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André Greiner-Pol (*1952 †2008) Foto © Freygang
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Was hat es mit „Peitsche Osten Liebe“ – was als Kürzel ja Deinen Nachnamen ergibt - als Buchtitel auf sich?
Greiner-Pol: „Das ist Zufall. Wir waren mal in einer Kneipe und haben Piktogramme aufgemalt. Und da haben wir ein Phantasie-Alphabet entworfen und diese Worte haben eben zufälligerweise meinen zweiten Nachnamen ergeben.“
22 Jahre Freygang - höchste Zeit, ein kleines Resümee zu ziehen. Wie lief der Schreibprozeß ab?
Greiner-Pol: „Ja, höchste Zeit stimmt. Hinzu kommt, daß mein Lebenslauf zwischen Amateur- und Profimusiker nicht der „normale“ war. Das war alles ein bißchen durchgeknallt. Aber, um auf Deine Frage zurückzukommen: es ging mir relativ leicht von der Hand, denn ich bin ja auch Textautor. Und mit Literatur hatte ich sowieso immer zu tun. Aber ich wußte nicht, daß es mit dem Schreiben von Stories so leicht geht. Ich hatte zwar mal Tagebuch geführt, aber das war sehr sporadisch. Geholfen hat mir, daß ich eine Sammlernatur bin. Ich bin kein Messie (lacht), aber ich werfe ungern Dinge weg. Ich lagere das irgendwo, wenn ich Platz habe. Und seit 1976 verfaßte ich so ein paar Notizen auf Zetteln, die wiederum in irgendwelchen Koffern verschwanden. Aber dann war es vor zwei Jahren im Winter soweit. Meine Freundin (und Managerin der Band), machte mich an, weil ich mich ein paar Tage langweilte. Und dann fing ich an. Zuerst mit der Geschichte von der Trasse in Rußland, weil das abenteuerlich war. Das habe ich Freunden gezeigt und die fanden das okay. Also habe ich weitergemacht, und das floß dann regelrecht aus den Fingern.“
Welchen Einfluss besaß die Literatur?
Greiner-Pol: „Literatur fing eigentlich mit den ersten Märchen an, die ich als Kind vorgelesen bekam. Als Jugendlicher begeisterte mich Seeräuber-Literatur. Mit 17, 18 fing ich an, mich mit Philosophie zu befassen, was sicher auch ein Verdienst meines damaligen Lehrers war. Ich bin ständig auf der Suche nach Büchern, die ich noch nicht kenne. Lesen ist mir sehr wichtig.“
Wie wichtig sind denn die Texte bei Freygang, denn in der Anfangsphase habt Ihr nur Coverversionen gespielt.
Greiner-Pol: „Die Coverversionen haben bis zu dem Zeitpunkt Spaß gemacht, wo man sie zu oft wiederholt hat. Wir haben hauptsächlich weißen Blues gespielt. Und nach einem Jahr war das Repertoire erschöpft. Wir hatten in der DDR die Gelegenheit, oft zu spielen. Wenn wir gewollt hätten, wäre jeden zweiten Tag ein Konzert gewesen. Damals war mehr los, obwohl man ja sagt, das Angebot wäre heute größer. Aber die Kulturpolitik in der DDR war so ausgerichtet gewesen, daß die Jugendlichen von der Straße geholt werden sollten. Und das klappte. Es gab für uns viel zu tun. Aber nach einer Weile waren wir „abgespielt“. Da wurde es Zeit, für etwas neues. Die deutschen Texte kamen durch Rio Reiser. Ich war vorher voll in der Blues-Szene. Und da bedeuteten deutsche Texte einen Zwang wegen den Kulturbehörden. Hansi Biebl, Monokel, Engerling hatten die deutschen Texte, aber in Dorfsälen haben sie auch die Standards gespielt, was wir auch gemacht haben. Inspiriert haben mich aber eben die Texte von Ton Steine Scherben. So haben wir zum Rock gefunden.“
Haben Ton Steine Scherben auch bewirkt, daß Freygang politischer wurde?
Greiner-Pol: „Nicht nur. Natürlich haben die mir Mut gemacht, meine Gedanken musikalisch zu transportieren. Die Bühne war ein besseres Podium, um etwas zu sagen als mühselig etwas aufzuschreiben, was die Zensur dann wieder einstampft. Das war eine Chance! Viele meiner Freunde waren Liedermacher oder Autoren und die hatten es wesentlich schwieriger. Die wurden kontrolliert. Wir waren draußen auf einem Dorf und da hat kein Hahn nach gekräht. Meist war nur der Dorfpolizist da und der hat nichts verstanden. Die Leute hingegen haben sich wahnsinnig dafür interessiert, was ich da singe.“
Trotzdem dauerte es nicht lange und Freygang waren verboten.
