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Earth to the Dandy Warhols Erde an The Dandy Warhols: Habt ihr noch genug zum Rauchen in eurem Raumschiff? Wir hier unten haben ja seit „Smoke it“ nicht mehr so viel von Euch gehört. Ab und zu läuft hier unten ja noch „Bohemian like you“. Im Dudelfunk, jedenfalls. Manchmal müssen wir dann an die Leute denken, die damals so cool auf den Tanzflächen geswingt haben. Auch von denen haben wir länger nichts mehr gehört. Statt „Oh yeah, and I wait tables, too“ heißt es bei ihnen jetzt wohl „Ich hab jetzt auch ein Blackberry“. Oder so. ◊ ◊ ◊
G. Love & Special Sauce: Superhero Brother Garrett Dutton alias G. Love war mal ein wilder Kerl: In den frühen Neunzigern veröffentlichte der aus Philadelphia/Pennsylvania stammende Love mit seiner Band Special Sauce Platten, die HipHop, Latinsound und Blues zu einer pulsierenden, dampfenden Melange vereinten – ähnlich wie ihre Brüder im Geiste, die Fun Lovin' Criminals aus New York City. Anfang der Nullerjahre freundete sich G. Love mit dem australischen Surfersoftie Jack Johnson an, auf dessen Label auch die letzten drei Alben Loves erschienen sind, inklusive der neuen Platte „Superhero Brother“. Aus dem Albumtitel kann man mit ein wenig Spitzfindigkeit herauslesen, dass der Bruder eines Superhelden natürlich weniger Probleme zu lösen hat als der Superheld selbst: G. Loves Musik klingt so entspannt, dass man keinen bösen Gegenspieler wie den Joker vermuten muß. Die vierzehn Songs kombinieren wie gewohnt Rhythm'n' Blues, ein wenig Soul, ein bißchen Jazz, erdigen Rock und jede Menge Gute-Laune-Vibes. „Communication“ könnte ein unentdecktes Beatles-Stück sein, „Peace, Love and Happiness“ klingt wie das hellstrahlende Gegenstück zu „Sympathy for the Devil“ von den Stones. Man kokettiert ein wenig mit leichten Drogen („“Who's Got the Weed“ mit Unterstützung vom Rapper Slim Kid), es gibt ein Lied über G. Loves Oma („Grandmother“), bei „What We Need“ wird die Rockgitarre ausgepackt, soulig geht es bei „Crumble“ und „Wontcha Come Home“ zur Sache. Der Titeltrack verpackt Präsident-Bush-Schelte in ein relaxt swingendes Bluesgewand, womit sich auch das nötige Quentchen Politikbewußtsein auf der Platte befindet. G. Love, der Superheldenbruder, macht eigentlich alles richtig: er spielt das, was er kann (lässigen Bluesrock) und reißt sich kein Bein mehr aus, weil er sich in jungen Jahren schon genug verausgabt hat. Das Ergebnis tut niemandem weh und bietet vielen Leuten die wohlverdiente Feierabendentspannung – angesichts dessen scheint es nur folgerichtig, dass G. Love gerade an einem Ratgeber für Musiker schreibt: „101 Ways Not to Fuck Up Your Chances of Being a Rock Star – A Pocket Guide for Navigating Your Way Through the Treacherous Seas of the Modern Music Industry.“ Um die Rettung Gothams muß sich eben jemand anderes kümmern... ◊ ◊ ◊
Kitty: Daisy & Lewis Jugendliche stehen gesellschaftlich und kulturell unter Innovationsdruck: sie sollen Revolutionen anzetteln, neue Stilrichtungen in Kunst, Mode und Musik erfinden, klug und wild sein, aber auch vernünftig und besonnen. Das ist eine ganze Menge, nicht alle jungen Menschen kommen damit klar und werden Deutschrapper oder versuchen ihr Glück in Castingshows. Ganz anders Kitty, Daisy und Lewis Durham aus London: die musikalisch hochbegabten Geschwister (15, 17 und 18 Jahre alt) beherrschen Instrumente wie Gitarre, Klavier, Mundharmonika, Banjo, Ukulele und