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Mai 2005
 

Cinemania 12
Berlinale Dumplings II

Gut zwei Monate nach der Berlinale können wir immer noch mit Rezensionen (diesmal erneut zu asiatischen Filmen) aufwarten, allerdings waren die besten Filme aus China, Hong Kong, Japan und Korea bereits in unserer ersten Auswahl (Cinemania 7) vertreten - von The Wayward Cloud in Cinemania 8 gar nicht zu sprechen …



Berlinale-Bär

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Cinemania 12:
Berlinale Dumplings II

Alle Rezensionen stammen von Thomas Vorwerk

Das tausendjährige Feuer
(Naoki Segi, Kinderfilmfest)

Originaltitel: Sen-nen-bi, Japan 2004, Buch: Kei Kohsaka, Kamera: Yoshio Shimizu, Schnitt: Hideaki Inoue, Musik: Chiyoka Kitazaki, mit Shohei Murata (Satoshi Sugita), Nana Yamashida (Ayumi Oda), Tetsuro Tanba (Dr. Okina), Kazuko Yoshiyuki (Fusako Sugita), Kikuo Kaneuchi (Yukio Sugita), Sadao Watanabe (Saxophonist), 89 Min.

Die Mutter des elfjährigen Satoshi starb bei seiner Geburt, nun wird auch der Vater, ein erfolgloser Maler, das Opfer eines Verkehrsunfalls, und der traumatisierte, nun völlig verschlossene und stumme Junge wird von Tokyo zu seinen Großeltern, die in einem kleinen Küstenort wohnen, geschickt. Obwohl Satoshi seine Trauer nicht verbalisiert (wie die Anna in Les mots bleus bleibt er zunächst stumm) und auch sonst selten verarbeitet (bei einem Wutanfall attackiert er ein Wasserfarben-Porträt seiner Eltern, was er schnell bereut), wirkt die ländliche Gegend und die Aufmerksamkeit seiner Umwelt (insbesondere seine Großeltern und die gleichaltrige Ayumi geben sich Mühe) heilend auf ihn ein. Doch dann gibt es da auch noch Kinder aus dem Dorf, die ihn neugierig verfolgen und - wie Kinder so sind - provozieren. Nach einem Gerangel werfen sie das Handy ins Wasser, das Satoshi von seinem Vater bekam. Nicht nur war dies sein Mittel zur Kommunikation mit Ayumi (bloß, weil man schweigt, muß man ja nicht auf SMS verzichten), auch waren auf dem Handy unzählige Bilder von ihm und seinem Vater gespeichert, die nun verloren sind. Beim Anblick des defekten Mobiltelefons weint Satoshi erstmals.
Doch das Leben geht weiter, Satoshi erkennt in seiner Umgebung Motive aus den Bildern seines Vaters wieder, und als Mannesprobe schwimmt er bei einem traditionellen Wettbewerb mit, der nach einer Strecke von 3,2 Kilometern endet. Und in bester japanischer Manier, wo elektronische Geräte und die Geister der Verstorbenen oft miteinander in Verbindung stehen (wenn auch meist nur in Horrorfilmen), bleiben sowohl Satoshi als auch das inzwischen getrocknete Handy danach nicht stumm.
Ein Stoff, der für einen Kinderfilm zunächst etwas trocken / hart wirkt, wird auch durch einige komische Elemente und Musik aufgelöst, wobei ebenso wie der absurde Straßentänzer mit seiner Schubkarre auch die Musiker (darunter auch die Streicherin, die vor der Filmvorführung im Saal musizierte und von den Kindern natürlich im Film wiedererkannt wurde) quasi-diegetisch im Film auftauchen und zwar in einem Waldstück am Meer, das mich außerdem an Godards Pierrot le fou erinnert. Solche Momente verleihen dem Film über seine anrührende Geschichte hinaus einen besonderen Reiz, und wenn man bedenkt, daß die Produzenten des Films "nur" Stadträte etc. aus dem Küstenort waren, deren Verlangen nach einer Visualisierung ihrer lokalen Traditionen auf kongeniale Art mit einer Geschichte verflochten wurden, so muß man dem auf dörfliche Geschichten abonnierten Regisseur Naoki Segi wirklich gratulieren. Selten sah ich einen "Propaganda"-Film, der derart über sein eigentliches Ziel hinauswuchs.

