Der Sohn
Le fils
Beim lang ersehnten und mit Spannung erwarteten neuen Film der Macher von "
Rosetta" bedienen sich die Brüder Dardenne abermals einer Kameraführung, die in intimster Weise den Hauptprotagonisten geradezu "verfolgt", den Schreinermeister Olivier nicht aus den Augen lässt, aber auch wiederum die Narration auf seine ganz persönliche Erlebniswelt beschränkt. So sehen wir zwar, wie Olivier an seiner Arbeitstelle herumspioniert, aber da er mit niemandem darüber spricht, dauert es etwa eine halbe bis dreiviertel Stunde, bis wir seine Motivationen dafür erkennen. Was hat es mit dem neuen Azubi auf sich, den Olivier zunächst in eine andere Abteilung schicken lässt, bevor er sich dann doch selbst um den Jungen, der gerne Schreiner werden würde, kümmert? Der Titel des Films drängt natürlich einige Assoziationen auf, doch die Art und Weise, wie sich die eigentlich recht konstruierte Geschichte des Films langsam entwickelt, macht es mir unmöglich, in dieser Rezension bereits den ganzen Plot vorwegzunehmen, denn damit würde man dem Film auch einigen Reiz nehmen.
Einzig die Grundkonstellation der Geschichte lässt "Le fils" etwas hinter "Rosetta" zurückstehen, die Kameraarbeit ist sogar noch versierter und ausgefeilter (und weniger verwackelt, weil man Olivier nicht so oft mit der Steadicam hinterherlaufen muß, auch wenn er manchmal überraschend agil ist), und die Darsteller sind mindestens ebenso überzeugend, allen voran Olivier Gourmet, der bereits in "Rosetta" eine Nebenrolle versah, und mir persönlich als bösartiger Rollstuhlfahrer in "Nationale 7" langhaltig in Erinnerung blieb.
Alles, was mich an "Rosetta" verzauberte (mit Ausnahme der Hauptdarstellerin Emilie Dequenne), gehört auch bei "Le fils" zu den Stärken: Ein Drehbuch, das seine Struktur hinter der Narration versteckt und die Psychologie der Figuren nicht immer herausposaunt, das wiederum quasidokumentarische Konzept der Annäherung, und eine emotionsstarke Geschichte, die auch vor radikalen geistigen Verwirrungen nicht haltmacht. Hinzu kommt eine wieder mal genaue Beschreibung des Arbeitsraums (aus irgendwelchen Gründen fand ich die Kreissäge ähnlich enervierend wie die Maschinen in "Dancer in the Dark", ich darf ähnlich zartbesaitete Zuschauer aber beruhigen, daß es keinen "Arbeitsunfall" gibt, bei dem dieses Werkzeug eine Rolle spielt) und eine sehr menschliche Note (in den Szenen mit der Mutter des "Sohnes"), die dadurch, daß sie von der Narration und der Hauptfigur in den Hintergrund gedrängt wird, nur umso stärker wirkt. Wie schon, und ich weiß, ich wiederhole mich, bei "Rosetta". Aber: man muß "Rosetta" nicht gesehen haben, um diesen Film zu schätzen, und auch, wenn man gewisse Arbeitsprinzipien der Regisseure wiedererkennt (zum "durchschauen" gehört einiges mehr), verliert der Film dadurch nicht an seiner Ausdrucksstärke.