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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





4. Juni 2013
Thomas Vorwerk
für satt.org

  Dawn of the Smurf


Ich liebe die Schlümpfe.

Nicht die unsägliche Hanna-Barbera-Animationsserie mit dem (in der deutschen Synchronfassung) sächselnden »Handy«, und erst recht nicht diese 3D-Missgeburt, mit der Neil Patrick Harris sich demnächst wieder rumschlagen muss.

Sondern das Original. Die Comics des 1992 verstorbenen, als »Peyo« bekannten Pierre Culliford. Zugegeben, kennengelernt habe ich die kleinen blauen Wichtel wahrscheinlich über Vader Abraham und die Flut von halbstarren Gummifiguren, die mit Pilzhäusern, Brunnen und einer wirklich hübschen Schubkarre Ende der 1970er die deutschen Kinderzimmer unsicher machten. Mit ca. zehn Jahren war ich nicht nur ein treuer Leser der Micky Maus, sondern durchlief in meinem Zimmer epische Abenteuer meiner Schlumpfgemeinde, dieser kleinen Burschen, für die schon das Klettern auf einen Stuhl in Thomasgröße eine immense Herausforderung voller Gefahren war. Mein Bruder, Jahrgang 1971, wohnhaft im Zimmer nebenan, war bereits ein Opfer der Hörspiel-MusiCassetten, von Karius und Baktus bis zu den ??? (drei Fragezeichen), ich bilde mir nach wie vor ein, dass das Spielen mit Schlümpfen mich zu einem besseren Menschen gemacht hat.

Aber dies soll keine Beweihräucherung meiner Kindheit werden, sondern die Vorstellung eines zentralen Schlüsselwerks innerhalb eines Subgenres, das kaum weiter entfernt sein könnte von Bildgeschichten für Comics.

Zombies in der ursprünglichen Definition (totenähnlich umherwandernde Menschen unter dem Einfluss eines Voodoo-Zaubers) gab es natürlich nicht nur auf der Kinoleinwand (Jacques Tourneurs I walked with a Zombie, 1943), sondern mindestens in einem für Kinder konzipierten Comic: Voodoo Hoodoo von Carl Barks (1949), deutsch erstmals als Donald Duck in Afrika 1974 in Ich, Donald Duck (etwas umgestaltet) und erst 1985 im TGDD (für Nichteingeweihte: »Donald Duck Sonderheft: Die tollsten Geschichten von Donald Duck«) Nummer 83 in Erika-Fuchs-Übersetzung und mit dem etwas langen, aber knalligen Titel Wudu-Hudu-Zauber oder Ein Zombie geht durch die Stadt. Die Hintergründe dieser Betitelung zu einer Zeit, als der Video-Boom in vollem Gange war, und Filme wie Ein Zombie hing am Glockenseil in Tausenden von Raubkopien unterwegs waren, wäre wahrscheinlich auch einen eigenen Artikel wert, doch jetzt kommen wir zu den Zombies, wie man den Begriff heutzutage versteht, und wie er – immerhin noch zu Lebzeiten von George A. Romero – zu einem kulturellen Phänomen wurde. Ich meine damit nicht nur die allerorts bekannte Fernsehserie The Walking Dead, die ja immerhin auch noch eine Comicverfilmung ist, sondern Zombies überall. Nicht nur im Marvel Universum, sondern auch in der Literatur (in benutze den Begriff weitläufig): Wenn sich Vampire und Werwölfe verkaufen wie heiße Semmeln, dann dürfen auch die Zombies nicht fehlen. Und zwar größtenteils nach den selben Regeln wie die »Marvel Zombies«: Alles, was sich auch ohne Zombies verkäuft, wird mit Zombies zumindest zu einem kleinen Erfolg: Sei es die »Night of the Living Trekkies« (übrigens sehr amüsant) oder ein Mash-Up mit Jane Austen (Pride & Prejudice & Zombies, inzwischen mit einem Sequel und einem Prequel gesegnet). Mittlerweile werden die Zombie-Bücher auch zu Kinohits, in diesem Jahr etwa Warm Bodies oder demnächst World War Z.

George A. Romeros Night of the Living Dead war 1968 ein Low-Budget-Streifen, der sich mit Stanley Donens Charade (mit Cary Grant und Audrey Hepburn) den filmgeschichtlichen faux pas teilt, dass man zu dusselig war, das Copyright im Nachspann zu vermerken – weshalb beide Filme in unzähligen DVD-Versionen über den Markt geistern. Hier tauchten erstmals Zombies der neuen Generation auf: Lebende Leichen, die auf der Suche nach Menschenfleisch sind (in manchen Variationen mögen sie besonders Hirn), wobei man durch den Biss eines Zombies infiziert wird, innerhalb von Tagen stirbt und dann selbst zu den Heerscharen der Untoten gehört – falls man nicht – das Zombiefilm-Äquivalent eines Cumshots – kurz nach der »Verwandlung« durch einen Schuss ins Hirn (die populärste Methode, einen Zombie für immer ruhigzustellen) von diesem Schicksal erlöst wird.

Schlümpfe-Coverformat-Vergleich

Kommen wir also zurück zu den Schlümpfen. Bereits 1959, also neun Jahre vor Romero, erschien im belgischen »Spirou Magazine« Les Schtroumpfs noires, eine zwanzig-Seiten-Geschichte, die mir in drei verschiedenen Versionen vorliegt, wovon ich zuerst die zwei deutschsprachigen vorstellen möchte. Als »Blauschlümpfe und Schwarzschlümpfe« erschien sie 1982 im Reinbeker Semic-Verlag, welches ein Zeitschriftenhandel-Ableger des bekannten Carlsen Verlag war, der vor allem Klassiker der École Marcinelle (Die Schlümpfe, Spirou, Gaston und Harry und Platte, hier noch als Gin & Fizz) neben den gediegenen Tim und Struppi-Bänden des Mutterverlags unters Volk brachte. Die Frankfurter Allgemeine übernahm diese Fassung später (2005) in Band 14 der »Klassiker der Comic-Literatur«. Die Kolorierung ist geringfügig anders, das Lettering wurde verändert (um dem kleineren Format entgegenzukommen), aus dem Großen Schlupf wurde TV-mäßig »Papa Schlumpf« und jetzt heißt die Geschichte »Der Schwarzschlumpf«. Insofern ein seltsamer Titel, weil die Anzahl der schwarzen Schlümpfe in der Geschichte sich nur für 29 Panels (oder zwei Seiten) auf den einen, ursprünglichen »Patient Zero« beschränkt.

Womit wir auch schon bei der etwas detaillierteren Analyse der Geschichte und dem konkreten Vergleich mit den Zombies à la Romero wären. Natürlich taucht nirgendwo in der Schlumpf-Geschichte das Wort Zombie auf – aber auch Romero (und seine Nachfolger) benutzen diesen Begriff eher selten. Es geht auch nicht um Tote oder Untote bei den Schlümpfen. Aber die Verwandlung und die Bedrohung ist in dieser komplett kindertauglichen Geschichte exakt dieselbe wie in fast jedem Zombiereißer.

Beginnen wir also mit der Verwandlung: Patient Zero, ein »Schlumpfberger«, der sich vor der Arbeit drücken will, trifft im Wald auf ein (natürlich schwarzes) fliegendes Insekt (selbst für Schlumpfmaßstäbe ist es klein), das ihn, nachdem er sich gestört fühlt und es versucht, zu vertreiben oder durch Händeklatschen zu erwischen, in seinen Stummelschwanz sticht. Der Schlumpf ist erst etwas benommen, doch quasi sofort setzt die Verwandlung ein, die hier nur vier Panels einnimmt, und zunächst noch von Kommentaren des Schlumpfs begleitet wird: »AU!« – »Das war gemein! Es hat mich gepiekt!« – »Aber… Was ist das?… Ich…« – »Ich… Glubb…«

Und dann hat der Schlumpf seine Farbe gewandelt, zeigt seine zum Beißen bereiten zwei Zahnreihen, und artikuliert sich fortan bevorzugt mit dem Wort »HAPS!« (fast noch harmlos, die englischsprachige Version »GNAP!« wirkt noch eine Spur brutaler, animalischer). Dieses HAPS ist auch der typische Laut, wenn der erste Schwarzschlumpf nun nach und nach seine Mitschlumpfe anfällt und sie zumeist ins Schwänzchen beißt.

Hier mal ein kleiner Überblick über die Entwicklung der Infektion: Seite 1-2: keine Schwarzschlümpfe. Seite 3-4: Patient Zero wird infiziert, entdeckt und gefangengenommen. Seite 5: Er befreit sich jedoch (»Knirsch! Haps!« – »Hähähä!« – »HAPS!«), zeigt dabei verbale und andere Anzeichen von Intelligenz (wodurch er nicht nur in der Infektionszeit, sondern auch in der Entwicklung ein für Zombieverhältnisse schwindelerregendes Tempo vorlegt) und infiziert einen zweiten Schlumpf.

