In ihrer bald 20-jährigen Geschichte haben Ulver Black Metal, Folklore, Jazz, TripHop, Ambient und Techno aufgenommen. Sie wurden von mancher Unterground-Bewegung verehrt und fallen gelassen, vom norwegischen Kultusministerium gefördert, von Filmemachern als Komponisten für Soundtracks entdeckt und von einem norwegischen Literaturfestival nach 15-jähriger Bühnenabstinenz für einen Auftritt engagiert. Ihr noch aktuelles Album „Shadows of the Sun“ definiert, wie sakrale Musik heute klingen muss und baut Brücken zu allen vorherigen Veröffentlichungen. Sänger Kristoffer G. Rygg hat mit satt.org über die „Teachings in Silence“ (2002) gesprochen und erklärt, warum Stille als Thema jeden Musiker reizen sollte, weshalb es beim ersten Konzert Ulvers in Lillehammer ganz und gar nicht still war und was Ulvers Konzept von Dunkelheit von dem so vieler Metal-Bands unterscheidet.
Marcel Tilger: Ist Stille für einen Musiker wie das weiße Blatt Papier für einen Autor?
Kristoffer G. Rygg: Dieser Vergleich liegt auf der Hand – und trifft dennoch nicht den Kern. Stille ist mit Musik unmöglich einzufangen. Es ist ein Ideal, an dem man scheitern muss. Denn anders als das leere Blatt Papier des Schriftstellers existiert absolute Stille überhaupt nicht, nirgendwo.
Ulver haben stets das Unmögliche versucht.
Dieser Eindruck kann entstehen. Ich würde das so aber nicht sagen. Ulver stehen für Fortschritt, für die Suche nach neuen Herausforderungen – deshalb unser Statement auf der „Metamorphosis“-EP. Uns reizt das Spiel mit Gegensätzen. Auf „Themes From William Blake’s the Marriage of Heaven and Hell“ hat das erst seinen Anfang genommen. Stille ist das ultimative Gegenstück zu Musik. Wer als Musiker Ambitionen hat, muss sich daran versuchen.
Erinnerst du dich noch daran, womit die Arbeit an den „Teachings in Silence“ begonnen hat?
Ich habe irgendwo die Zeile „Silence Teaches You How to Sing“ gelesen. Sie war Titel und Ausgangspunkt für den ersten Teil unseres „Silence“-Zyklus’. Stille repräsentiert für mich auch eine manchmal schwer auszuhaltende Facette von Einsamkeit, die sich mit Gesang, mit Schreien, mit Sprechen nicht durchbrechen, aber zumindest erträglicher machen lässt. Nicht umsonst scheinen mir einsame Menschen eher Selbstgespräche zu führen. In diesem Sinne ist unsere Musik nicht nur ein Versuch über die Stille, sondern auch über die Einsamkeit. Seit der Blake-Vertonung sind wir zudem sehr von den Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung fasziniert. Uns interessieren Töne an sich. Das geht vom Herzschlag eines Menschen bis hin zu schrägen maschinellen Geräuschen. Die „Teachings in Silence“ schienen uns ein geeignetes Umfeld, um auf diesem Weg voranzukommen.
Ist heute alles, was ein Geräusch erzeugt, ein potentielles Instrument für Ulver?
Absolut. Für uns gibt es keine Grenzen, wenn es um Musik geht.
Wie übersetzt ihr eure Ideen in Musik?
Das ist von Fall zu Fall verschieden. Der eine Weg geht von der Idee aus und sucht nach Klängen, die dieser Idee am nächsten kommen. Auf „Blood Inside“ sind wir ihn mit „Your Call“ gegangen, wo während des gesamten Stückes das Klingeln eines Telefons zu hören ist. Der andere Weg ist der abstraktere, der vom Klang aus geht und diesen in verschiedenen Kontexten neu und anders interpretiert.
Auch wenn das Motto für „Blood Inside“ „Viva Megalomania!“ war – seit dem Blake-Album scheinen Ulver nach der Devise kleine Geste, große Wirkung zu arbeiten. Oder wie Blake es ausdrückt: „To see a World in a Grain of Sand / And a Heaven in a Wild Flower, / Hold Infinity in the palm of your hand, / And Eternity in an hour.“
Richtig, wir gehen seit „Themes From William Blake’s the Marriage of Heaven and Hell“ subtiler – oder besser: bewusster mit Klängen um. Gleichzeitig wird uns die Liebe zu beinahe barocker, pompöser Musik nie abhanden kommen. Zwei Herzen schlagen in unserer Brust – und es ist auch für uns am Anfang immer schwer vorherzusagen, welche Seite am Ende prägend für die Atmosphäre eines neuen Albums sein wird. Bei mir selber stelle ich mittlerweile eine ziemliche Rigorosität fest, die wahrscheinlich auch daher rührt, dass selbst in der so genannten unabhängigen Musik vieles keine Haltung mehr hat und als ein immer währender, unerträglich seichter musikalischer Brei dahin fließt. Besser, etwas ist schwarz oder weiß als ein mediokeres Grau!
Die Gefahr, am Ende mit bloßem Lärm oder mit Nichts, mit Leere da zu stehen, scheint dabei aber groß. Sind Ulver jemals an einem Punkt gewesen, an dem ein Verlust der Musik drohte?
Damit beschäftige ich mich nicht. Für mich ist die so genannte Anti-Musik mindestens so musikalisch und spannend wie das, was für die meisten Leute Musik ist und im Radio rauf und runter gespielt wird. Drone, das per Definition nicht mehr ist als ein einziger lange gehaltener Ton, kann genauso faszinierend sein, wie auf Melodien, Harmonien und Rhythmen basierende Musik. Wir stehen, glaube ich, zwischen diesen beiden Welten.
