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9. Dezember 2009
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Thomas Vorwerk
für satt.org |
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Asterios PolypIm Klappentext heißt es: “David Mazzucchelli has been making comics his whole life. This is his first graphic novel.” Schon für diese von Bescheidenheit durchdrungene Abrechnung mit dem oft großkotzig verwendeten Begriff “Graphic Novel” muss man Mazzucchelli lieben. Was der Amerikaner als Frühwerk veröffentlichte, dürfte viele seiner Kollegen mit Neid erfüllen. Mazzucchelli begann als Zeichner der Serie Daredevil und war dann kurz hintereinander für die Zeichnungen der Rückkehr von Frank Miller beim Siebenteiler Born Again (Daredevil #227 - #233, 1986) und dem Batman-Vierteiler Year One (Batman #404 - #407, 1987) verantwortlich. Beides Werke, die in der Veröffentlichung als Sammelband komplett für sich stehen können und seinerzeit wegweisend waren. Was Mazzucchelli und Miller damals mit diesen Superhelden anstellten, nimmt im Grunde den aktuellen Boom von Crime-Comics wie 100 Bullets, Gotham Central oder Criminal vorweg. Danach kehrte Mazzucchelli den Superhelden und somit seinerzeit einer sicheren Ertragsquelle den Rücken und versuchte sich im Eigenverlag mit der anspruchsvollen und gediegen ausgeführten Serie Rubber Blanket, die er aber nach drei Ausgaben (ca. 1991-93) einstellte. Ein Jahr später folgte dann mit der Adaption von Paul Austers City of Glass eine der unbestritten besten Comic-Bearbeitungen eines literarischen Stoffes überhaupt, und in der Anthology Drawn and Quarterly (Vol. 2, #2, ebenfalls 1994) überzeugte auch Mazzucchellis Kurzgeschichte Rates of Exchange. Es folgten dann noch viele kleine Arbeiten im Manga-Bereich (Mazzucchelli verbrachte einige Zeit in Japan, längst nicht alle seiner Arbeiten dort fanden den Weg in den Westen), Cover für den New Yorker und Veröffentlichungen in Anthologien wie Little Lit, doch im Grunde genommen rechnete wohl niemand mit so einem Comeback wie es Asterios Polyp darstellt. Bisher war Mazzuchhelli sowas wie das missing link zwischen dem kraftvollen Strich eines Jack Kirby, der Schnörkellosigkeit eines Alex Toth und der Freude am Geschichtenerzählen, wie sie beispielsweise Darwyn Cooke immer wieder demonstriert. Doch Asterios Polyp weist darüber noch hinaus. Die Geschichte beginnt mit einem Neubeginn im Leben des mehrfach preisgekrönten Architekten A. P., dessen Haus pünktlich an seinem 50. Geburtstag abbrennt. Kurzerhand fährt Asterios mit einem Greyhound-Bus so weit, wie er mit seiner Barschaft kommt, und beginnt weit weg von seinem langjährigen Wohnort New York als Mechaniker in einer Autowerkstatt. Der Ansatz der Geschichte erinnert stark an Paul Auster. In alternierenden Kapiteln erfährt der Leser nun über Asterios’ früheres Leben und seine letztendlich scheiternde Ehe mit der jüngeren Hana Sonnenschein (die Namen sind etwas dick aufgetragen), und über seinen bescheidenen Neuanfang, bei dem er anhand der schlichten Persönlichkeiten in seinem Umfeld mit seinen früheren Charakterschwächen konfrontiert wird. “Sterio”, der Zeit seines Lebens nur für nicht ausgeführte Entwürfe prämiert wurde, aber dennoch eine seinesgleichen suchende Arroganz kultivierte, baut für den Sohn seines Arbeitgebers ein Baumhaus und bastelt an einem solargetriebenen Automobil, mit dem er schließlich den Weg zurück zu Hana antreten wird. Das Leben von Asterios Polyp ist ebenso wie der Comic von Dualismus geprägt, bei seinen (vor allem im “früheren Leben”) dargebotenen Reden über die Natur der