Greiner-Pol: „Das war ja klar, daß die uns irgendwann ableuchten würden. Die wollten uns immer zu Profis machen. Aber das wollten wir nicht. So waren wir Schlichtweg ein Ärgernis – so vom Habitus her. Heute würde sich dafür kein Mensch interessieren. Aber damals warf man uns vor, wir wären zerlumpt, weil wir lange Haare hatten und Parkas trugen. Ich glaube, die haben uns vor allem wegen unserem Outfit gestreßt, denn so gut war die Stasi nicht, daß die gleich mitgeschnitten hätten, was wir da machen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.“ (lacht)
Welche Konsequenz hätte denn eine Profi-Karriere nach sich gezogen?
Greiner-Pol: „Profis wurden „gebügelt“. Du hattest zwar materielle Sicherheit, aber der Preis war, daß du deine Texte vorlegen mußtest, sofern du welche hattest. Und dann wurden dir solche Staatstexter wie Gisela Steineckert vorgesetzt. Das wußte ich, und bei dem Gedanken fühlte ich mich nicht wohl. Das hätte nicht geklappt. Spätestens nach einem halben Jahr wäre die Bombe geplatzt. Sie haben es versucht, mich zum Profi zu machen – aber bei mir war nichts mehr zu machen.“ (lacht)
Von bestimmten Kollegen wurdest du „Punker-Pol“ genannt. War das als Schimpfwort gemeint?
Greiner-Pol: „Mit Abstand betrachtet: eine Mischung aus Abfälligkeit und Bewunderung. Die Häme lag darin, daß behauptet wurde, ich hätte schlechte Musiker. Und Punk war ja räudig. Aber insgeheim haben sich die auch gewünscht, mal lockerer zu spielen und nicht so abhängig zu sein von der „Musik-Polizei“.“
Wie war denn der Kontakt zur Punk-Szene, die sich seit Anfang der 80er Jahre in der DDR im Untergrund etablieren konnte?
Greiner-Pol: „Ich habe registriert, daß die Rockmusik Ende der 70er Jahre durch den Punk noch mal einen Kick bekam. Punk war einfach subversiver. Die Kids, die das gehört haben, waren aber jünger, so um die 16 und ich war damals schon über 25. Ich habe die Musik sehr gemocht, aber es hat sich verboten, als Blueser Punk zu spielen. Tatjana, die heute bei Freygang den Baß zupft, hatte Lust eine Band aufzumachen. Ich habe ihr logistisch und technisch geholfen. Wenn zum Beispiel ein Veranstalter sich nicht traute, Freygang auftreten zu lassen, habe ich ihm gesagt, daß ich eine gute junge Band kenne: die Firma. Die haben natürlich Punk gespielt. Bei den Fans gab es ein bißchen Verunsicherung. Als Punk mit ins Spiel kam – Firma und Freygang haben ja oft zusammen Auftritte absolviert - gab es unter den Fans kleine Streitereien im Saal. Und erst da habe ich die ganz jungen Punks kennengelernt, so Anfang 1981. Da haben wir dann versucht, Pakete zu schnüren. Feeling B waren auch dabei. Damals habe ich mit Aljoscha gut zusammengearbeitet. Später kamen noch Herbst In Peking dazu. Irgendwann haben sich die Blueser und die Punks dann vertragen, weil sie merkten, daß ihre Haltung ähnlich ist. Die Blueser hatten lange Haare aus Protest und die Punks haben die Haare abgeschnipselt – auch aus Protest.“
Protest ist ein gutes Stichwort. Freygang waren über weite Strecken in der DDR verboten. Nicht nur einmal. Wo lag bei Dir die Motivation, weiterzumachen und nicht zu resignieren?
Greiner-Pol: „Ich bin von Natur aus eher optimistisch. Selbst beim Verbot, habe ich versucht, weiterzumachen. Die Motivation setzte sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Bereits zu Zeiten des ersten Verbots hatte ich mir bereits einen Ruf erspielt. Und den wollte ich halten. Ich habe auch daran geglaubt, daß Freygang wieder zugelassen werden. Außerdem ging es mir nicht nur um meine Person. Mir war es wichtig, daß auch andere Musiker, die so gedacht haben, wie ich, eine Plattform finden. Und so habe ich auch alle Kontakte zu den Läden gehalten und denen gesagt, daß ich nicht kommen kann, aber die und die Band kenne. Da habe ich mich ein bißchen auf’s Management konzentriert und auch als Fahrer ausgeholfen. Und das hat mir wahnsinnigen Spaß gemacht, auch während meiner Auszeit weiter zu agieren. Und wenn ich dann irgendwo in einem Saal war, in Sachsen zum Beispiel, haben mich Leute aus dem Publikum erkannt und gemeint: „Mensch André, komm – mach doch mal was.“ Klar, habe ich mir überlegt, ob die mich nicht gleich abholen. Aber meistens bin ich auf die Bühne gesprungen und habe schnell drei Songs gespielt. Das ganze war irgendwie ein Rollenspiel. Und das hat auch Spaß gemacht.“
War Ausreise ein Thema?
