Anzeige: |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |
26. September 2010
|
Felix Giesa
für satt.org |
||||||||||||
|
Kurzkritiken zu »Ein Zoo im Winter« von Jiro Taniguchi, »Corps etranger« von Céline Meyrat, »Fräulein Rühr-mich-nicht-an« von Hubert & Kerascoët, »Roland, Ritter Ungestüm« von François Craenhals, »A Lollypop or A Bullet« von Kazuki Sakuraba & Iqura Sugimoto und »Galáo to go« von Calle Claus. ◊ ◊ ◊
Jiro Taniguchi: Ein Zoo im Winter Man muss sich eigentlich fragen, ab wann der Comicmarkt mit Titeln ein und desselben Zeichners endlich übersättigt ist. Eben erschien ein weiterer Manga von Jiro Taniguchi bei Carlsen, ein weiterer ist für den Herbst bei Schreiber & Leser angekündigt und im Frühjahr verlegt Carlsen endlich Taniguchis Durchbruchtitel »Botchan no Jidai Kara«. Doch bei der Lektüre von »Ein Zoo im Winter« will sich dann einfach kein Sättigungsgefühl einstellen. Da ist natürlich erneut Taniguchis melancholischer Grundton gepaart mit seinem Blick für die poetischen Momente des Alltags. Hier nun schildert Taniguchi den Start eines jungen Mannes in der Welt des Mangageschäfts der 1960er Jahre. Eigene Erfahrungen dürften mit hineinspielen, wenn die Erlebnisse des knapp 20jährigen Hamaguchi geschildert werden. Wie auch Yoshihiro Tatsumi in seinem Opus magnum »A Drifting Life« wählt Taniguchi eine fiktive Figur, um die eigenen Erfahrungen zu Beginn der Mangakakarriere zu schildern. Mehr durch Zufall wird Hamaguchi Assistent bei einem bekannten Mangameister, wird vom ‚Monster‘ Manga gefressen und geht in seiner Hingabe daran vollendes auf. Das nebenbei Hamaguchi eine erste zarte Liebe erleben darf – zu der kränklichen Mariko – schafft ein wundervolles Bild für die Erzählung: Der Mangaboom der ersten Zeit, ausgelöst durch Osamu Tezukas Entwurf dessen, was Manga sein sollte, ebbte in den 1960er Jahren ab. Jüngere Mangaka drängten auf Neuerungen, formal, graphisch und auch inhaltlich sollten sich Manga vom durch Disney stark geprägten optischen Eindruck emanzipieren. So gesehen liebt der junge Zeichner das zarte Wesen ‚Manga‘ und in ihrer beiderseitigen Hingabe wird vielleicht etwas Neues entstehen. Taniguchi hat ebenso wie Tatsumi dem Manga dieses Neue abgerungen.
◊ ◊ ◊
Céline Meyrat: Corps etranger Schon zum diesjährigen Fumetto in Luzern im Frühjahr erschien in der Edition Moderne dieses kleine Bildbändchen mit Illustrationen der Schweizerin Céline Meyrat. Die ‚Fremdkörper‘ in ihren Graphiken stellen Sinn und Zweck des alltäglich-gegenständlichen infrage und offenbaren eine Welt, die weniger funktional-kalt als vielmehr organisch erscheint. Wie surreale Traumbilder blitzen die Bilder auf und lassen ein ‚Anderes‘ hinter dem Augenscheinlichen vermuten.
◊ ◊ ◊
Fräulein Rühr-mich-nicht-an Nach einem Szenario von Hubert schaffen Kerascoët erneut einen schaurig-schönen Comic. Die junge Blanche versucht im dekadenten Paris der 1930er Jahre den brutalen Mord an ihrer Schwester auf eigene Faust zu lösen. Die Behörden schenken ihr keinen Glauben und so führen sie ihre Ermittlungen ins Pompadour, einen der angesehensten Edelpuffs der Stadt. In diesem ‚Sodom und Gomorrha‘ in Gebäudeversion finden sich die gut Betuchten ein, die von Reichtum und Überfluss des Alltäglichen überdrüssig geworden sind. Hier finden sie im Absurden und Perversen ihre Befriedigung. Die gouvernantenhafte Blanche wird schnell zur begehrten Domina, ihre Peitsche ist weniger gefürchtet als begehrt. Inmitten dieses Mikrokosmos macht sie sich Freunde aber auch eine Vielzahl Feinde – und sie findet Spuren, den Mord an ihrer Schwester zu klären. »Fräulein Rühr-mich-nicht-an« ist mal wieder, endlich möchte man schreiben, ein richtig unterhaltsames franko-belgisches Comicabenteuer. Hubert liefert keine wirklich umfassende oder tiefsinnige Beschreibung des Zeitgeschehens und auch nicht des Bordells, aber darum geht es auch gar nicht. Ihm dienen die Zeit und die Umgebung um seine Figuren zu entwickeln. Es geht ihm, wie es in allen guten Geschichten darum geht, um die böse und unmoralische Seele des Menschen. Denn auch Blanche, unser ‚Fräulein Rühr-mich-nicht-an‘, ist keine Heilige. Kerascoët finden für dieses ‚Freudenspiel‘ mit ihrem schnellen, an Joann Sfar erinnernden Strich genau die richtigen Bilder. Am Ende von Band zwei wird Blanche den Mord an ihrer Schwester aufklären können und im Dezember geht es bei Reprodukt schon mit dem dritten Teil weiter.