Seite 6: Die Schlümpfe organisieren eine Bürgerwehr (typische Zombie-Entwicklung), um einen der infizierten zu fangen. Seite 7: Sie fangen auch einen, doch dies ist bereits der dritte Schwarzschlumpf. Seite 8: Der Große Schlumpf probiert eine Heilmethode, diese fruchtet aber nicht, und zwei weiter Schlümpfe werden infiziert. Glücklicherweise hüpfen die Infizierten im Gänsemarsch aus dem Schlumpfdorf in den Wald, wo es ihnen wohl besser gefällt – In Zombie- und generell Horrorfilmen spielen sich die gruseligsten Szenen oft in der Nacht ab, in diesem Comic übernimmt das Draußen, die Natur, den Gegenpart zum (zunächst noch) Zivilisation und Sicherheit verheißenden Schlumpfhausen.

Schlümpfe-Stummel und Stein

Auf Seite 9 gelingt es erneut, einen Infizierten zu fangen, diesmal bemüht man sich schon eines Lockvogels oder Köder, einer der Schlümpfe legt sich zitternd und die Augen zuhaltend auf eine Wiese, sein Stummelschwänzchen lockt einen Schwarzschlumpf, der per Steinwurf (weder sehr zivilisiert noch kindgerecht) kampfunfähig gemacht wird. Seite 10: Eine weitere Heilungsmethode wird ausprobiert. Diesmal befreit sich der Schwarzschlumpf mit schier überschlumpfiger Kraft aus seinen Fesseln und infiziert mindestens sieben ehemalige Kollegen, womit bereits 12% der Bevölkerung infiziert sind (In einer Schlumpfgeschichte wird mal ausgeführt, dass es einhundert Schlümpfe gibt – das ist vor Einführung von Schlumpfine, dem Schlumpfbaby und »Schlumpfi&«, die die Volksschlumpfung wahrscheinlich auf 103 Mützen hochtreiben).

Auf Seite 11 zeigt sich, dass meine bildgenaue Zählung offenbar noch Raum für eine Schwarzziffer lässt, denn der große Schlumpf hält auf dem Dorfplatz eine Rede. »Schlümpfe, die Lage ist ernst! Keins meiner Mittel hat gewirkt … Schon sind fünfzehn von uns von der Krankheit befallen …« An dieser Stelle hört man im Hintergrund ein HAPS! AU!, bevor der Große Schlumpf fortfährt mit seiner Rede: »Wir müssen die sechzehn retten, ehe sie uns alle anstecken!«

Auf Seite 12 und 13 kommt dann die wissenschaftliche Wende, die »die letzte Schlumpfe« bedeuten könnte: Man fängt das mittlerweile als Mücke identifizierte Insekt im Wald (während zweimal im Hintergrund das mittlerweile etablierte »HAPS! AU!« zu hören ist), und es gelingt, die Farbe der Mücke zu ihrem (womöglich natürlichen) Blau zurückzuverwandeln. Schlumpfeka!

Auf den folgenden Seiten wird das Gegengift fabriziert und erprobt, die zur Herstellung notwendige »Tuberose« wird in großer Menge geerntet, und nachdem der Große Schlumpf konstatiert hat, dass nur noch zehn blaue Schlümpfe verblieben sind, fällt die Armee der Schwarzen über das Dorf her, und es kommt zu einem kinderzimmertauglichen Massaker. Eine besondere Perfidität, die kein Zombie je entwickeln würde, besteht hierbei noch dadurch, dass einer der Schwarzschlümpfe sich vorsätzlich schlumpfblau anstreicht. Schlümpfe-Blau

Bei allem Horror ist die Geschichte aber auch voller Humor. Sozusagen Fun-Splatter vom Feinsten! Der soeben erwähnte »falsche Blaue« (man könnte darüber streiten, ob es sich hierbei um »Patient Zero« handelt, der mittlerweile seinen animalischen Beißtrieb durch intelligente Taktiken perfektioniert) hat darunter zu leiden, dass seine schwarzen Kollegen ihn als »beißenswert« einstufen, weshalb er ihnen durch ein genervtes »HAPS!« seine wahre Identität vor Augen zu führen versucht – wobei fraglich ist, ob sein schwarzer Kollege dies begreift.

