Liga der außergewöhnlichen Gentlemen The League of Extraordinary Gentlemen USA 2003
Regie: Stephen Norrington
Buch: James Dale Robinson
Comic-Vorlage: Alan Moore, Kevin O'Neill
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Kamera: Dan Laustsen
Schnitt: Paul Rubell
Musik: Trevor Jones
Darsteller: Sean Connery (Allen Quartermain), Peta Wilson (Mina Harker), Naseeruddin Shah (Captain Nemo), Shane West (Tom Sawyer), Stuart Townsend (Dorian Gray), Jason Flemyng (Henry Jekyll / Edward Hyde), Tony Curran (Rodney Skinner, The Invisible Man), Richard Roxburgh (M), Max Ryan (Dante), Tom Goodman-Hill (Sanderson Reed), David Hemmings (Nigel), Terry O'Neill (Ishmael)
Kinostart: 2. Oktober 2003
sattLINK: Lutz Göllner im Gespräch mit Alan Moore
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Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen The League of Extraordinary Gentlemen(Wer sich nicht für Comics interessiert, kann gleich zum Inhalt weiterklicken.)
Vor einigen Jahren gab es zunächst das erfreuliche Gerücht, daß Terry Gilliam Alan Moores "Watchmen" verfilmen soll, gefolgt von dem Schock, daß auf Wunsch der Produktionsfirma bei dem Film (vielleicht schon in einem Stadium, das nichts mehr mit Gilliam zu tun hatte) die Figur Rorschach dadurch publikumswirksamer gestaltet werden sollte, indem ihr ein kleiner Hund zur Seite gestellt wird …
Glücklicherweise mussten wir diesen Film nie ansehen.
"From Hell", die erste große Moore-Verfilmung, zeigte auch einige Veränderungen, die klar mit den Gesetzen des Mainstream-Kinos zusammenhingen, war dabei dennoch akzeptabel, während man zu "League of Extraordinary Gentlemen" schon früh Horrormeldungen hörte - aber bei schlechten Erwartungen kann man fast nur positiv überrascht werden …
Einer der Punkte, der mich immer noch auf einen gelungenen Film hoffen ließ, der aber beispielsweise im Presseheft auf nur drei Zeilen abgehakt wurde, war der Drehbuchautor James Robinson, ein anderer Comicautor aus der dritten british wave, der für solch vorzügliche Superheldenserien wie "Starman" und "Firearm" verantwortlich zeichnete, aber auch mit Projekten wie "The Golden Age" oder "Witchcraft" sein ausgeprägtes Talent demonstrierte.
Auffällig ist, daß Robinson im Gegensatz zu Moore nie mit Team-Comics verzückte. Sein "JSA", das er dann an seinen Schüler David Goyer abtrat, habe ich schon recht früh aus meiner Aboliste geschmissen, und beim Buch zu "L. O. E. G." merkt man auch, daß es ihm manchmal nicht leichtfiel, sämtliche Figuren bei unterschiedlichen Handlungssträngen zu beschäftigen. So gibt es recht schnell nach dem Zusammentrommeln der "Liga" den ersten Fight, bei dem die "Gentlemen" ihren Teamgeist beweisen dürfen. Doch die Zusammenarbeit hält sich auf einem Minimum, während der Kugelhagel nur jene trifft, die damit eh keine Probleme haben, wird es schnell uninteressant, wie die Ligamitglieder auf irgendwelchen deutschen Bösewichten rumhauen, während deren Oberhaupt, das "Phantom" sich aus dem Staub macht. In der Mitte des Films gibt es dann die auch bei Moore wichtige Frage, welches Mitglied wohl ein Verräter ist, und der Schluß gestaltet sich vor allem darüber, daß die meisten ligamitglieder einen Gegenspieler finden, der ähnliche Stärken und Schwächen aufweist - alles zusammengenommen schon etwas formelhaft …
Zum Inhalt: Im London eines Paralleluniversums trommelt im Jahre 1899 ein geheimnisvoller "M" einige Stars des viktorianischen sensationalism zusammen, die wie Prototypen heutiger Superhelden wirken.
- H. Rider Haggards zumeist in Afrika tätiger Abenteurer Allan Quartermain (Sean Connery) brachte es sogar auf mehrere Romane, am bekanntesten wohl "King Solomon's Mines" (1885). Die im Comic betonten Probleme seines fortgeschrittenen Alters und der Drogenprobleme finden im Film kaum Eingang, stattdessen muß "Mr. Q" (bei diesem Darsteller kann man sich die Bond-Anspielungen wohl kaum verkneifen) sich mit Schuldkomplexen rumquälen und seine Schießkünste demonstrieren.
- Mina Harker aus Bram Stokers "Dracula" (1897) wird hier leider nicht von Winona Ryder dargestellt, sondern von Peta Wilson, der Darstellerin der "Nikita" in der Fernsehserie. Während sie sich vor allem im ersten Volume des Comics stark zurücknimmt, und vor allem damit beschäftigt ist, ihren Hals zu bedecken, sind die Entstellungen im Film weniger dramatisch, Ms Harker ist dafür aber eine Vollblutvampirin incl. schlechten Tischmanieren, Unverletzbarkeit und der Fähigkeit zu fliegen. Bei mindestens einer Szene setzt sie sich grellem Sonnenlicht aus, ohne besondere Vorkommnisse. Eben eine echte Superheldin mit "Spawn"-mäßigem Twist, wie sie heutzutage "in" sind.