Greiner-Pol: „Manchmal stand ich kurz davor. Meist im trüben November, da siehst du im (West-) Fernsehen Bilder aus Neuseeland, und da kommt man schon ins Träumen...Manchmal saß ich in der Kneipe, und habe gesagt, daß ich keine Lust mehr habe. Aber irgendwie ging die Zeit so rum.“
Hattest Du auch manchmal Angst. Die Band Namenlos wurde für ihren Song „Dich überwacht das MfS“ eingeknastet.
Greiner-Pol: Angst nicht. Ich habe ja Knast schon mal Ende der 70er Jahre in Rummelsburg erlebt. Außerdem habe ich nicht so harte Texte gemacht. Ich habe auch nie plakative Songs gemocht. Mir ging um Texte, die ich vertreten kann, im Sinne von Fortschritt oder Sozialismus gar. Unser alter Song „Haste was biste was, haste nichts biste nichts“ ist von den „Neuen Leiden des jungen W.“ inspiriert. Das war ein Text, wo die Kulturfunktionäre dagegen waren, aber es war ganz in der Grundphilosophie, die sie vorgegeben haben.“
Wie hast Du denn die „Wende“ erlebt?
Greiner-Pol: „Das war alles recht abenteuerlich. Jeden Tag war etwas anderes los. Im Mai 1989 habe ich in der Kunsthochschule Weißensee gespielt. Die Studenten hatten ihren eigenen Wahlkreis gehabt. Und da Studenten zumeist ein recht aufmüpfiges Völkchen sind, gab es bei der Kommunalwahl 56% Nein-Stimmen, was sich anderswo niemand getraut hätte. Und bei der Party, auf der wir gespielt haben, habe ich gemerkt, daß was ins Rollen kommt. Wenig später im Sommer auf den Open-Airs fiel mir auf, daß sich beim Abschied alle viel mehr als sonst drücken. Dann kam Ungarn, und es ging alles Schlag auf Schlag.“
Nach der Wende war Freygang unheimlich aktiv, nicht nur musikalisch: Sperrung der Oberbaumbrücke, Besetzung des Eimers und dessen Ausbau zum Kulturzentrum. Gründung des Kunst-Hauses „Tacheles“. Damals gab eine unglaubliche Aufbruchstimmung. Wenn Du die Zeit mit heute vergleichst...
Greiner-Pol: „Heute ist alles ein bißchen elegisch geworden. Die ehemaligen „Aktiv-Häuser“ werden mittlerweile vom Kommerz bestimmt, auch wenn es nach außen gar nicht so aussieht. Aber sonst könnten sie auch gar nicht existieren. Alles ändert sich. Aus ehemaligen Hausbesetzern werden Hausbesitzer. Die Leute sehnen sich nach Sicherheit. Und das kann man ihnen wahrscheinlich gar nicht verübeln. Anfang der 90er war eine schöne Zeit. Auch eine sehr kreative Zeit. Aber das ist vorbei.
Wir fahren oft ins Riesengebirge nach Polen. Das gab es bereits vor 100 Jahren eine Art Aussteiger-Bewegung von Künstlern aus Berlin. Gerhart Hauptmann war da auch, und natürlich die ganzen Künstler um Hauptmann herum. Heute gibt es dort ganz spezielle Festivals, da hört hier keiner von. Das sind internationale Festivals. Und da hole ich im Moment viel Kraft her. Die Besetzer-Szene saugt nämlich auch ein bißchen aus. So viele Menschen auf einem Haufen...“
Wäre denn auch eine Art Fresenhagen für Freygang möglich?
Greiner-Pol: „Es ist ja im Prinzip schon fast so. Nur, daß wir diesen Punkt im Ausland haben und nicht in Deutschland. Wir wollten es eigentlich zur Erholung nutzen, aber Du weißt ja, wie das ist, wenn man mit einer Sache intensiv beschäftigt ist, geht es dort weiter. Fresenhagen war aber viel größer als Kommune angelegt. Mit 30, 40 Leuten. So etwas würden wir gar nicht machen wollen, weil die Leute hier in Berlin eh alle was zu tun haben. So aussteigermäßig sind wir nicht drauf. Wir wollen auch nicht von einer Insel zur anderen.“ (lacht)
Ihr konntet erst nach der Wende Platten veröffentlichen. Eure erste offizielle LP ist gleichzeitig die letzte, die überhaupt in der DDR gepreßt wurde: „Die letzten Tage von Pompeij“. Seitdem sind etliche erschienen. Mit „Golem“ hätte es fast schiefgehen können...