Akkordeon, pfeifen auf Modernität und wenden sich der Vergangenheit zu, stilecht ausstaffiert mit Petticoats und Ententolle. Wobei Kitty, Daisy und Lewis wesentlich konsequenter agieren als Soul-Epigoninnen wie Duffy und Adele: die Kinder von Ex-Raincoats-Drummerin Ingrid Weiss und Studiobetreiber Graeme Durham spielen keine Neuinterpretationen von Rock'n'Roll-, Swing- und Rockabilly-Stücken, sondern wollen exakt klingen wie 1955 (und sogar noch älter). Erstaunlicherweise gelingt ihnen das – wie man sowas heutzutage hinbekommt, erklären sie im CD-Booklet: „We took a year to record and mix this album in our back room. Over a period of time we collected a lot of ribbon microphones, tape recorders and ancient sound equipments....“ K, D & L meinen es ernst: ihre Liveshows sorgen überall für ein begeistertes Publikum, auf dem von ihnen zusammengestellten Sampler „The Roots of Rock'n'Roll“ spielen sie ihre Lieblingsmusik, die wahrscheinlich schon ihre Eltern nicht mehr gehört haben. Was sagt das über unsere Welt aus, wenn gestern, ach was, vor-vorgestern für Londonder Jugendliche attraktiver ist als die Jetztzeit? Gilt die Negation des Aktuellen als Revolte? Regress gleich Fortschritt? Das sollen Soziologen klären, uns bleibt die Musik: Auf ihrem ersten eigenen Album covert das Trio Traditionals wie „Going Up the Country“ (in der Version von Canned Heat zum Welthit geworden) und „Mean Son of a Gun“, schmutzigen Blues („I Got My Mojo Working“) und steuert zwei eigene Songs („Buggin' Blues“ und „Swinging Hawaii“) bei, die man irgendwie nicht „neu“ nennen kann, weil sie sich auch anhören, als seien sie Klassiker. Daisys Stimme wird oft mit Brenda Lee und Helen Shapiro verglichen, wobei Daisy (noch) ein bißchen braver und wohlerzogener klingt als die legendären Vorbilder. Aber wer weiß, vielleicht entdecken die Durham-Geschwister in den nächsten Jahren ja noch andere Stile wie Glamrock, FlowerPower oder gar Punk... ◊ ◊ ◊
Pivot: O Soundtrack My Heart Die Brüder Richard und Laurence Pike und ihr Freund Dave Miller alias Pivot sind das erste australische Signing des britischen Labels Warp, dessen Roster so unterschiedliche wie großartige Acts wie Jamie Lidell, Leila, Autechre, Nightmares on Wax und Maximo Park verzeichnet. Pivots Album „O Soundtrack My Heart“ wurde von Tortoise-Mastermind John McEntire abgemischt, der die kühnen stilistischen Grenzüberschreitungen der Band zu einem wahrhaft faszinierenden Ganzen verband. Pike, Pike und Miller machen moderne Fusionmusik: esoterische Synthieschleifen á la Vangelis und Jean-Michel Jarre treffen auf wuchtigen, schwergewichtigen Progrock, als hätten Queens of the Stone Age ein Ambientalbum aufgenommen oder wären Krautrockbands wie Neu! oder Faust mit Martin L. Gore ins Studio gegangen. Vocals ertönen auf „O Soundtrack My Heart“ nur selten, Pivot brauchen keine Worte, um ihrer Musik die richtige Wirkung zu verleihen. „Sweet Memory“ beginnt mit apokalyptischem Dräuen, um sich dann in einer lebhaften, beinah süßen Melodie aufzulösen; zackige Gitarrenriffs knattern immer wieder durch die dunkelgrollenden Drums, die vom hochbegabten Laurence Pike bedient werden: sein Spiel ist so gewichtig wie feinnervig, als tanzte ein Elefant auf Sektflöten. Noisesamples und flirrende Synthesizer entwickeln trippige Atmosphäre, jazzige Improvisationen lassen Vergleiche mit Fred Frith oder MX 80-Sound zu. Der Opener „October“ steckt voller rasselnder, klingelnder Geräusche, die zu „In the Blood“ überleiten, dessen dunkle Elektronikklänge von einem schweren, enorm elastischen Beat untermalt werden. Zu „In the Blood“ gibt es auch ein irritierendes, skurriles Plüschtier-Splattervideo. Tanzmusik für Hegelianer. ◊ ◊ ◊
