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Es ist dabei die Geschichte von drei Mädchen, die Long Walk Home erzählt: Molly (Everlyn Sampi), Gracie (Laura Monaghan) und Daisy (Tianna Sansbury), die im Kindesalter ihren Eltern entrissen und in ein Heim gebracht werden, in dem die Kinder mit der "weißesten" Hautfarbe ausgesondert werden sollen. "Ein Gespenst" entfährt es einem der jungen Mädchen, als sie zum ersten Mal eine der ganz in Weiß gekleideten Nonnen sieht, die von nun an für das vermeintliche Wohl der Kinder sorgen sollen. Dass dieses Wohl sich ein wenig anders definiert, als die Kinder es sich vermutlich erhoffen, wird schnell offensichtlich: drakonische Strafen haben Ausbrecher von den tatsächlich geradezu gespenstisch wirkenden Nonnen zu erwarten und offiziell verlassen darf das Camp nur, wer mit heller Haut gesegnet ist. "Sie sind klüger als wir", erklärt eines der im Heim verbleibenden Mädchen den Neuankömmlingen, "sie dürfen auf die richtige Schule". Den psychologischen Aspekt des Völkermordes verkörpert auf bewundernswerte Weise Kenneth Brannagh, der die Rolle des "Chief Protector of Aborigines", des Vormund aller Aborigines, A. O. Neville spielt. Erschreckend real ist die Tiefe, die Brannagh seinem Charakter verleiht: Die Mischung aus der inneren Überzeugung, das Richtige für "seine Rasse" zu tun und die gleichzeitige völlige Loslösung von jeglicher Menschlichkeit erzeugt einen Charakter, der trotz seiner nur kurzen Auftritte im Film beständig wie eine bedrückende Macht zu spüren bleibt. Vielleicht wäre es besser gewesen, dem von Brannagh personifizierten Bösen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, denn die Charakterzeichnung des Anti-Helden gelingt dem Regisseur Phillip Noyce deutlich besser als die seiner drei Protagonisten. Die meiste Zeit von Long Walk Home wird von dem Drama eingenommen, das sich entspinnt, als die drei Kinder der Grausamkeit des gefängnisartigen Heimes zu entfliehen versuchen und die lange Flucht in ihre Heimat Jigalong antreten. Hier jedoch scheitert der Film, bei der Begleitung seiner drei kindlichen Heldinnen durch die Australische Wüste. Er scheitert an seinen allzusehr in die Landschaft verliebten Aufnahmen. Es ist nicht adäquat, das Martyrium der Kinder, die mehrere 1000 Kilometer durch die Wüste laufen, in postkartenreife Bilder des Sonnenuntergangs zu verpacken. Die Mädchen scheinen von den Strapazen nicht wirklich angetastet zu werden. Die Gewalt und Unmenschlichkeit ihrer Umgebung verliert sich in den Bildern der feindseligen, trockenen Wüste, die Körper der Kinder erreicht sie nicht. Wirklich nahe kommen die Gefahr und das Grauen nur in den Momenten der Trennung - der Trennung von den Eltern und schließlich auch der Trennung voneinander. Die Inszenierung dieser Momente setzt ganz auf die tragische Kraft, auf das Melodrama des Verlustes. Fraglich bleibt hierbei, ob es angemessen ist, mit Verbrechen vom Ausmaß eines Völkermordes umzugehen, indem man die Strukturen des Genrefilms nutzt. Die Flucht, das Drama, die Spannung, das Road Movie, sie lenken die Emotionen des Zuschauers auf ausgetretene Pfade der Wahrnehmung, die vergessen machen, dass man hier nicht drei Ausreißern aus dem Schullandheim bei einer spannenden Flucht zusieht, sondern mit unmenschlichen Auswüchsen menschlicher Psyche konfrontiert ist. Es ist ein begrüßenswertes Phänomen, dass der Mainstream sich an der Aufarbeitung von nationalen und individuellen Traumata versucht. Was jedoch Egoyan gelang, indem er in Ararat die Strukturen des Traumas, die Brüche und Lücken der Erinnerung auch in die filmische Form Eingang finden ließ, das überfordert Long Walk Home, der durch die zu große Diskrepanz von Inhalt und Form auseinanderzufallen droht.
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