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Schnell vor dem Urlaub noch in den Buch- oder Comicladen. Schnell noch etwas Lektüre für die schönen Stunden des Müßiggangs. Denn es ist zumindest ein Ideal, eine romantische Vorstellung: Im Urlaub, am Strand, abends vor dem Zelt oder auf der Terrasse sitzend findet man endlich die Ruhe, zu lesen, wofür in der stressigen Zeit vor dem Urlaub die Ruhe fehlte. Oder als Daheimgebliebener, die Ruhe der Stadt genießend, begibt man sich mit seiner Wunschlektüre in den Park ...
Was möchten eigentlich die Comic-Schaffenden, die Zeichner, Kritiker, Herausgeber im Sommer lesen? Welche Lektüre – ob Comics oder andersweitige Literatur - haben sie sich zurechtgelegt und worauf freuen sie sich? Klaus Schikowski und Felix Giesa haben nachgefragt und bedanken sich bei allen, die freigiebig Auskunft über ihre Wunschlektüre gegeben haben.
Den Auftakt der „satt.org-Sommerleseliste 2009“ machen Tobi Dahmen, Thomas Vorwerk, Andreas Platthaus und Thomas Kögel.
Tobi Dahmen
Leider - möchte ich fast sagen - habe ich dieses Jahr schon ein paar sehr gute Comics gelesen, die dadurch nicht mehr auf der Liste für den Sommer stehen, nämlich das großartige „Der kleine Christian“, nochmal die „Watchmen“ und das sehr empfehlenswerte „Dieses Buch sollte mir gestatten, den Konflikt in Nah-Ost zu lösen, mein Diplom zu kriegen und eine Frau zu finden“ von Sylvain Mazas (Mückenschweinverlag 2007).
Aber ich bin natürlich gerade vom Comicfestival München mit einer Tonne neuer Comics zurückgekommen und davon muss ich dann wohl jetzt ein paar aussuchen:
„Aufzeichnungen aus Birma“ von Guy Deslisle (Reprodukt). - Da freue ich mich sehr drauf, ich mag Delisles schlichten Strich sehr gerne, noch dazu ist es ein autobiographischer Comic und lernen tut man auch noch was. Im Ernst, ich fand seine bisherigen Bücher nicht nur schwarzhumorig-amüsant, sondern auch sehr aufschlussreich.
„Das Ende der Welt“ von Tirabosco und Wazem (Avant Verlag). Da kann ich noch nichts zu sagen, ich habs ja noch nicht gelesen, aber die Zeichnungen sehen ganz wunderbar aus.
„Blotch - Der König von Paris“ von Blutch (Avant Verlag). Hab ich mir gekauft, weil ich, wie oben schon ein bißchen erwähnt, so wahnsinnig beeindruckt vom kleinen Christian war. Einer der besten Comics dieses Jahres, und der letzten paar Jahre gleich mit. Ich bin gespannt, ob Blotch auch so gut ist.
„An vorderster Front“ von Manu Larcenet, Reprodukt. Zu Manu Larcenet sollte man ja eigentlich nichts mehr sagen müssen, ich tu's aber mal sicherheitshalber trotzdem. Wie dieser Mann es schafft, in seinen Geschichten so zwischen brüllkomischen und tieftraurigen Momenten zu wechseln, und diese so nachvollziehbar aufs Papier bringt, hat meine ganze Bewunderung. Ich bin sehr froh, dass der Mann darüber hinaus auch soviel produziert.
Und dann freue ich mich noch auf den „Kleinen Vogel Rot“ von Vero Mischnitz und Christopher Bünte vom Zwerchfell Verlag. Vero ist eine sehr gute autodidaktische (!) Zeichnerin, deren Werdegang ich in den letzten Jahren ein bißchen mitverfolgt habe und ich glaube, da wird man noch viele schöne Sachen sehen.
Als letztes werde ich noch „Leroy und Dexter“ von Thomas Gilke (Avant-Verlag) mitnehmen, und mich daran inhaltlich wie gestalterisch erfreuen.
Oha, jetzt sind es ja viel mehr Empfehlungen geworden, wenn man genau zählt, neun insgesamt. Man sieht, an mir liegt es nicht, wenn die Comicszene nichts zu knabbern hat. Na, dann kann ich ja auch noch erwähnen, dass mir das myComics-Portal letztens zwei Batman-Bücher geschenkt hat, die gehen dann auch noch mit. Jetzt hoffe ich nur, dass ich beim Urlaub mit drei Kindern überhaupt zum Lesen komme.
Tobi Dahmen ist Comiczeichner, lebt in Utrecht (NL) und arbeitet derzeit an einem autobiographischen Comic über seine Leben als Mod: „Fahradmod“.
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Thomas Vorwerk
Asterios Polyp (David Mazzucchelli, Pantheon) David Mazzucchelli war schon zu Zeiten, als er nur Frank Millers Visionen umsetzte, ein Meister, mit Rubber Blankets und Paul Auster's City of Glass wurde er zu einem der zehn wichtigsten internationalen Comic-Künstler, und nach diversen Jahren Funkstille und ein paar Mangas kehrt er nun mit einem 344-Seiten-Wälzer zurück.
The League of Extraordinary Gentlemen, Vol. III (Alan Moore & Kevin O'Neill, Top Shelf) Nachdem das Black Dossier nicht jedermann verzauberte, folgt nun mit "Century" der offizielle dritte Streich des Superheldencomics für Literaturfreunde, und wer kann da schon dran vorbei?