◊ ◊ ◊
François Craenhals: Roland, Ritter Ungestüm Ja, Ritterepen. Hoffentlich kommen Ritter nie aus der Mode. Als Kind begeisterten sie mich in den Filmen »Ivanhoe – Der schwarze Ritter« und »Die Ritter der Tafelrunde«, später erschien dann der erste Band der Carlsen Werksausgabe von »Prinz Eisenherz« und ich war offiziell Comicsammler. Eisenherz wird mittlerweile in einer hinreißenden Ausgabe bei Bocola neu herausgegeben, Ritter sind eh immer gut und Gesamtausgaben sowas wie ein neuer Trend. Da schien es für den Cross Cult Verlag naheliegend, einen Rittercomic als Gesamtausgabe zu verlegen. »Roland, Ritter Ungestüm« von François Craenhals ist erzählerisch sicher nicht die Neuerfindung des Rades, doch ist die graphische Umsetzung durch Craenhals handwerklich sehr gelungen und mag auch nach 50 Jahren noch zu gefallen. Erinnert »Roland« besonders in der ersten der drei hier gesammelten Abenteuer doch noch sehr an Hal Fosters »Eisenherz«, besonders in den Charaktereigenschaften des hitzköpfigen Wildfangs (Eisenherz aus dem Sumpf, Roland hingegen aus gediegenen Ritterverhältnissen), löst sich Craenhals bald von diesem Einfluss. Beachtlich sind in dem Zusammenhang des Rittercomics regelrecht psychedelisch anmutende Sequenzen, wenn Roland im Zustand körperlicher Erschöpfung gegen seinen ehemaligen Lehrmeister ficht oder ausgelaugt in offener Steppe vor seinen Verfolgern flieht. Craenhals, der bekannte, stark von amerikanischen Zeitungsabenteuercomics beeinflusst gewesen zu sein, geht hier eine gewagte Verbindung von Superheldencomics der 1960er Jahre wie etwa Steve Ditkos »Dr. Strange« und dem etablierten Erzählen im frankobelgischen Comic ein. Allein, die moralapostelsche Haltung Rolands, der ja ein ‚guter‘ Ritter sein möchte, wirkt aus heutiger Sicht recht angestaubt.
◊ ◊ ◊
A Lollypop or A Bullet Der Abschlussband des Mystery-Mädchen-Dramas zieht nochmal alle Register vom freudschen Seelenstrip bis zum fatalen Höhepunkt. Nicht mehr so konsequent erzählt wie der erste Band und phasenweise etwas langatmiger geraten, verliert die Geschichte etwas an Überzeugungskraft.
◊ ◊ ◊
Calle Claus: Galáo to go – Das Schanzenbabes-Album Seit vier Jahren zeichnet Calle Claus für das kostenlose Szeneblättchen »Hamburg:pur« seinen Strip »Die Schanzen-Babes«. Jetzt erschien eine kleine Auswahl in der Edition 52. Die Schanzen-Babes, das sind die sexy Gewn und die gewitzte Liz; gemeinsam rocken sie Hamburgs Szene. Das klingt nicht sonderlich neu, ist aber streckenweise doch ganz lustig. Anders als etwa »Daniel und Oleg« von Oli Ferreira und René Roggmann in ihren Hamburger Szene-Verrissen oder FIL in seinen liebevollen Hommagen an den Berliner Proll in »Didi & Stulle« gelingt Calle Claus ein anderer Blick auf ‚seine‘ Stadt. Schließlich sind seine Figuren Mädchen und die haben ja bekanntlich eine vollkommen andere Sicht auf die Dinge und das Leben. Wie der Zeichner dafür ein und ums andere Mal Klischees erst bedient, nur um sie dann zu unterlaufen, ist schon sehr unterhaltsam. Gastauftritte gehören in der Welt des Pop ja zum guten Ton und so runden ein gemeinsamer Strip mit FILs Didi und Stulle sowie Gaststrips von Oli Ferreira und Jule K. das Album ab. Vermutlich ist es dem originalen Veröffentlichungsort geschuldet, aber anstrengend sind die unterschiedlichen Formate der einzelnen Strips, die mal hochkant, mal ganzseitig oder auch mal quer gedruckt sind. Alles in allem ist der Gesamteindruck aber nicht überzeugender als bei seinem letzten Comic »Findrella«, unterhaltsam, mit ein paar netten Ideen. ◊ ◊ ◊
|
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |