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Mai 2003
Thomas Vorwerk
für satt.org

Unterwegs
Dorogi

D/Russland 2002

Buch
und Regie:
Marat Magambetow

Kamera:
Alisher Chamidchojajew

Schnitt:
Marat Magambetow

Musik:
Mitja Kusnetsow

Unterwegs
Dorogi


Mit der Kamera unterwegs in der russischen Provinz. Schöne Schwarzweißaufnahmen von der vorbeieilenden Landschaft, hin und wieder verharrend auf Passanten wie den drei alten Frauen, die sich immer wieder über das Filmteam amüsieren. Unterwegs (Dorogi) (R: Marat Magambetow)

Alberto Cavalcanti fiel es bereits 1942 in "Film and Reality" auf, daß in den Filmen der klassischen britischen Dokumentarfilmschule, aber auch in Dokumentarfilmen aus anderen Ländern Aufnahmen von Wasser gehäuft auftreten. Diese Vorliebe für den ästhetischen Reiz des nassen Elements hält an, man denke nur an "Rivers and Tides". Und auch der aus Kasachstan stammende Regisseur Magambetow weiß, daß er mit Wasser ebensowenig falsch liegen kann wie mit Tieren oder Kindern, weshalb der Film auch nett anzuschauen ist, man sich aber mitunter etwas übertölpelt vorkommt, denn im Gegensatz zu "Être et avoir", dem ich die Kinder sicher nicht vorwerfe (denn sie haben ihren Zweck und sind nicht Selbstzweck), hat man hier manchmal das Gefühl, der Regisseur versuche durch Rückgriffe auf einen allgemein akzeptierten Bild- und Tonkanon über eine gewisse Lockerheit in seinem Konzept hinwegzutäuschen. Katze von links, Hund von rechts, Sonnenuntergang, alter Mann mit Ziehharmonika, ein Angler am See, Kühe, die Gras fressen, spielende Kinder, und dann wieder die Katze, diesmal aber von rechts unten. Unterwegs (Dorogi) (R: Marat Magambetow)

Wir begleiten den Regisseur auf der Reise, sehen dabei Gesichter und hören Geschichten. Teilweise Geschichten von anderen Reisen, aber auch mal eine bebilderte Gruselstory von einer klappernden Tür. Unterbrochen wird diese Reise durch eine Handvoll russische Lieder der melancholischen Art und etwa ebensoviele Farbsequenzen, die in ihrer Zeitrafferästhetik bei "Koyaanisqatsi" abgeschaut scheinen, nur daß hier der pulsierende Musikteppich fehlt. (Begleitmusik fällt eigentlich nur auf, wenn in zwei Sequenzen ein Scheinwerfer nächtliche Spaziergänger aufschreckt.)

Was genau den Zuschauer bei diesem Film faszinieren soll, ist fraglich. Geschichten wie die vom 17jährigen rothaarigen Filmvorführer, der sich in seine 11 Jahre ältere Lehrerin verliebt? Wohl kaum. Eine schlaff in der Mittagssonne liegende Katze? Schon eher. Oder die längere Zeitrafferaufnahme von einigen Fährschiffen, die hin und zurück über die Wolga schippern? Noch am wahrscheinlichsten.

Aber auch, wenn der Film nur 60 Minuten dauert und somit (glücklicherweise) keine extreme Langeweile aufkommen kann, fehlt doch die Dynamik, die der Regisseur durch einige lockere Querverbindungen zwischen den einzelnen Segmenten wohl herstellen wollte. Vieles hinterlässt einen Eindruck wie der Frosch, der sich über eine vielbefahrene Landstraße quält oder die zwei Kinder mit dem Vogel an der Brust, doch wirkliche Höhepunkte gibt es nicht, und retrospektiv scheint allzu vieles einfach beliebig. Schöne Bilder machen noch keinen guten Film.

Und auch einige kleine Hinweise auf eine mysteriöse Zeitkonstruktion hinter dem Film, die Rückkehr zu der ersten Einstellung, einem quer angeschnittenen Gleisstrang oder die später (zusätzlich zu den drei Alten) nochmal auftauchende junge schwarzhaarige Frau mit ihrem glatzköpfigen Freund können die Aufmerksamkeit nicht wirklich fesseln, und so verlässt man den Film ähnlich teilnahmslos wie die Kamera in der letzten Einstellung die zwei Kinder hinter sich lässt.

Jede Sechs-Stundenfahrt mit dem Schönen-Wochenend-Ticket bringt zwar weitaus mehr Langeweile und weniger Momentaufnahmen von Dauer, aber dabei kommt man wenigstens einem selbstgewählten Ziel näher, während man dem, was Marat Magambetow erreichen wollte, nur unbefriedigend und fragmentarisch auf die Schliche kommt.