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Mai 2008
Ronald Klein
für satt.org

Skitliv

Ende des 19. Jahrhunderts durchleuchtete die preußische Zensurbehörde realistische und naturalistische Literatur und sorgte für „Text-Korrekturen“ und Verbote. Nicht anders erging es den Theaterstücken. Hermann Sundermanns naturalistisches Drama „Sodoms Ende“ kanzelte 1890 der Berliner Polizeipräsident von Richthofen mit dem Satz: „Die janze Richtung passt uns nicht“ ab. In der ausführlichen Begründung hieß es, dass das Stück keinesfalls zur „ästhetischen Erziehung des Volkes“ diene. Die wilhelminische Pickelhaube von Richthofen würde sich vermutlich im Grabe umdrehen, wenn sie wüsste, welche innovativen Theaterrevolutionen Volksbühnen-Intendant Frank Castorf in den letzten 16 Jahren am Haus inszenierte. Doch neben dem Sprechtheater begeistert auch das Konzertprogramm der Volksbühne. An zwei Abenden, dem 13. und 14. April 2008, gastierte der Magikus David Tibet mit seinem Ensemble Current 93. Am Sonntag eröffnete die norwegische Formation Skitliv das Programm. Die junge Band um das Black-Metal-Urgestein Maniac (Ex-Mayhem) zertrümmerte auf ihren ersten beiden Demos sowie der aktuellen Veröffentlichung „Amfetamin“ (Cold Spring Records) lustvoll die Genregrenzen zwischen Metal und Industrial. Die wenigen Live-Auftritte gelten als skandalumwoben: So existiert das Gerücht, dass die Musiker ihrem Publikum Rasierklingen mit der Aufforderung: „Ritz dich!“ reichen. Bekanntlich verzierte Maniac als Mayhem-Frontmann seinen Körper bei Konzerten mithilfe eines Tauchermesser mit etlichen Narben. Von diesen Extremen war anfangs nichts zu spüren. Maniac betrat mit einigen Minuten Verspätung die Bühne, sang a cappella „If You Want Me You Can Find Me In The Garden“ als Reminiszenz an die Einstürzenden Neubauten. Kurz darauf ertönte das Skitliv-Intro mit David Tibet und die weiteren Musiker betraten die Bühne. Bis zu vier elektrisch verstärkte Gitarren, sowie ein Bass und Schlagzeug kreierten eine mächtige Akustik-Wand, die aus Songs der beiden Demos (u.a. „Slow Pain Coming“, „Hollow Devotion“, „A Valley Below“) bestand. Maniacs Stimme erinnert zwar noch immer an die Black-Metal-Zeiten, jedoch verzichten Arrangements und Kompositionen bewusst auf Anklänge des Genres. Statt dessen erzeugen Skitliv einen Klangkosmos, dessen Augenmerk auf Leere und Disharmonie liegt. Das war einigen Current 93-Fans zu viel, so leerte sich der Saal peu à peu. Maniac wälzte sich zwischendurch auf dem Boden, artikulierte die Tücken des Speed-Missbrauchs (deutlicher Höhepunkt des Abends: „Amfetamin“ vom gleichnamigen, aktuellen Album). Doch von Aggression oder Skandal war nichts spürbar. Gitarrist Kvarforth herzte und knuddelte gar einen Fotografen. Maniac kündigte das Ende des Sets mit den Worten: „Das ist jetzt unser letzten Lied, ich denke, das kommt euch entgegen“ an und bedankte sich anschließend für die Möglichkeit, in Berlin aufgetreten zu sein. Künstler, die das Feuilleton aufgrund des Hörensagens als „Skandalnudeln“ diffamiert, beweisen auf der Bühne am Rosa-Luxemburg-Platz immer wieder, was sie wirklich können: Kunst. Vielleicht sollten Von-Richthofen-affine Kritiker noch einmal Shakespeares „Macbeth“ lesen, worin es so schön heißt: „Die Dinge sind nicht wie sie scheinen“. Analog dazu eignet sich auch die Lektüre Heiner Müllers, der überlegte: „Kunst, die mit Mitteln vorhandener Ästhetik beschreibbar ist, wirkt parasitär.“ Das Parasitäre bleibt in der Volksbühne draußen und das ist gut so!


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