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Februar 2008
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Felix Giesa
für satt.org |
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Warum ich Pater Pierre getötet habeWer hat denn nun wirklich Recht? Die Hippies oder die Kirche? Immer wieder dringen Berichte von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Geistliche der katholischen Kirche an die Öffentlichkeit. Letztes Jahr zahlte sogar die Diözese Kaliforniens Unmengen als „Abfindung“, um einer Sammelklage zu entgehen. Bei all diesen erschütternden Fällen mag man sich immer wieder fragen, wie es im Einzelnen dazu kommen konnte. Warum Eltern und andere Erwachsene nichts bemerkt haben, nichts bemerken konnten. Der Autor Olivier Ka wurde im Alter von zwölf Jahren von seinem „Freund und Kumpel“ Pater Pierre missbraucht. Bei Carlsen liegt sein letztes Jahr in Angoulême ausgezeichnete autobiographische Comic über diesen Vorfall nun auf Deutsch vor. Olivier Ka beginnt seine Erzählung mit einer kurzen Episode, in der er berichtet, wie er als Siebenjähriger bei seinen Großeltern zu Besuch war. Das streng katholische Paar nimmt ihn immer wieder mit in die Messe. Der kleine Junge erlebt die monotonen Abläufe in der Kirche als erdrückende Beklemmung, die bis zu einem körperlichen Unwohlsein führen. Ebenfalls erfährt er hier von der Hölle und warum man dort hinkommt: „Wenn man seinen Piephahn anfasst, zum Beispiel.“ Mit Bedacht platziert Olivier Ka genau diese Episode am Anfang des Buches, legt sie doch den Grundstein für seine weitere Persönlichkeitsentwicklung. Immer ähnlich kurze Episoden schildern Einblicke in die Kindheit des kleinen Olivier. Seine freizügigen und alternativen Eltern vermitteln ihm eine vollkommen andere Lebensweise als die bigotten Großeltern. Dieses erscheint ihm schlüssiger und er hört auf an Gott zu glauben. Bis er mit neun Jahren Pater Pierre kennen lernt. Dieser ist „cool. Ein linker Priester.“ Olivier fühlt sich zwischen beiden zerrissen: zwischen der Freiheit seiner Eltern und der Gottesfurcht Pierres. In dieser Situation ist es Pierre der während einer Ferienfahrt immer mehr das Vertrauen des Jungen gewinnt – und dieses schlussendlich missbraucht. In den folgenden Schilderungen berichtet der Autor, wie dieses Erlebnis sein ganzes Leben nachhaltig beeinflusst hat und wie er selbst zwanzig Jahre später noch darunter leidet. – Bis er beschließt alles niederzuschreiben und als Comic zu veröffentlichen. In Alfred findet er einen beeindruckenden jungen Illustrator, der hierzulande noch vollkommen unbekannt ist. Den jeweiligen Motiven und Stimmungen passt Alfred seinen Zeichenstil an und schafft es so beeindruckend die Handlung auf der Bildebene zu ergänzen und zu kommentieren. So werden frühe Episoden durch eine dunkle Schraffur betont und so bedeutungsschwanger für das Folgende aufgeladen. Den Übergriff Pierres muss er nicht in expliziten Bildern darstellen, sondern er lässt die Handlung regelrecht im Dunklen. Lediglich Schemen sind erkennbar, die Tat erzählt nur der Text. Einen späteren Zusammenbruch gibt er wieder, indem er den herkömmlichen Zeichenstil und das Panelschema aufgibt und ins Surreale verändert. Unterstützt wird dieser graphische Eindruck noch durch die herrliche Kolorierung Henri Meuniers. „Warum ich Pater Pierre getötet habe“ knüpft sowohl erzählerisch als auch gestalterisch an die neue frankophone Tradition solcher Künstler wie Manu Larcenet. Die schonungslose Wiedergabe der eigenen Vergangenheit und die detaillierte Selbstreflexion, die man aus Werken wie „Blankets“ oder „Persepolis“ kennt, machen auch „Pater Pierre“ zu einem nachhaltigen Comicerlebnis. Bewundernswert ist aber vor allem der Mut, mit dem Olivier Ka seinen Peiniger anklagt.
Olivier Ka (Text), Alfred (Adaption und Zeichnungen) |
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