Gegensätze spielt er sich wie ein Philosoph auf, registriert aber nicht, dass sein gelebter Lebensentwurf ähnlich wie seine unrealistischen architektonischen Geniestreiche zum Scheitern verurteilt ist. Innerhalb des Comics findet sich dieser Dualismus immer wieder als zentrales Element. So wird die Geschichte Asterios’ von seinem Zwillingsbruder erzählt, der aber allerdings bei der Geburt verstarb und somit für ein mögliches anders verlaufenes Leben steht. Eine Entsprechung dieses Erzählers findet sich auch in einem imaginierten Freund des Knaben, für den Sterio das Baumhaus baut. Die alternierenden Kapitel sind größtenteils in abwechselnden Farbtönen gehalten. Bei den Flashbacks ist alles in rot und blau (und Mischtöne) gehalten, wobei blau die Kälte der Titelfigur wiedergibt, rot hingegen die jugendliche Energie seiner Frau Hana. Bei den Kapiteln, die nach dem Brand spielen, beschränkt sich Mazzucchelli hingegen lange Zeit auf die Komplementärfarben violett und gelb (mit einem leichten Schlag ins orange), und während man das Werk liest, ist die Bedeutung der Farbwahl ebenso einleuchtend wie die Ausflüge, bei denen Mazzucchelli dieses rigide Schema durchbricht. Rein zeichnerisch wirkt es oft so, als seien viele der Figuren (aber auch manche Episoden) anhand der Geschichte des Mediums Comic an bestimmten Genres und Künstlern orientiert, was die jeweiligen Protagonisten natürlich auch charakterisiert. Der Besitzer der Autowerkstatt wirkt schlicht (irgendwo zwischen Terry LaBan und der École Marcinelle), seine matronenhafte esoterische Gattin wie eine Karikatur von Al Hirschfeld. Asterios’ Ausflüge in eine theoretisierte persönliche Philosophie erinnern an Scott McCloud, seine urbanen Irrwege an Will Eisner, und Hana wirkt auch vom Strich her sehr asiatisch und idealisiert. Asterios’ Gesicht sieht man in sicher 90% seiner Auftritte im Profil, das selbst wie ein stilisierter Dualismus wirkt (nur das Kinn verhindert eine auffällige Symmetrie), und mich irgendwie (was auch zur Figur passt) an die selbstgefällige Galleonsfigur der intellektuellen Zeitschrift The New Yorker erinnert. Ähnlich wie dort Literatur und graphische Kunst aufeinandertreffen, durchzieht auch Asterios Polyp neben einer profunden Kenntnis des Mediums Comic ein literarisches Rückgrat. Neben den Irrfahrten Odysseus’ (inklusive Sirenen und - komplett umgedeuteten - Zyklop) und der Nähe zu James Joyce gehört zum Kern der Geschichte der (natürlich griechische) Mythos von Orpheus und Eurydike (erneut auch stellvertretend für Dualismen wie Mann und Frau, Tod und Leben etc.). Und ganz nebenbei werden auch noch diverse Künste (wie Architektur, Bildhauerei, Tanz) in das Gesamtwerk dieses voluminösen Comics eingeflochten, der die Bezeichnung Graphic Novel wirklich verdient, ähnlich wie Craig Thompsons Blankets oder Mark Kalesnikos Mail Order Bride (an die ich während der Lektüre auch hin und wieder denken musste). Asterios Polyp führt vor, was man alles mit dem Medium Comic machen kann. Mazzucchelli bedient sich mit traumwandlerischer Sicherheit sämtlicher Ausdrucksmöglichkeiten, benutzt allein die Farben in einer Genialität, wie ich sie nicht einmal erahnt hätte, und man kann nur jedem raten, sich dieses in der ersten Auflage bereits ausverkaufte Meisterwerk schnell anzulegen. Auch der Preis von knapp 30 Dollar sollte niemanden abschrecken, ich persönlich bin arm und geizig, und nach meiner Lektüre hätte ich auch gerne das Doppelte dafür hingelegt. Alle Abbildungen aus dem besprochenen Band sind Copyright © 2009 David Mazzucchelli |
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