigstens profund verstören, wie es Siouxsie and the Banshees in ihren Anfangstagen taten, als sie mit Hakenkreuz-Armbinden auf die Bühne gingen. Auch wenn sich heute die meisten „Ehemaligen“ von politisch fragwürdigen Bilderstürmereien wie dem Zurschaustellen von Swastikas distanzieren, war Punk angetreten, um Tabus zu brechen. Zum Beispiel jenes, dass man ein Könner auf seinem Instrument sein musste, um eine Band zu gründen. Die Frauenband The Slits huldigte fröhlich dem musikalischen Dilettantismus und führte rockistisches Machotum ad absurdum. Bands wie die Stranglers und Wire, die mit ausgefeilten Kompositionen und komplizierter Instrumentierung brillierten, standen zu dieser Haltung zwar im krassen Gegensatz, galten aber dennoch als Punkbands.
John Robbs Buch macht deutlich, was alles ging und dass alles ging, damals vor über dreißig Jahren. Und weil alle zu Wort kommen, werden auch die grossen Widersprüche innerhalb der Szene deutlich. Um Homogenität ging es nie, Punk war eine Feier der Diversität, alles war möglich, wenn man sich nur traute, es zu tun. DiY, Do it Yourself war die Losung, auf die sich alle einigen konnten, egal ob man drei Akkorde auf der Gitarre beherrschte, einen Laden eröffnen oder Filme drehen wollte. Don Letts sagt, „DiY ist das Vermächtnis von Punk. Für mich als Schwarzen, der aus einem Dritte-Welt-Hintergrund kommt, ist DiY die eigentliche Art und Weise, in der wir leben. Punk zeigte dann, wie man das DiY-Ethos auf ein anderes Level bringen kann. Und im Gegensatz zum blossen Ueberleben, wurde ich dank der Inspiration von Punk zu einem neuen Menschen. Als die Sache losging, war überall Energie in der Luft ( …)“
Und auch wenn heute von Punk keine Gefahr für die Gesellschaft mehr ausgeht, Teenager sich mit Netzstrumpfhosen von H&M ausstaffieren und damit sicherlich nicht auf Siouxsie Sioux verweisen wollen, sollte man sich immer mal wieder daran erinnern, dass eine gesunde Menge Subversion und Energie im Alltag nicht schaden können.
(Text erschien zuerst in der Buchmessen-Literaturbeilage der Jungen Welt, 10.10.2007)
John Robb: Punk Rock. Die ganze Geschichte
Übersetzt von Martin Büsser, Ventil Verlag, 523 Seiten, 19,90 €
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