Greiner-Pol: „Es ist ja schief gegangen. Hätten wir damals eine Plattenfirma gehabt, wären die Probleme nicht gekommen. Aber dadurch, daß wir alles selber bezahlt haben, hat es fast die Band aufgerieben. Es war hart an der Grenze. Und so möchte ich es nicht noch mal machen. Es war auch keine typische Freygang-Platte, sondern ein Experiment. Ein Experiment, das sich eigentlich nur Leute leisten können, die genügend Geld haben. Nun ist sie weg. Ich überlege, ob ich noch eine Auflage mache, denn die Leute fragen danach. Aber ich glaube, es ist wie in der Sage von Gustav Meyrink – der Golem kommt alle 33 Jahre.“
Neulich habt Ihr im Berliner Tacheles zusammen mit Herst In Peking, Ich-Funktion, Bert Papenfuß und Trötsch (Ex-Firma) gespielt. Wie ist das Verhältnis zu den Kollegen aus dem ehemaligen Underground?
Greiner-Pol: „Ich denke, wir haben uns auseinandergelebt. Privat nicht - wir sind noch alle gute Freunde – aber eben musikalisch. Künstlerisch sind wir sehr auseinander gedriftet. Von Herbst In Peking war an dem Abend als Band nichts mehr zu hören. Rex hat da ein anderes Projekt daraus gemacht, was er noch so nennt. Bert geht nicht auf einer Rock`n`Roll-Bühne. Ich-Funktion waren ja die einzigen, die noch als Band gespielt haben. Key trägt noch immer seine Texte vor. Nur ist letztes Jahr leider Tschaka gestorben, der ebenfalls Gründungsmitglied war. Die Ich-Funktion hat sich auch nie finanziell durchgesetzt. Daher müssen die noch was anderes nebenher machen und können nicht so viel spielen, wie sie gern würden. Es gab früher so viele Bands, aber die haben sich mittlerweile alle aufgelöst. Ist ja auch ein harter Job. Dein „normales“ Leben kannst Du dann echt vergessen. Und wenn Du es so machst, wie ich, fängst Du ein normales Leben gar nicht erst an.“ (lacht)
Ständig wird die Phrase gedroschen, Rock sei tot. Ziehen Rockbands noch genügend Publikum?
Greiner-Pol: „Genug sowieso nie. Wo ist die Grenze?“
Um zu überleben.
Greiner-Pol: „Um zu überleben, muß man keine Musik machen. Wenn man die Musik liebt, denkt man nicht ans Geld. Wenn man einmal Blut geleckt hat, will man immer wieder spielen. Das würde man auch für umsonst machen. Ich sagte ja schon, wenn die Spielmöglichkeiten hier schlechter werden, weil die Agenturen sich immer Läden kaufen, wo sie ihre Bands spielen lassen, dann weicht Freygang ins Ausland aus. In Polen zum Beispiel ist es auch nicht so spartenmäßig.“
Das Konzept, verschiedene Sparten zu mischen, verfolgt Ihr auch bei Eurem eigenen Festival in Hohenlübbesee. Rock, Punk, Metal. Wie klappt das?
Greiner-Pol: „Sehr gut. Wir laden viele junge Bands ein, die sonst kaum eine Möglichkeit haben zu spielen. Das Festival hat sich etabliert. Dieses Jahr sind auch wieder Dritte Wahl und No Exit dabei. Eine Band kommt aus Brandenburg. Eine Schülerband. Die spielen nur Roling-Stones-Titel nach. Keith Richards spielt ja seine Gitarre nur mit fünf Saiten. Das macht den eigentümlichen Sound aus. Und den Trick hat der 17jährige Gitarrist auch raus. Die Musik ist ja eigentlich alt. Und da muß ich auch ein bißchen an mich denken, als ich so 20 war. Da habe ich auch alte Musik nachgespielt. Schwarzen Blues.“
Gibt es denn auch neue Musik, die noch stark auf Dich wirkt?
Greiner-Pol: Ich suche ja. Aber es gibt immer weniger. Was ich im Radio höre, kann ich gar nicht mehr ertragen. Ich kann auch diesen Satz „70er, 80er, 90er“ nicht mehr hören. Ich suche. Auch in Polen bei der Folklore. Elektronische Musik imponiert mir nicht so sehr, weil ich weiß, wie sie gemacht wird. (lacht)
Vielen Dank für das Gespräch!