Antimatter: Alternative Matter
Ob auch in Zeiten von iTunes, MySpace und Co. noch Menschen für physische Tonträger zu begeistern sein werden, ist für die Plattenfirma Prophecy offenbar nie eine ernstzunehmende Frage gewesen: Schon in den Anfangstagen legten die Zeltingen-Rachtiger ihren Veröffentlichungen Weine (Nox Mortis) oder Gedichtbände (Paragon of Beauty) bei, die diese Editionen einerseits zu gesuchten Sammlerobjekten machten und andererseits die oft auch alleine einnehmende Musik um neue Dimensionen bereicherten. Insofern feiert »Alternative Matter« vielleicht nicht bloß den gerade einmal zehnten Geburtstag von Antimatter, sondern bestätigt gleichzeitig einen vor vielen Jahren eingeschlagenen Weg.
Wer jetzt den großformatigen Einband aufschlägt, könnte trotz der beiliegenden DVD und der drei CDs den Eindruck gewinnen, es handele sich bei »Alternative Matter« um einen opulent ausgestatteten Bildband. Das feste Papier bringt die auf 100 Seiten aus allen Ecken der Welt zusammengetragenen, stimmungsvollen und oft sehr hochwertigen Fotografien perfekt zu Geltung. Würde es den sechs Seiten langen, von Mick Moss geschriebenen Essay über den Werdegang seiner Band nicht geben – man könnte die Geschichte selbst anhand der Bilder erzählen, die die wachsende Besetzung, das sich verändernde Instrumentarium, die unterschiedlichen Kooperationen mit anderen Musikern, die atmosphärischen Verschiebungen in der Musik und selbst die Trennung von Duncan Patterson anspielungsreich dokumentiert.
Dass alle 29 enthaltenen Stücke interessanterweise atmosphärisch an die Zeit anknüpfen, als Patterson noch in der Band und das mit allerlei Rock-Elementen liebäugelnde »Leaving Eden«-Album noch nicht erschienen war, sollte indes weder als Zeichen für die baldige Rückkehr des sich heute auf on konzentrierenden Gründungsmitglieds noch für eine auch in Zukunft wieder minimalistischer, stiller klingende Musik gewertet werden. Antimatter haben ihr Archiv geöffnet – und dabei Coversongs (von Dead Can Dance und Depeche Mode), Demos, Live-Aufnahmen oder alternative Versionen ans Licht gebracht, die sich von den veröffentlichen Stücken manchmal nur marginal (in »Landlocked« fällt jetzt Regen), manchmal dramatisch unterscheiden. »Epitaph« etwa hat in seinem sehr melancholischen, sehr vom Piano dominierten neuen Gewand gegenüber dem »Planetary Confinement«-Original klar an Intensität gewonnen. Gleiches gilt für das in zwei Varianten vertretene Lied »Flowers«, bei dem einmal Lisa Cuthbert am Klavier unterstützt und einmal Anathema-Gitarrist Danny Cavanagh singt, mit dem Moss 2001 in Liverpool einen großen Teil des Antimatter Debütalbums »Saviour« noch einmal unplugged aufnahm. Die Remixe funktionieren hingegen nur dort, wo vorher schon eine Basis mit Samples und anderen elektronischen Klangerzeugern gelegt worden ist (»Expire« im Lackluster-Remix und »Terminal« im von Patterson besorgten Mix). Bei den Demos fällt der Sound naturgemäß ab. Hörenswert macht sie der Vergleich mit den finalen Albumversionen – und damit die Chance, einen tiefen Blick auf die Arbeitsweise, in die Werkstatt einer Band zu werfen.