Starlit High Noon
(Nakagawa Yosuke, Forum)

Originaltitel: Mahiru no hoshizora, Japan 2004, Buch: Nakagawa Yosuke, Kamera: Yanagida Hiroo, Schnitt: Okuda Hiroshi, Musik: Sawada Jyoji, mit Suzuki Kyoka (Yukiko), Wang Leehom (Rainson), Kashii Yu (Saya), 92 Min.

Nach einer etwas rätselhaften Intro, bei der eine Leiche und eine Pistole in einen Swimming Pool fallen, und wir aus dem Off den Schwur eines Mannes hören, nie wieder eine Mission in einem Pool zu beenden, lernen wir den Sprecher (zu Beginn denkt man noch, es könne frei nach Sunset Boulevard gleichzeitig auch das Opfer des Mordes zu Beginn sein) etwas besser kennen. Der 25jährige Taiwanese Rianson ist ein Auftragskiller, der von einer Verbrechensorganisation sozusagen "festangestellt" ist. Zwischen seinen Jobs in Taipeh taucht er in seinem Apartment im japanischen Naha unter, wo er abgesehen von Poolbesuchen (bei denen er von der 18-jährigen Saya umschwärmt wird) fast den ganzen Tag zurückgezogen in seiner Wohnung fristet.
Doch bei seinen nächtlichen Ausflügen in einen Waschsalon (Keine Ahnung, warum er in seiner luxuriös ausgestatteten Bleibe keine eigene Waschmaschine stehen hat) lernt er eine etwas ältere Frau kennen, die er schließlich unter Zeitdruck auch anspricht und sogar zu einem Essen bei sich zuhause überreden kann. Der vollendete Gentleman ist auch ein hervorragender Koch und Liebe geht bekanntlich durch den Magen …
Doch Yukiko lässt sich nicht sofort zu einem zweiten Date verabreden und so begleitet er sie zunächst nur nach Hause. Währenddessen finden in Taipeh zwischen den rivalisierenden Gangsterbanden "Friedensgespräche" statt, und unter der Bedingung, daß der Mörder des Bosses der einen Organisation ausgeliefert / getötet wird. Natürlich handelt es sich dabei um Rianson, der von alledem nichts ahnt und seinen nächsten Besuch nach Taipeh antritt. Völlig verschossen in Yukiko will er jedoch sein Leben ändern und bittet diese per Brief, ihm am Flughafen zu treffen. Nur, wenn sie nicht erscheinen sollte, würde er abfliegen. Dummerweise lässt er diesen Brief aber von Saya übermitteln, die ihn aufgrund ihres eigenen Interesses an Rianson postwendend einem Mülleimer anvertraut …
Regisseur Nakagawa Yosuke fiel durch seinen (ebenfalls im Forum gelaufenen) Film Departure bereits positiv auf, und Starlit High Noon baut teilweise sogar auf diesem Film auf (zumindest mit der Figur Yukiko). In den besten Momenten kann die leise Liebesgeschichte auch durchaus überzeugen. Umso unverständlicher ist es aber, daß die Rahmenhandlung um den Auftragskiller, die wie ein überflüssiger MacGuffin für den Film ohne wahre Konsequenz bleibt und scheinbar allenfalls einige Zuschauererwartungen befriedigen soll, die love story in einer vermeintlich tödlichen Umarmung umschließt. Wirkliche Spannung kommt bei dem Gangsterplot, der nahezu jede Action elliptisch ausspart, nicht auf, und zumindest ich hätte mir einige zusätzliche Gespräche im Waschsalon oder ein weiteres Abendessen sehnlicher gewünscht als den üblichen Genre-Kram, den der Film eigentlich nicht nötig gehabt hätte. So bleibt im Nachhinein nicht der Anklang an Jim Jarmusch, den Departure seinerzeit mit sich brachte, sondern nur die verschwommene Erinnerung an eine verpasste Chance und eine verpatzte dritte "Mission" des Regisseurs.