Die Versessenheit der Schwarzschlümpfe, immer ins blaue Stummelschwänzchen beißen zu wollen, bringt für kindliche Leser natürlich auch eine gewisse Rettung vor dem Terror, der der Geschichte innewohnt: Wer hat schon Alpträume davon, dass einem schwarze Schlümpfe ins (nicht vorhandene) blaue Stummelschwänzchen beißen wollen? Hier gibt es eine rettende Realitätsferne, die bei Zombiefilmen nicht in dieser Form gegeben ist.

Ich werde kein großes Geheimnis preisgeben, wenn ich verrate, dass die Geschichte mit den Schwarzschlümpfen gut ausgeht – für die Blauen! Aber wenn man mal die letzten zwei Seiten ungelesen lässt, bietet sich ein Schlusspunkt, der konsequenter und finsterer ist als sämtliche mir bekannten Zombiefilme, bei denen am Schluss immer noch der Hauch einer Hoffnung vorgegaukelt wird. Schlümpfe-Doom

Und nach dem Happy-End gibt es dann noch eine Szene, wie sie in Horrorfilmen 1959 noch nicht zum Standard gehörte: Der »final scare«, ein mehrfaches »Haps« im Hintergrund, dass dann aber nur dazu führt, dass der »Überraschungsschlumpf«, für seine Scherze bekannt, sich von seinen erbosten Mitschlümpfen ein blaues – nein, streng genommen schwarzes! – Auge einfängt.

Noch 2005 sah die Frankfurter Allgemeine in ihrer – eher für Erwachsene konzipierte – Reihe kein Probleme darin, dass unter den Schlümpfen die Farbe schwarz für den Inbegriff des Bösen steht, für den Antischlumpf, den in rasendem Wahn (Schwarzschlümpfe schlurfen nicht verschlafen wie Romero-Old-School-Zombies durch die Gegend) beißfreudig die Welt zu infizieren suchenden Hapser. In jener Nation, die in Sachen (manchmal reichlich verirrter) politischer Korrektheit die unangefochtene Weltspitze einnimmt, in den USA, waren Schwarzschlümpfe als Kinderbelustigung 2010 nicht mehr hinnehmbar und man retuschierte die Geschichte für die Publikation bei »Papercutz« (übrigens als erster Band der Schlumpf-Reihe) so, dass die Schwarzschlümpfe (und die Mücke) fortan als »Purple Smurfs« Terror und Entsetzen verbreiten. Einerseits ist es natürlich zu begrüßen, dass Kinder somit aufgrund einer realitätsnahen Hautfarbe nicht mehr unzulässige Rückschlüsse auf die Charakteristika dunkelhäutiger ziehen können, für mich als Puristen ist es aber störend, dass man für die Retusche der Schwarzschlümpfe nun Konturen nachfügen musste (neben der purpurnen Haut ergänzte man auch wahnhaft dreinblickende rote Augen), wo zuvor nur eine fast durchgehende Schwarzfläche zu sehen war. Und oft sieht man überdeutlich, dass die »Künstler«, die dafür zuständig waren, eben nicht die Fertigkeit und den Strich Peyos besaßen. Und die Sache mit der »Politischen Korrektheit« wird wohl in den nächsten Jahrzehnten noch weitaus schlimmere Folgen haben als ein paar beißfreudige infizierte Schlümpfe, egal welcher Farbe. Jedenfalls bin ich froh, dass Otfried Preußlers Die kleine Hexe bereits in meinem Bücherregal steht, wo sich der Text des Klassikers nicht verändern wird. Schlümpfe-Purble

Aus heutiger Sicht ist es nicht weniger als ein Geniestreich, wie Peyo (und sein Co-Texter Yvan Delporte) bereits 1955 diese Geschichte erdachten, die nicht nur das Zombiegenre vorwegnahmen, sondern teilweise (akribische Infektionsgeschichte) auch die Veränderungen des Zombiefilms (und einiger Abarten davon) in der Zeit des AIDS-Virus. Ich hege den starken Verdacht, dass die ersten Versuche, fiktionale Zombies zu »heilen«, erst durch jene reale Seuche inspiriert wurden – und der Infektionsgrund ist bei modernen Zombiefilmen auch nur selten so mythisch-vage ausgeführt wie die »außerirdische Strahlung« bei Romero 1968.

Dafür sollte den Schwarzschlümpfen ein Sonderstatus in jeder Abhandlung über das Zombiegenre zugestanden werden. Gnap said!