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22. November 2013
Thomas Vorwerk
für satt.org

  »Kickback City« von Rory Gallagher, Ian Rankin & Timothy Truman
»Kickback City« von Rory Gallagher,
Ian Rankin, Aidan Quinn & Timothy Truman
Box-Set mit Buch und drei CDs
Sony Music 2013
» Verlag
» amazon

»Kickback City« von Rory Gallagher, Ian Rankin & Timothy Truman
»Kickback City« von Rory Gallagher, Ian Rankin & Timothy Truman
»Kickback City« von Rory Gallagher, Ian Rankin & Timothy Truman
»Kickback City« von Rory Gallagher, Ian Rankin & Timothy Truman
»Kickback City« von Rory Gallagher, Ian Rankin & Timothy Truman


Kickback City

Rory Gallagher veröffentlichte als Gitarrist und Sänger viele Solo-Alben, Singles waren eher nicht so sein Ding. Deshalb war (und ist) er auch vor allem einem eingeschworenen kleinen Kreis von Fans bekannt, die vor allem seine Live-Auftritte liebten. Es ist nicht verwunderlich, dass er seine höchste Chartpositionierung (Platz 9 in England) mit einem Live-Album erreichte. Das war 1972.

Gallagher verstarb 1995, mit 47 viel zu früh. Sein Bruder Donal Gallagher initiierte jetzt ein außergewöhnliches Projekt, dass eine neue Kompilation von 14 Songs mit einer eigens erstellten Kurzgeschichte des Krimiautoren Ian Rankin kombiniert. Ein 44-seitiges Hardcover bietet die Detektivgeschichte, die von Rorys Songs inspiriert wurde, zusätzlich gibt es Illustrationen vom Comiczeichner Timothy Truman, veredelt wird das »Package« von vier Postkarten mit Truman-Motiven, jener »Haupt-CD«, die sozusagen den Soundtrack zur Geschichte liefert, sowie ferner einer Live-CD, die in Rorys Heimat Cork aufgenommen wurde (und bisher nur als DVD erhältlich war), und einem Hörbuch, auf dem Aidan Quinn, den das Pressematerial allen Ernstes als »Hollywood-Star« bezeichnet, in überzeugender Weise die Rankin-Geschichte The Lie Factory vorträgt.

Neben diesem »physischen Tonträger« (kann man anfassen, drin blättern und die CDs als Untersetzer oder Frisbees missbrauchen) gibt es auch ein »Deluxe Digital Package«, das einem vermutlich die Postkarten vorenthält, dafür aber ein »Making Of« und ein animiertes Promo-Video zu The Lie Factory bietet.

Auf den ersten Blick positiv erscheint es, dass man das komplette Paket im englischen Original beließ. Da sich der Zusammenhang zwischen Songs und Kurzgeschichte vor allem erschließt, wenn man auch die Songs literarisch durchleuchtet, zeugte es von einer gewissen Intelligenz, dass man nicht einfach alles (also auch die nicht im Lieferumfang enthaltenen Lyrics) kurzerhand ins Deutsche übersetzte. Dies bietet auch dem Rezensenten Möglichkeit zur tiefergehenden Recherche.

Dass Gallaghers Songs mit Titeln wie Continental Op, Loanshark Blues oder Doing Time dem hard-boiled detective Genre verpflichtet ist, kann man kaum leugnen. Die Herangehensweise Rankins, die Songtexte als Inspiration zu nutzen, erinnert aber vor allem an Musical-Projekte wie Falco meets Amadeus, Hinter dem Horizont, Mamma Mia oder Ich war noch niemals in New York.

Entsprechend liefert so auch ein Song den Titel des Projekts, wobei bereits auffällig ist, dass sowohl »Kickback City« als auch »The Lie Factory« eine Stadt bezeichnen, Rankin aber für seine Kurzgeschichte offenbar nicht den Songtitel übernehmen wollte, sondern zu einer vermeintlich literarischen Umschreibung griff. Während der private investigator Regan in einem Mordfall ermittelt, trifft er natürlich mehrfach auf Falschaussagen, er verdeutlicht aber schon ganz zu Beginn, dass die Stadt auf Lügen aufgebaut ist. Etwa die Besitzerin des »Deli« gegenüber, die vorgibt, es ginge ihr gut, obwohl sie doch jene Art von Krebs hat »that takes its own sour time« (Gallaghers Lebertransplantation kam für ihn zu spät). Oder Stella, die Angestellte im Diner, die auf die Frage, ob der Fisch frisch sei, angibt »delivered this morning«, dabei aber tunlichst den Blickkontakt vermeidet. Und der Fisch selbst offenbart die Wahrheit so wie der gepanschte Whisky etwas später.

