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19. März 2009
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Sven Jachmann
für satt.org |
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TrauerspieleDie autobiographische Darstellung von Jugend und Adoleszenz im Comic mag dem heutigen Leser selbstverständlich erscheinen. Sie wäre aber sicher nicht in einer solchen Bandbreite vorzufinden, ohne die so genannten „New Comics“, wie man im Comics Journal diese Entwicklung zur Introspektion vor allem im nordamerikanischen Raum Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre zu kategorisieren versuchte. Was sich damals im Umfeld des kanadischen Verlags und der gleichnamigen Zeitschrift Drawn & Quarterly tummelte, darf heute mit Fug und Recht zu den kanonisierten, zeitgenössischen Klassikern gezählt werden, darunter solch unterschiedliche AutorInnen wie Julie Doucet, Seth, Joe Matt, Mary Fleener, Adrian Tomine oder eben Chester Brown. Vor allem Reprodukt und Edition 52 vollbrachten und vollbringen redliche Fleißarbeit, um deren Werke auch einem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Dies galt auch für den bereits vor einigen Jahren leider dahingeschiedenen Berliner Verlag Jochen Enterprises, zu dessen ersten Veröffentlichungen u.a. Browns vorliegende coming of age-story gehörte (neben seinen weiteren zentralen Arbeiten Die Playboy-Stories und ED the Happy Clown, die übrigens beide nach wie vor über Reprodukt zu beziehen sind). 14 Jahre liegt dies bereits zurück. Zeit also für eine Neu-Edition, die sich vom Vorgänger insofern unterscheidet, als Brown die Kurzgeschichte „Der kleine Mann“ weggelassen, die Panels geringfügig ummontiert und den damals schwarzen Seitenhintergrund nun in Weiß belassen hat. Die Geschichte ist eigentlich schnell zusammengefasst und behandelt doch noch so viel mehr: Wir verfolgen Chesters Alter Ego im Alter von zehn bis vielleicht 14 Jahren, den Beginn seiner Pubertät, die ersten Liebesregungen, die die Freundschaften zwischen den Geschlechtern urplötzlich mit Bedürfnissen aufladen, die leise Rebellion gegen das Elternhaus. Und wir sehen, wie all dies von einem puritanischem Weltbild in Zaum gehalten wird, das Chesters Mutter ihrem Sohn unentwegt predigt. Das titelgebende Fuck, Chester kann es nicht aussprechen, und diese Hemmung prädestiniert ihn zum Gespött seiner Mitschüler. Er kann aber ebenfalls seiner Mutter keine Zuneigung zeigen, so sehr sie auch ein herzliches „Ich liebe Dich“ einfordert. Seiner Freundin Sky gegenüber kann er diese Offenbarung hingegen sehr wohl sagen, aber auch danach wird sich am Verhalten der beiden nichts ändern. Es ist nicht nur die altersgemäße Form der Schüchternheit, sondern auch Ausdruck der internalisierten Hemmung. Angst vor allem Neuen, Angst vor allem Ritualisiertem ist es kein Phlegma, das Chester so teilnahmslos wirken lässt, sondern die Unfähigkeit ein Gefühl auszudrücken, ob mit Worten oder Gesten. Ein wichtiges stilistisches Prinzip bei Browns Arbeit ist die Montage. Sie folgt eher dem Primat der szenischen sequentiellen Anordnung, weniger der konzeptionellen Seitengestaltung. Brown zeichnet zunächst die Panels, um sie anschließend in eine Ordnung zu bringen. So variieren sie in Form und Größe: Ausschlaggebend ist die Stimmung des beschriebenen Augenblicks. Gerade bei diesem Rückblick auf seine Kindheit und frühe Jugend in einer kanadischen Kleinstadt offenbart sich der Gewinn dieser zur Form geronnenen Methode: Denn das der Autobiographie implizierte Versprechen auf Authentizität kann der Comic schon aufgrund seines grundsätzlich abstrakten Formalismus nicht erfüllen. Stattdessen koppelt sich also das Erinnern an der Panelgestaltung und –anordnung und beide wiederum sind abhängig von der Intensität der Erfahrung. Umrahmt ist dies alles vom die Konstruktion des Erinnerns suggerierenden, einheitlichen Weiß der Seiten, das fast bedrohlich wirkt, würden ihm nicht die fragilen, mit einem dünnen Strich geführten Zeichnungen entrissen. Man könnte also sagen: Die Form ist Stellvertreter der Emotion. Und das gilt auch für die Physiognomie der Figuren: Bei den Brillenträgern verschwinden die Augen manchmal hinter einem abstrahierenden Weiß, manchmal sind sie hingegen zu erkennen. Zieht man in Betracht, dass sich ein Gefühl immer noch am stärksten im Ausdruck der Augen erklärt, dann dürfte es kein Zufall sein, dass in der einzigen Gesichtstotale der gesamten Erzählung Chester zu sehen ist, der sich ob des plötzlichen Todes seiner Mutter eine Träne abzuringen versucht. Bei diesem misslingenden Versuch der Anteilnahme ist der erzählerische Blick tatsächlich so nah und durchdringend, wie es eben möglich ist. Und dabei ist das wirklich Traurige an diesem Moment, dass die Trauer über den Tod zur Trauer über das eigene Schuldgefühl verkommt. Hat die Hemmung erstmal alle Regungen vereinnahmt, bleibt nur noch die Adaption von Ritualen, die der Situation angemessen erscheinen.
Chester Brown: Fuck |
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