Melodie, Harmonie, Rhythmus und Tempo – die Dekonstruktion von welchem dieser Bestandteile von Musik war entscheidend für die Atmosphäre von „Teachings in Silence“?
Tempo, würde ich sagen.
Warum wird Stille so oft mit dunklen Bildern visualisiert?
Objektiv existiert keine Stille. Selbst gehörlose Menschen nehmen ein gewisses, undifferenziertes Grundrauschen wahr. Im alltäglichen Sprachgebrauch hat das Wort eine andere, subjektive Bedeutung. Wir empfinden es als still, obgleich wir Regen fallen oder den Wind durch Blätter fahren hören. Stille in diesem Sinn bedeutet die Abwesenheit von Menschen, von Musik und von vielem anderen. Nachts ist diese Stille wahrscheinlicher.
Der niederländische Autor Cees Nooteboom hat den Wind, das Schreien von Möwen, das Rauschen des Meeres einmal als Nuancen der Stille beschrieben.
Das klingt poetisch, ist streng genommen aber Unfug. Es gibt keine Nuancen, keine Variationen von Stille. Das einzige, was sich mit Stille gleichsetzen lässt, ist der Tod. Und deshalb hat Stille schon immer in das Universum von Ulver gehört...
Ihr hebt euch damit sehr von dem ab, was extreme Metal-Bands anstellen, um Tod, um Dunkelheit in ihrer Musik gegenwärtig zu machen.
Die ganze Wahrnehmung von Dunkelheit in der Metal-Szene trägt für mich comichafte Züge und hat deshalb nichts zu tun mit irgendeiner reellen Form von Dunkelheit, also wirklichen Schmerzen oder wirklicher Angst. Auch aus diesem Grund klingen viele Death- und Black-Metal-Bands für mich nicht wahrhaftig; sie kokettieren mit etwas, das sie nicht verstehen. Wir wollen nicht aus der Lust an der Angst Angst machen, sondern tun das am Ende nur, weil wir unseren Finger auf Dinge legen, die in dieser Welt traurig und wahr sind.
Ulver haben mit extremer Lautstärke und extremer Stille experimentiert. Welche Musik ist für dich heute noch subversiv?
In moderner Musik steckt für meinen Geschmack nicht mehr viel subversive Kraft. Ich lebe in der Vergangenheit, wenn es um Musik geht. Subversivität hat allerdings nichts mit der Flucht in Extreme zu tun. Auch Schönheit kann subversiv sein, wenn sie in einem hässlichen Umfeld erscheint.
Wie weit seid ihr in eurer Erkundung der Stille mit „Silence Teaches You How to Sing“ und „Silencing the Singing“ gekommen?
Soweit wir konnten. Stille ist im Kosmos von Ulver ein elementarer Bestandteil geworden, zu dem wir ab und an zurückkehren werden.
Ihr habt einmal gesagt, dass es nicht wichtig ist, welcher Musiker bei Ulver für welches Instrument und welche Idee verantwortlich ist.
Der Mainstream ist heute heilig gesprochen und niemand traut sich mehr, dagegen etwas zu sagen. Ulver sind kein Teil dieser Bewegung; unsere ersten künstlerischen Überlegungen werde niemals den Plattenverkäufe oder unserem persönlichen Ruhm gelten. Das Konzept „Ulver“ ist uns weit wichtiger als auszubreiten, von wem welche Melodie-Linie stammt und wer sie womit eingespielt hat. Ulver ist mehr wie eine Idee – und die Musik ist das Vehikel, das diese Idee trägt.
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Shadows of the Sun
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Auch auf „Shadows of the Sun“ spielt Stille eine Rolle. Sie hat aber diesmal eher etwas Andachtvolles. Überhaupt klingt das Album sehr sakral. Ist religiöse Kunst heute ein großer Einfluss für euch?
Ich stimme dir zu, „Shadows of the Sun“ ist ein sehr sakrales Album. Arvo Pärt und andere religiöse Kunst hat für uns schon immer eine Rolle gespielt. Unser Ansatz war, Musik zu schreiben, die sehr weihevoll klingt, während das lyrische Konzept sehr weltlich ist. Wie gesagt, wir mögen Kontraste. Es lebe die Megalomanie, es lebe die Stille! Es gibt einen Weg, mit Kontrasten zu arbeiten, der sie zu einander in Beziehung setzt und miteinander interagieren lässt.
Als ich „Shadows of the Sun“ zum ersten Mal gehört habe, war mir klar, dass Ulver dieses Album irgendwann machen mussten. Die Musik berührt unzählige Punkte, die in eurem Schaffen immer schon angelegt gewesen sind.
Das ist eine sehr schöne Beobachtung.
Im Mai habt ihr euer erstes Konzert gegeben. War das ein Weg, die Stille zu brechen und damit einen Anfangspunkt für neue musikalische Unternehmungen zu setzen?
Das war eher ein Brechen mit meinen mir selbst auferlegten Regeln. Während unseres ersten Auftritts war ich nicht entspannt genug, um es genießen zu können. Seitdem haben wir aber unter anderem in London gespielt. Dort hat sich bei mir zum ersten Mal ein Gefühl dafür eingestellt, was ich da überhaupt gerade mache. Und das nimmt den Druck, sich nur auf das Reproduzieren der Musik an sich zu konzentrieren.
Wie hast du die Stille auf der Bühne erlebt?
Gerade in Lillehammer hatten wir ein nahezu andächtig zuhörendes Publikum; ich habe mir sagen lassen, man konnte hören, wie wir uns unsere Zigaretten angezündet haben... Auf der Bühne erlebt man diese Stille mit Nervosität. Am Ende gab es massiven Applaus. Große Kontraste, wie immer bei Ulver!