"X-Filme" hat durch Tom Tykwer und zuletzt Wolfgang Beckers Good Bye Lenin! in Deutschland eine gewisse Bekanntheit erreicht, bei der Firma "claussen + wöbke", die neben der gesamten Filmographie von Hans-Christian Schmid auch Erfolge wie Jenseits der Stille oder Anatomie produzierte, klingeln beim durchschnittlichen Kinopublikum wahrscheinlich nicht automatisch die Glocken. Nichtsdestotrotz ist die erste Zusammenarbeit dieser zwei ebenso erfolgreichen wie experimentierfreudigen deutschen Mainstream-Kinomaschinen ein erfreuliches Ereignis.
Marco Kreuzpaintners Sommersturm, der dieses Jahr beim Filmfest München den Publikumspreis bekam, erscheint ein wenig wie das missing link zwischen Was nützt die Liebe in Gedanken (X-Filme) und Crazy (claussen + wöbke), einer jener Ferienlager-Filme, bei denen sich diesmal aber zum coming of age auch noch das coming out gesellt.
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Tobi und Achim sind seit langem beste Freunde und freuen sich bereits auf den Ausflug mit dem Ruderverein, bei dem mit Sandra und Anke bereits zwei gutaussehende Gegenstücke aus der Damenmannschaft Kontakt aufgenommen haben. Doch schnell stellt sich heraus, daß Tobi seinen Freund nicht an ein Mädchen verlieren will und auch auf die Avancen der recht aktiven Anke wenig Wert legt. Tobi ist in Achim verliebt, doch als er ihm dieses leicht angesäuselt gestehen will, ist es so offensichtlich, daß dieses Geständnis einen Keil zwischen die beiden treiben würde, daß Tobi lieber herumdruckst - und Achim die wenigen Äußerungen seines Kumpels so deutet, daß er glaubt, Tobi sei ihm in Sachen "zwischengeschlechtlichen Nahkampf" bereits zuvorgeeilt und hätte mit Anke schon eine Nacht verbracht - die daraus entstehenden Probleme innerhalb dieser Viererkonstellation sind offensichtlich …
Die anderen Jungs aus dem Ruderteam haben sich nicht in Frauen aus dem eigenen Team verknallt, sondern hoffen auf das Mädchen-Team aus Berlin - doch welche Enttäuschung, als sich herausstellt, daß stattdessen nur ein weiteres Jungen-Team aus der Hauptstadt angereist ist. Und als diese auch noch aufgeklärt haben, was es mit dem Team-Namen "QueerSchlag" auf sich hat (natürlich kein Schreibfehler), ist man bereits mitten in der Geschichte …
Der junge Regisseur und Co-Autor versammelt ein illustres Ensemble, bei dem zu keinem Zeitpunkt auffällt, daß die Jungdarsteller zwischen 15 und 23 Jahre alt sind - selbst Robert Stadlober als bekanntestes Gesicht fügt sich perfekt in die Jugendherbergsatmosphäre ein, und dadurch, daß auch die Nebenfiguren nicht nur Staffage sind, erscheinen die Figuren trotz gelegentlicher Überzeichnung dreidimensional, und die Konflikte erschöpfen sich nicht im platten Schenkelklopf-Humor. Insbesondere im Team Queerschlag überzeugen der Schwulentraum Malte, der den Hetero Schorse "knacken" will, und der eher schüchterne Leo (Marlon Kittel aus Paule und Julia), der sich für Tobi interessiert. Somit sind genügend Handlungsstränge möglich, und insbesondere bei der coming out-Szene überwindet der Regisseur die Erwartungen des Publikums und überzeugt durch eine eher beiläufige Auflösung des Problems.
Bereits beim Vorspann konzentriert sich Kreuzpaintner aufs "Wesentliche" (Ein Trimm-Dich-Pfad wird durch Unschärfen und Zeitlupe eindeutig erotisiert) und dem Film gelingt es, den Zuschauer nicht nur über, sondern vor allem mit den Schwulen zu lachen. Dennoch gibt es auch einige Kritikpunkte. So, wie man bei der Darstellung der Homosexualität Subtilität und Einfühlungsvermögen zeigt, so ist die katholische Mädchengruppe "Saxonia Dresden" eine Versammlung stupider Vorurteile, die ihresgleichen sucht. Ist es wirklich nötig, den Osten als "Prügelknaben" hervorzuholen, damit sich die Schwulen und Heteros aus dem Westen näherkommen können? Auch der einzige Junge, der sich für die Sächsinnen interessiert, erinnert ein wenig zu stark an Zachy Noy in den Eis am Stiel-Filmen.
Ferner fiel mir bereits bei Crazy der Hang zur Gemeinschafts-Onanie merkwürdig auf ("Los, wichsen, ich hab' Druck!" - ich glaube nicht, daß ich in dieser Hinsicht in meiner Jugend etwas "verpasst" habe …), aber andere Elemente des Films wie die Musikauswahl ("Go West" kommt erst recht spät) oder die Dialoge ("Ich recherchiere das noch mal …") fallen durchweg positiv auf, und trotz einiger Unstimmigkeiten könnte Sommersturm trotz spätem und teilweise enttäuschendem Sommer ein Kino-Sommerhit werden. Eine späte Montagesequenz, die nach dem titelgebenden Sturm die verlassenen Orte der Handlung zeigt, erinnerte auch immens an die melancholische Stimmung von Crazy - wenn Stadlober mit diesem Film nur halbsoviele Zuschauer ins Kino lockt, dürften bereits alle Beteiligten zufrieden sein. Und wenn Marco Kreuzpaintner mit dem Film einige homophobe Zuschauer bekehren kann (Robert Stadlober findet es insbesondere unangemessen, wie in der deutschen Hiphop-Szene, die viele Jugendliche beeinflußt, "schwul" wie ein Schimpfwort benutzt wird), dann wünsche ich dem Film doppelt soviele Zuschauer wie Crazy.