- "The Invisible Man" (1897 von H. G. Wells) heißt hier nicht wie im Comic (und bei Wells) Jack Griffin, sondern Rodney Skinner, angeblich, weil der ursprüngliche Unsichtbare ja im Buch verstarb. (Seltsam, daß man dasselbe Problem bei mindestens zwei Personen des Films leicht überging …) In der ersten Verfilmung des Stoffs 1933 (ich weise auch auf die aktuellen Versionen der Geschichte von John Carpenter und Paul Verhoeven hin) sah man vom Hauptdarsteller Claude Rains so gut wie nichts, was man dem Darsteller Tony Curran hier wohl nicht antun wollte, weshalb er sich sein Gesicht dauernd mit weißer Farbe einschmiert …
- Bei Robert Louis Stevensons "Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde" (1886) kann man wohl am leichtesten die Nachahmer im Bereich Comic ausmachen. Ang Lees "Hulk"-Verfilmung verschrieb sich ja auch besonders den seelischen Aspekten dieser multiplen Persönlichkeit, und die Spezialeffekte bei den Verwandlungen hier erinnern ebenso wie Hydes Angewohnheit, über Hausdächer zu hüpfen, an den Hulk. Der Darsteller beider Figuren, Jason Flemyng (bekannt aus den ersten zwei Filmen von Guy Ritchie), spielte übrigens auch bei "From Hell" mit, und zwar als Kutscher des Arztes Gull.
- Bei Captain Nemo, dem einzigen der originalen Comic-Gentlemen, der nicht aus einem englischen Roman entstammt, sondern aus Jules Vernes "20.000 Meilen unter dem Meer" (1869), hat man sich übrigens beim Film besonders viel Mühe gegeben, denn dem zumeist bei Verfilmungen außer Acht gelassenen Detail, daß es sich beim Captain um einen Inder handelt, wird dadurch genüge getan, daß er von Naseruddin Shah, einem der bekannteren indischen Schauspieler (drei dortige Äquivalente des "Oscars") besetzt wurde, und auch bei der Figur wird der Unwille, mit dem britischen Imperium zusammenzuarbeiten, sehr deutlich.
Neu hinzu kamen beim Film:
- Die Titelfigur aus Oscar Wildes "The Picture of Dorian Gray" (1891), einem Roman, den niemand dem sensationalism zurechnen würde, der aber durch seine "Unsterblichkeit" ebenso wie durch sein dandyhaftes arrogantes Auftreten zu einer der interessantesten Figuren des Films wird. Der Darsteller Stuart Townsend spielte zuletzt den Lestat in einer australischen Anne Rice-Verfilmung und vermag über einen Großteil des Films zu überzeugen (wie eigentlich fast alle Hauptdarsteller).
- Die Beweggründe des Drehbuchautors sind besonders offensichtlich beim letzten Neuzugang, Agent Thomas Sawyer, dem erwachsen gewordenen Titelhelden aus Mark Twains "The Adventures of Tom Sawyer" (1876). Nicht nur haben wir es hier mit einer amerikanischen Vorlage zu tun, die wohl die bekannteste von all den Buchvorlagen sein dürfte (auch durch die unzähligen Verfilmungen von Twains Mississippi-Büchern), nebenbei kann man hier auch einen jungen Darsteller (Shane West) einsetzen, der als Identifikationsfigur einfach besser funktioniert als Sean Connery oder einer der übermenschlichen Charaktere.
Die sieben Freunde werden nun also losgeschickt, auf der Suche nach dem Phantom, das einen Weltkrieg anzetteln will. Dabei trifft es sich vorzüglich, daß man mithilfe der Nautilus blitzschnell mal in Paris oder den Kanälen von Venedig auftauchen kann …
Der ironische Tonfall des Films, der sich vor allem beim Panzerüberfall mit deutsch sprechenden Soldaten am Anfang zeigt, hält sich leider nicht durchgängig, aber auch, wenn die Darsteller (und der Regisseur) hier größtenteils unbekannt sind, kann die "Liga" etwa mit den "X-Men"-Filmen ohne weiteres mithalten. Teilweise fühlt man sich sogar etwas daran erinnert, was aber nur den echten Fans der Comic-Vorlage sauer aufstoßen wird. Das volle Potential der Vorlage kann (wie erwartet) nicht ausgeschöpft werden. Während Alan Moore seinen Unsichtbaren in ein (literarisch verbürgtes) Mädchenpensionat schickt oder (in Vol. II) die sexuellen Vorlieben von Edward Hyde offenbart, bleibt der Film immer jugendfrei, man geizt stattdessen nicht mit (zumeist enttäuschenden) Explosionen, und insbesondere die Anspielungen (im Comic sehr wichtig) sind eher mager. Hin und wieder Nebencharaktere, die Ishmael oder Dante heißen, ein Hinweis auf "In 80 Tagen um die Welt" oder Jack the Ripper (man sollte im Film auf das Symbol der Freimaurer achten …), zu den gelungensten Insider-Jokes gehören da noch die Ähnlichkeit des Phantoms mit Alan Moore (zottelige Haare, langer Bart, unzählige Ringe an den Fingern und ein teuer aussehender Gehstock) und ein Plakat am Rande.
Trotz allem einer der wenigen positiven Überraschungen aus dem amerikanischen Mainstream-Actionkino, die ich dieses Jahr zu Gesicht bekam, und wenn nur jeder hundertste Besucher sich durch den Film inspiriert fühlt, auch mal den Comic anzuschauen, so könnte man den Film sogar als kulturelle Errungenschaft ansehen …
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