Broken Hymns, Limbs and Skin Gerade mal ein Jahr ist vergangen, seit O'Death mit ihrem Album „Head Home“ Furore machten: anders als mainstreamkompatible Balkan-oder „Gypsy“-Punk-Acts wie Gogol Bordello und Beirut verkörpert die fünfköpfige New Yorker Band um Sänger Greg Jamie die dunkle Seite des Folk und – herkunftsbedingt – sogenannter Americana. O'Death sind wild, laut und düster, aber auch zutiefst melancholisch und morbid. „We go to sleep and then we die“, so bringen sie das nutzlose Treiben der Menschheit auf den Punkt. Wie neuzeitliche Bänkelsänger poltern sie über Stühle und Tische, sägen auf ihren Geigen und Banjos und verjagen den Ku-Klux-Klan aus den Dörfern um den Mississippi. Greg Jamie schreit beschwörende Moritaten, Depression schlägt mit einem Wimpernschlag um in Bacchanal und Hysterie, Panik treibt die Lebensgeister weiter, immer weiter. O'Death sind würdige Nachfolger der Violent Femmes und Gallon Drunk, tragen das Erbe von Grunge und Neofolk in sich und klingen zu keiner Sekunde altmodisch, sondern in fast beängstigender Weise aktuell. Die Schatten der Vergangenheit preschen mit Tsunami-Geschwindigkeit durch urbane Szenerien, zünden Mülltonnen an und bringen die gläsernen Obelisken des Hyperkapitalismus mit einem einzigen schnarrenden Geigenton zum Einsturz. ◊ ◊ ◊
Sybris: Into the Trees Das kalifornische Label Absolutely Kosher versorgt den anspruchsvollen Musikfan regelmäßig und verläßlich mit feiner Indie-Gitarrenmusik: so auch mit dem Album „Into the Trees“ der Post-Shoegazer Sybris aus der amerikanischsten aller Städte, der „windy city“ Chicago. Sybris bestehen aus zwei Frauen und zwei Männern, bieten also schon rein formal ein sympathisch-paritätisches Bandkonzept und lösen die (subjektiv verteilten) Vorschußlorbeeren voll und ganz ein: die dreizehn Tracks auf „Into the Trees“ verraten Einflüsse von Sonic Youth, den Throwing Muses, Belly oder den Breeders, pendeln zwischen noisigen Gitarrenriffs, zurückgenommenen Balladen und wuchtigem Post-Post-Grunge, der mit honigsüßen Melodiesplittern aufgelockert wird. Angela Mullenhours Stimme erinnert an die ganz junge Björk (zu Sugarcubes-Zeiten), transportiert Riot-Grrrlism und skeptischen urban folk: beim heimlichen Hit „Burnout Babies“ schwingen Trotz, Resignation und Aufbegehren gleichermaßen mit. Der Track mit dem sperrigen Titel „Something About A Dark Horse or whatever“ ist voller Brüche und Breaks, ein treibender Beat wird jäh gestoppt, um darauf himmelhochjauchzende Vocals und schredderige Gitarren schier explodieren zu lassen. „Gin Divides Us“ lockt auf die Tanzfläche, wobei man für den stampfenden Beat ziemliche Kondition mitbringen muss – den Gin also bitte erst hinterher trinken! „Old Tyme E“ ist für ekstatische Liveauftritte wie geschaffen, inklusive Mitsingrefrain mit vielen „oh oh ohs“. Sybris' Musik ist nicht wirklich modisch, ein Song wie „The Mary“ ist zeitlich kaum einzuordnen, könnte genausogut von 1989 stammen wie von heute. Was aber nur beweist, dass die von Sonic Youth gestartete Revolution noch immer frische Früchte hervorbringt. ◊ ◊ ◊
