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Februar 2005
Thomas Vorwerk
für satt.org

Sophie Scholl - Die letzten Tage
Deutschland 2004

Filmplakat

Regie:
Marc Rothemund

Buch:
Fred Breinersdorfer

Kamera:
Martin Langer

Schnitt:
Hans Funck

Musik:
Reinhold Heil, Johnny Klimek

Darsteller:
Julia Jentsch (Sophie Scholl), Fabian Hinrichs (Hans Scholl), Alexander Held (Robert Mohr), Johanna Gastdorf (Else Gebel), André Hennicke (Roland Freisler), Florian Stetter (Christoph Probst)

117 Min.

Kinostart:
24. Februar 2005

Berlinale-Bär

Sophie Scholl
Die letzten Tage

Um auch am Berlinale-Kinotag noch etwas zu schauen zu haben, hatte ich mir Sophie Scholl aufbewahrt und wusste deshalb bereits vor der Sichtung des Films von seinen zwei gewonnenen Bären. Bei Julia Jentsch, die mir schon in Die fetten Jahre sind vorbei gut gefiel, hatte ich keinerlei Bedenken, doch beim Regie-Bären war ich durchaus skeptisch. Marc Rothemund hat bisher bei Filmen wie Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit oder Harte Jungs Regie geführt, nicht nur hatte mich verwundert, daß man auf ihn bei diesem Projekt zurückgriff, nun sollte er diesen Job auch noch besser als Tsai Ming Liang, Hany Abu-Assad oder Christian Petzold gemacht haben?

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Vielleicht nicht ganz, aber beim jahrelang bewährten Gießkannenprinzip der Jury ist diese Entscheidung wahrscheinlich eher nachzuvollziehen als der Musik-Preis für De battre mon cœur s’est arrêté, der in meinen Augen definitiv für Größeres bestimmt war.

Sophie Scholl ist effektiv und schnörkellos inszeniert. Im Gegensatz zu Michael Verhoevens Die weiße Rose hat sich Marc Rothemund, wie auch im Filmtitel ausgeführt, auf Die letzten Tage konzentriert. Es fällt positiv auf, daß der Zuschauer gleich in medias res geworfen wird: Flugblätter werden gleichzeitig (?) abgefasst, gedruckt und in Briefumschläge gesteckt, den Rest will Hans Scholl am nächsten Tag in seiner Münchner Uni verteilen, was als riskant eingestuft wird und dann auch entsprechend dramatisch umgesetzt wird. Wie eine Bombe werden die Flugblätter dargestellt, "heute fliegt der Funke in der Uni". Zweimal wähnt der (uninformierte) Zuschauer die Geschwister bereits in Sicherheit, dann beginnt die Verhörung, wobei der Film sich ganz auf die Geschichte von Sophie konzentriert, was den psychologischen Druck der Verhörung natürlich verstärkt und beispielsweise (abermals für Uneingeweihte) die Rolle von Sophies Mitgefangener Else interessanter macht, denn auch bei ihr könnte es sich um einen Spitzel handeln …

Auch wenn Julia Jentsch hier sicher die bisher beste Leistung ihrer jungen Filmkarriere abliefert, fand ich die Darstellung der Nazi-Schurken viel interessanter, weil Sophie Scholl (von mir aus auch zurecht und historisch verbürgt) ein wenig unter dem Micky-Maus-Effekt leidet, und zu hochanständig und politisch korrekt handelt. Da sind die nuancierten Darstellungen des leichten Zweifels des Verhör-Spezialisten Robert Mohr (Alexander Held) interessanter, und insbesondere André Hennicke (Der alte Affe Angst) als "Blutrichter" Freisler wird zu einer Inkarnation des Bösen, wie man sie selten faszinierender gesehen hat. Damit meine ich jetzt nicht, daß ich während des Films den Verlockungen des Nationalsozialismus zum Opfer fiel, sondern seine pointierten Dialogzeilen, die er in einer rhetorisch versierten, melodisch vorgetragenen Darbietung zum absoluten Höhepunkt des Films macht. Für mich persönlich hat der Film dann teilweise auch etwas seltsam funktioniert, denn die insbesondere über die doch sehr konventionelle Musik beschworenen Emotionen stellten sich bei mir nicht ein, zu abgebrüht ist man als Dauerschauer. Stattdessen erfreute ich mich an der perfiden Grausamkeit der Geschichte, wenn Mittäter Christoph Probst etwa um sein Leben bittet, weil seine drei kleinen Kinder einen Vater brauchen, und Freisler süffisant abwehrt "So ein mieses Vorbild brauchen deutsche Kinder nicht". Dadurch, daß dies nicht immer Einfälle des Drehbuchautoren sind, sondern größtenteils Originalzitate aus der "Verhandlung", habe ich zwar ein schlechtes Gefühl dabei, aber jeder Zuschauer, der zwei Stunden lang nur mit Sophie Scholl mitfühlt, und dann am Schluß sagt: "So hätte ich es auch gemacht", kommt mir dann doch etwas verlogen vor.

Als kleines Nachwort muß ich am Film noch einen der eklatantesten Continuityfehler, der mir je untergekommen ist, kritisieren: An einer Stelle des Verhörs stellt Robert Mohr Zusammenhänge über zwei Requisiten heraus. Ein auf seinem Schreibtisch befindliches Strafgesetzbuch und ein gleichhoher Stapel mit Karteikarten, auf denen sich verdächtige Personen aus dem Umfeld der Geschwister Scholl finden, werden in Großaufnahme nebeneinander geschoben. Im Verlauf der nächsten zehn Filmminuten sieht man diese beiden Objekte auf dem Schreibtisch sicher sieben-, achtmal abwechselnd nebeneinander und weiter voneinander entfernt. Einem Regiebärengewinner sollte so etwas eigentlich auffallen …