Auch Gallaghers »Kickback City« zeugt von der depressiven, pessimistischen Stimmung, die The Lie Factory durchzieht – »Here in Kickback City you're lost before you start«. Trumans Illustrationen haben meistens auch einen kleinen Textteil. Hierbei wird die Beziehung zwischen der Kurzgeschichte und ihrem »Soundtrack« verdeutlicht. Das geht ganz einfach: man benutzt einen Songtitel und stellt ein Zitat aus der Geschichte darunter, so auch gleich zu Beginn, wo Regan (auf der Illustration) durch die Jalousie auf die Stadt blickt. Dass es sich hierbei um drei unterschiedliche Interpretationen einer Stadt handelt, wird nicht problematisiert, die »Visionen« der drei Männer (natürlich sind Rankin wie Truman Verehrer Gallaghers) sollen gemeinsam »verschmelzen«. Um dies noch zu unterstützen, gibt es auch mal ein Konzertplakat, dass Rory zeigt (mit Namensnennung), als Veranstalter aber eine fiktive Figur aus der Kurzgeschichte angibt. Im Pressematerial erfährt man weiterhin, dass in Timothy Trumans Comicserie Grimjack schon 1984 ein Plakat eines Musikers zu sehen ist, der Gallagher sehr ähnelt. Und Ian Rankin spielt angeblich mit einer Idee, die er als besonders clever ansieht: In einem noch ungeschriebenen Roman mit seinem Dauerhelden Rebus (15 Romane, viele fürs Fernsehen verfilmt) könnte dieser vielleicht dieser CD lauschen und / oder die Kurzgeschichte von Rankin lesen. Wow, Selbstreferentialität und Postmoderne – zwei Fachbegriffe, die ich nie zuvor vernahm!

Zurück zu den Songs (rein musikalisch möchte ich mich dazu nicht ausführlich äußern – ich mag Gitarrenrock durchaus, aber dann lieber Neil Young, Bob Mould, PJ Harvey oder Billy Bragg – selbst Bruce Springsteen ist in meinen Augen schon etwas überschätzt). In Loanshark Blues geht es um einen verschuldeten Familienvater mit »einem Fuß im Grab«, in The Lie Factory ist es eine Society-Dame, die mich stark an The Big Sleep erinnert (reicher Vater mit zwei Töchtern, für ein Techtelmechtel oder auch nur ausgeprägte Promiskuität reichen die 18 Seiten der Kurzgeschichte nicht), wobei man auch eine Parallele zu Chinatown entdecken könnte.

»Bloodstains on the dress of the millionairess – that's from a song, isn't it?« In der Tat – und wie es jene doppelseitige Truman-Illustration, die tatsächlich mal mit einigen Panelumrandungen, die so etwas wie eine Narration andeuten, verrät, heißt dieser Song Continental Op – ein klarer Verweis Gallaghers auf Dashiell Hammett. In diesem Song gibt es immerhin auch die Zeile »Don't give this man a ride / Lock your car from the inside«, eine Szene, die man auf der Trumanzeichnung (aus dem Inneren eines Autos) ohne Probleme wiedererkennt, während sie in die Kurzgeschichte schon schwieriger einzupassen ist. Die Grenzen zwischen den Welten der drei Künstler verschwimmen, aber dies ergibt nicht den Eindruck von einem durchdachten, komplexen Konzept, sondern eher von einer gewissen Schludrigkeit, die das so ehrenvoll erscheinende Projekt befleckt.

Ob der Slumming Angel (»lost on the wrong side of the tracks«), der Boxer Kid Gloves (»I’ll do anything but dive«) oder der Sinner Boy, ein Spitzname, den Rankin umständlich erklärt, man übernimmt die Archetypen aus den Songs (manch einer würde sie als mythisch bezeichnen, ein anderer vielleicht als holzschnittartig), baut eine suboptimal inspirierte Geschichte drumherum, und Truman zeichnet ein bisschen dazu. Im Pressematerial heißt letzteres dann »beeindruckende Illustrationen«, doch wenn man wie ich in den 1990ern so ziemlich alles von Tim Truman gelesen und gesehen hat, ob seinen Pulp-inspirierten The Spider, seinen Beitrag zu DCs Jonah Hex und Hawkworld bzw. -man, seine Illustrationen zu Sachbüchern über Native Americans (Tecumseh, Wilderness) oder den thematisch verwandten Turok, Dinosaur Hunter für Valiant Comics, muss man attestieren: In jedem einzelnen dieser Projekte (die sich auch je durch eine Verbundenheit mit der Natur auszeichnee) steckt mehr Herzblut als in den austauschbaren urbanen Noir-Allgemeinplätzen und Klischees, die er hier vermutlich sehr schnell ablieferte. Die Knöpfe am Trenchcoat sind nicht nur unregelmäßig, sie sehen teilweise sogar wie copy/paste aus. Und Rankins Kurzgeschichte (man entblödet sich nicht, 18 Seiten tatsächlich als »novella« anzupreisen) hat mich sogar ein wenig abgestoßen, weil das Ende zwar so ähnlich klingen soll wie bei The Maltese Falcon (natürlich spricht man im Pressematerial nur von Philip Marlowe, obwohl die Parallele zu Sam Spade sich viel stärker aufdrängt), die Bösartigkeit des Detektivs aber in keinem Verhältnis steht zum normalerweise obligaten Ehrenkodex. »Regan, P.I.« wählt eine vermeintlich härtere Strafe für die schuldige Person, lässt aber dabei (zumindest implizit) einen Unschuldigen verhaften und mehrere Schuldige eher unbeleckt. Und einer der letzten Sätze ist »Life, in that moment, was good«. Weil gerade die Sonne scheint und er bald wieder in seinem Büro sitzt. Diesen unbekümmerten Zynismus findet man bei Hammett nur selten (Hammett lässt eigentlich immer eine Wertung mitklingen), und in den Songs von Rory Gallagher habe ich dies auch nicht angetroffen.