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24. Mai 2010
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Felix Giesa
für satt.org |
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Arbeit am Comic-MythosIm „Porträt des Künstlers als junger %@*!“, dem autobiographischen Vorwort von Art Spiegelman zu seinen 2008 erneut veröffentlichten Strips in „Breakdowns“, findet sich ein Zeichen, dass sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte zieht: ein Kringel. Er scheint Anlass, Ursache und Wirkung zu vereinen und begleitet am Ende ein Zitat Viktor Šklovskijs, das der Wahrnehmungsprozess in der Kunst Selbstzweck sei und verlängert werden müsse. Dies eingedenk überrascht das erste Panel von Tomi Musturis „Unterwegs mit Samuel“ kaum, sieht man dort doch ebenfalls einen Kringel, nicht den identischen, doch schon ist er sehr ähnlich. Dieser ist nur Vorspiel für alles kommende, den Urknall, einen Schöpfungsmythos in der Sprache des Comic. Also ein Kringel zu Beginn, eine Explosion, ein Wirbel, eine Wolke, ein Planet, vielleicht die Erde, etwas Google Earth-Blick und elf Panel später betritt Samuel die Szene, aus einem Dornenbusch schreitet er hervor, rauchend, betrachtet sein erigiertes Glied – und erlangt Erkenntnis. Sichtbar gemacht durch einen erneuten, über seinem Kopf explodierenden Kringel. Musturis Samuel ist ein amöbenähnliches Kerlchen, in seiner Physiognomie Tony Millionaires „Sock Monkey“ ähnelnd, das durch mal kürzere mal längere Episoden geschickt wird. Dabei dient sie ihrem Zeichner als Reflexionsgegenstand über Fragen des menschlichen Denkens und Seins. Formal wie inhaltlich begeistert „Unterwegs mit Samuel“ bereits seit seinem ersten Treffen hierzulande in „Orang #7“. In der strengen äußeren Form seiner Comics und der kryptischen Mytho-Poetik der Bilder und Geschichten scheint immer wieder das finnische Nationalepos, die „Kalevala“, durch. Bis heute reicht die Wirkungsgeschichte tief hinein in die finnische Kunst und Literatur, Musturi ist wohl nur der erste, der Elemente in Comics verarbeitet. Eine Ähnlichkeit zwischen der „Kalevala“ und dem Comic zeigt sich neben dem einleitenden Schöpfungsmythos und dem Topos des Reisenden in den jeweils grundlegenden Stilfiguren. Die Erzähler des ursprünglich nur mündlich überlieferten Epos waren darauf angewiesen, den Text eingänglich, also leicht erinnerbar, zu halten, und bedienten sich daher wiederholender Rhetorik. Der Comic, eine zwar nicht zwingend erzählende Kunstform, ist doch fast immer auf Figuren angewiesen, und zwar in permanenter Wiederholung; was durchaus als rhetorisches Ausdrucksmittel des Comic verstanden werden kann. Dies schafft dem Comicmythos eine ganz eigenständige Poetik. Besonders beeindruckend ist, wie es Musturi gelingt, sich gezielt als Schöpfer seinem Werk einzuschreiben. „Von Gott erbeten“, so eine Übersetzung des biblischen Namens Samuel, ist der kleine Kerl, und mit ihm kann der Zeichner machen, was er will: Da bohrt sich des Zeichners Finger in Samuels Kopf oder er wird mit dessen flacher Hand zerschmettert. Doch sind es überhaupt Musturis Hände, die wir auf den Seiten sehen? Fraglich mag das sein, dennoch wird hier eine Reflexionsebene eröffnet, die allem Erzählen innewohnt: der Erzähler ist für seine erzählte Welt gleichsam ein göttliches Wesen, welches dort schalten und walten kann, wie es ihm gefällt. Wie es der Figur dabei ergeht, ist die eigentliche Geschichte. Den biblischen Traditionen seines Namens gleich, wächst Samuel an seinen Leiden und wird letztlich zu einem nachdenklichen, klugen und zutiefst menschlichen Wesen, das geduldig der Kraft der Schöpfung vertraut. Das alles spricht aus den Bildern für sich selbst, Text ist bei Musturi nicht mehr von Nöten. Anders als etwa bei Donald Duck, hat die Figur jedoch kein sonderlich großes Mimik-Repertoire. Ausdruckslos, mit leeren Augen und wulstigen Lippen wandert Samuel umher. Lediglich durch Gestik, dieser alten Darstellungsform des Theater, die auch für den Comic so wichtig ist, dient ihm der Sichtbarmachung seiner Emotionen. Dabei unterstützt der Zeichner ihn durch ein imposantes Farbenspiel. Musturi zeichnet seine Comics mit dünnen, mathematisch anmutenden Linien vor und tuscht dann die Schatten ein; wodurch Samuel bereits auf dieser Ebene zu einem Gratwanderer zwischen Licht und Schatten wird. Der Farbe kommt daher eine zentrale Bedeutung zu. Für Musturi drücken die Farben Emotionen und Bewusstseinszustände aus, ein Panoptikum aller möglichen und tatsächlichen Welten, wenn man so will, ausgedrückt in Farben. Im Ansatz also sehr gegensätzlich zu einem anderen textlosen Comic, in welchem sich der Zeichner religiös-mythologischen Stoffen mit einer zentralen Figur annähert: Jim Woodrings „Frank“ lebt in einer phantastischen hindu-esoterisch geprägten Welt, bevölkert von Magiern und Monstern. Immer wieder setzt Woodring seine Figur Situationen aus, in denen seine dunkelsten Seiten zum Vorschein kommen und liefert so eine eindringliche Reflexion über das menschliche Sein der einzelnen Figur; eben nicht der gesamten Welt wie bei Musturi. Doch letztlich sind Samuel, der vom Zeichnergott Musturi erbetene, und auch Woodrings „Frank“ doch nur Narren, Lügenbarone, die denen, die in der Fiktion nur mehr eine Lüge sehen, Recht zu geben scheinen. Und so greift Samuel zu den Sternen, zieht sich auf den Mond und reitet wie Münchhausen auf der Kanonenkugel durch den Weltenraum. Wäre das alles nicht häufig so ungemein traurig, man könnte sich kringelig lachen.
Den Hinweis auf die „Kalevala“ verdanke ich Jens Meinrenken, |
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