Exit Wounds (Rutu Modan, Drawn & Quarterly) Nicht mehr brandfrisch, bekam ich diesen (längst auch auf deutsch erhältlichen) Band letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt, und bevor der nächste Jahrestag ansteht, will ich neben einigen geschenkten Romanen (A Friend of the Earth, Exit Ghost, On Beauty, In Boston?) auch dieses, nach Kollegenmeinung großartige Werk „absolvieren".
Thomas Vorwerk ist Filmredakteur bei satt.org
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Andreas Platthaus
Comics lese ich dauernd, genau wie Romane, also ist der Sommer keine Zeit, für die ich mir diesbezüglich besondere Gedanken machte. Und doch ist es verlockend anzunehmen, die Beruhigung des kulturellen Lebens während der Ferienmonate könnte zusätzliche Zeit schaffen. Also legt man sich doch ein paar Wunschlektüren zurecht. Ob sie dann tatsächlich aufgeblättert werden, weiß ich noch nicht, denn ich will vor allem Uwe Tellkamps „Turm" (Suhrkamp) noch einmal lesen, und auch das Anschauen von David Lynchs komplettem Filmschaffen wird einige Tage rund um die Uhr in Anspruch nehmen. Aber wenn darüberhinaus noch Muße bleiben sollte, dann will ich folgende Comics lesen:
Milton Caniffs „Terry and the Pirates" (IDW). Die sechsbändige Komplettausgabe des von 1934 bis 1946 erschienenen Comic-Strips ist endlich abgeschlossen, und nun kann ich sehen, was in Amerika damals parallel zu "Tim und Struppi" in Europa geschah. Besser können Abenteuer kaum erzählt sein.
Auf electrocomics erscheint Uli Lusts „Der erste Tag vom Rest deines Lebens" (Avant), bevor das dicke Buch dann im Herbst herauskommt, zumindest schon einmal in Auszügen. Und einiges andere auf der schönen Seite lohnt die Lektüre genauso.
Irgend etwas Neues von Joann Sfar. Denn das ist erstens ein Comicautor, von dem man alles lesen sollte, und zweitens kommt alle paar Monate in Frankreich mit Sicherheit auch etwas Neues heraus. Die Adaption vom „Kleinen Prinzen" gelang zuletzt nicht ganz so gut, also dürfte das nächste Projekt umso besser werden. Wie es heißt, weiß ich noch nicht, aber sobald es erscheint, wird es gelesen.
Und schließlich gebe Gott, daß ich Zeit für Donald Duck habe. Denn das ist außer Proust das einzige, was für mich lesens- und lebenswichtig ist. Ohne Donald kein Sommer. Aber auch kein Herbst, Winter oder Frühling.
Andreas Platthaus ist Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er hat bereits mehrere Bücher, vor allem über Comics, veröffentlicht; zuletzt erschien „Die 101 wichtigsten Fragen. Comics und Mangas“ (C. H. Beck). Von seinen Erfahrungen mit den Comics berichtet er regelmäßig auf faz.net
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Thomas Kögel
ALLES ÜBER ALICE (Europa Verlag) Eine wunderschön gestaltete Ausgabe, die sowohl "Alice im Wunderland" als auch "Alice hinter den Spiegeln" einschließlich der Illustrationen von John Tenniel enthält, sowie zusätzlich ausführliche Annotationen zu beiden Büchern. Die deutsche Ausgabe erschien 2002 und ist inzwischen leider nur noch antiquarisch erhältlich. Liegt schon viel zu lange ungelesen bei mir herum und will jetzt endlich mal gelesen werden. Dann bin ich auch bestens präpariert für den neuen Tim-Burton-Film, auf den ich mich jetzt schon wahnsinnig freue.
THE GREAT FABLES CROSSOVER (DC/Vertigo) Von den wenigen monatlichen US-Comicserien, die ich verfolge, ist "Fables" von Bill Willingham meine liebste. Es geht darin um Märchengestalten wie Schneewittchen oder den bösen Wolf, die im New York von heute leben. In den letzten Wochen erschien - verteilt auf neun Hefte in drei Serien - das erste Fables-Crossover. Normalerweise sind Crossover-Events, die sich durch verschiedene Reihen ziehen, die Pest und die entprechenden Comics nicht besonders gut. In diesem Fall könnte es anders sein, da die Geschichte durchgehend von einem Autorenduo geplant und geschrieben wurde und nicht dutzende Köche den Brei verderben. Der Neunteiler liegt inzwischen vollständig vor und kann in einem Rutsch durchgelesen werden.
RG - VERDECKTER EINSATZ IN PARIS (Carlsen Verlag) Über diesen neuen Comic aus Frankreich weiß ich noch nicht viel, außer dass er von Frederik Peeters ("Blaue Pillen") gezeichnet wurde und sich mit dem französischen Geheimdienst beschäftigt. Der Autor soll angeblich ein Ex-Mitarbeiter dieses Geheimdienstes sein und der Comic soll auf dessen Erlebnissen beruhen. Könnte interessant werden.
TARA oder DER MARTERPFAHL, DER LEBEN HEISST (Katzenjammer Verlag) Ein echter Indie-Geheimtipp vom Kölner Zeichner Spong, der dafür kürzlich mit dem ICOM Independent-Comic-Preis ausgezeichnet wurde. Was mich daran erinnert hat, dass diese bittersüße Beziehungs- (bzw- Nicht-Beziehungs-) Geschichte noch immer in meinem (leider viel zu hohen) Ungelesen-Stapel herumliegt.
Thomas Kögel ist zusammen mit Frauke Pfeiffer verantwortlich für das Internet-Magazin comicgate, welches es auch in gedruckter Form gibt. Soeben ist die 4. Nummer erschienen. Die dritte Nummer wurde ebenfalls mit einem ICOM Independent-Comic-Preis ausgezeichnet.
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