The Precious Mings Also bitte, was ist das denn für ein Albumtitel? Ein Kätzchen soll sterben, jedesmal, wenn diese angeblich wertvollen Mings eine Platte verkaufen? Na dann sollen die Mings, die die ohnehin nur mäßig lustige Idee hatten, sich alle den gleichen Nachnamen zu geben (hatten das nicht schon während des Pleistozän die Ramones gemacht?) mal bitteschön ungehört und ungekauft in der Versenkung verschwinden! Hat man das anfängliche Mißtrauen aber überwunden und legt die Platte vorsichtig auf (ganz vorsichtig – sind Katzen in der Nähe?), wird man reich belohnt: zwölf genuin britische Popsongs, changierend zwischen Elektropop und Pubrock, garniert mit bissig-zynischen Texten dürften auch diejenigen Hörer wieder ins Boot holen, die der Meinung sind, dass nach dem Ende von Pulp keine geschmackvolle Musik mehr von der Insel kam. Bei „Why Fish R Gr8“ werden fies fiepende Synthies mit sixtiesmäßigem ooh-ooh-Backgroundgesang kombiniert, „Man Monkey“ ist eine nachdenklich-schwermütige Ballade, bei der Elvis Costello Pate gestanden haben könnte, aufrührerisch und tanzbar kommt das stompende „Play With Me“ daher. Des Sängers Stimme wechselt niemals ihre Klangfarbe, was dem Album trotz der höchst unterschiedlichen Songs etwas Stoisch-Devoeskes verleiht. Wer eine Schwäche für britischen Humor und Britpop hat, ist mit dieser Platte hervorragend bedient – trotz des gemeinen Titels. Hinter den Precious Mings steckt übrigens Chikinki-Keyboarder Boris, äh, Ming. ◊ ◊ ◊
Milosh: iii Die neun Tracks auf „iii“, dem dritten Album des kanadischen Electronica-Singer/Songwriters Milosh sind so zart und sanft gewebt, dass man befürchtet, die CD könnte beim Herausholen aus dem Player zerbrechen. Verhaltene Frickelbeats, untermalt von melancholischen Synthiemelodien, perlenden Pianoparts und gaze-leichten Arrangements bilden das wohlige Wasserbett für Michael Miloshs helle Falsettstimme, die Lyrics haucht wie „Remember the Good Things“ oder „Hold My Breath“. Den Atem anhalten möchte man auch beim Anhören von Miloshs Tracks, schon allein, um die Atmosphäre nicht durch unangemessen laute Geräusche zu zerstören. Milosh genoß eine klassische Ausbildung auf dem Cello, was seine Vorliebe zum sanft, aber trotzdem prägnant gezupften Ton erklärt: Bei besagtem „Hold My Breath“ schält sich tatsächlich so etwas wie ein spürbarer Beat heraus, der die Vorstellung leichter macht, dass Michael Milosh ein Instrument wie das Cello überhaupt halten kann. „iii“ entstand während Miloshs einjährigen Aufenthalts auf der thailändischen Insel Koh Samui – wer sich die Reise dorthin nicht leisten kann, aber trotzdem feinen Sand unter den Füßen spüren möchte, exotische Vögel zwitschern hören und dem häßlichen urbanen Alltag entfliehen will, sollte in „iii“ investieren. ◊ ◊ ◊
GOLDStücke: Modern Talking So, jetzt haben wir aber ausreichend geschmackvolle, sophisticatede Platten vorgestellt: wer auch mal komplett hirn- und sinnfrei auf die Pauke hauen will (z.B. bei seiner eigenen Hochzeit), braucht die GOLDStücke-Serie von Hansa, die sich auf grottige Schlagerstars spezialisiert hat UND das essenzielle Modern Talking-Greatest Hits-Album anbietet. Mit allen Hits wie „Geronimo's Cadillac“, „You Can Win If You Want“ und „Cheri Cheri Lady“. Warum tun wir das an dieser Stelle? In der aktuellen SPEX wird schließlich auch H.P. Baxxter von Scooter in der Reihe „Kunstsprache“ gefeaturet. Da können wir auch mal Modern Talking anpreisen. Wenn die keine Kunstsprache entwickelt haben, wer dann? |
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