Green Chair
(Park Chul-soo, Panorama)

Originaltitel: Nok-saek-eui-ja, Südkorea 2004, Buch: Kim Jun-han, Kamera: Lee Eun-kil, Schnitt: Oh Young-hwan, Musik: Uhuhboo Project, mit Suh Jong (Moon-hee), Shim Je-hoo (Hyun), Oh Yun-hong, 98 Min.

Eine ältere (verheiratete) Frau wird dafür angeklagt, mit einem minderjährigen Jungen Sex gehabt zu haben. So formuliert, hört sich die einem Zeitungsartikel entnommene Prämisse von Green Chair wie ein Fall von Pädophilie an. Die vermeintliche "Vergewaltigung" wirkt aber nur noch absurd, wenn man erfährt, daß der "Junge" 19 Jahre alt ist (in Korea wird man erst mit 20 volljährig) und einen Kopf größer als die 32jährige Moon-he, die dadurch so gar nicht mehr wie eine gewissenlose Verführerin wirkt, sondern wie eine Hälfte einer eigentlich ganz normalen Liebesbeziehung. Nichtsdestotrotz wird Moon-he zu 100 Tagen Sozialdienst verurteilt, nach denen sie auch am liebsten gleich Schluß mit dem College-Studenten Hyun machen würde, doch stattdessen geben sich die zwei einer fünftägigen (immer noch illegalen) Sexorgie in einem kleinen Hotel hin. "Let’s do it again till we pass out."
Green Chair (Der Titel wird nicht erklärt, mich würde aber nicht wundern, wenn die Angeklagten in koreanischen Gerichten auf einem grünen Stuhl sitzen) gibt sich zu großen Teilen einer intimen, ehrlichen Darstellung einer explizit sexuellen Beziehung hin (ohne dabei pornographisch zu werden), klagt aber auf der anderen Seite die heuchlerische Verfolgung dieser "Straftat" durch die Gesellschaft an. Wie Hyänen lauern Moon-he nach ihrer Entlassung Reporter auf, die sie teilweise auch verfolgen, vom gewitzten Paar aber immer wieder ausgetrickst und als running gag gefesselt werden.
Ein weiterer humoristischer Höhepunkt des Films, der aber dennoch auch als Gesellschaftssatire funktioniert, ist Hyuns 20. Geburtstag, bei dem u. a. Moon-hes zurückgelassener Gatte, Hyuns Eltern, der ermittelnde Polizist und eine gleichaltrige Schulkameradin Hyuns, die ihn vergöttert, zugegen sind. In Gesprächen zwischen diesen Personen ergeben sich überraschende Einsichten, die die "Verfolgung" der ihre Sexualität auslebenden Frau noch absurder erscheinen lassen.
Green Chair wirkt nicht unbedingt homogen, überzeugt aber mit seinen zwei Teilen, eine Art Mischung aus Der letzte Tango in Paris und Harold and Maude. Der Soundtrack ist ebenfalls gelungen, lernt sich das Paar doch über Songs wie "Crying" von Roy Orbison und k.d. lang kennen oder kommentieren Songtexte wie "Where is the moon tonight?" das Geschehen. Solange zwei Menschen sogar dieselbe Musik hören, dürfen sie doch wohl auch zusammen Sex haben, oder? Erst wenn Hip Hop auf Volksmusik trifft, wird es peinlich …

Jiang Hu
(Wong Ching Po, Forum)

Hong Kong 2004, Buch: Wong Ching Po, Kamera: Charlie Lam, Kenny Lam, Schnitt: Pang Ching Hei, mit Andy Lau (Hung yau chau), Jacky Cheung (Lefty), Shawn Yue (Yik), Wai Ying Hung (Yiks Mutter), Gao Lai (Yiks Bruder), Edison Chen (Turbo), Bill Lok (Chef), Chapman To (Brother To), Miu Kiu Wai (Figo), Eric Tsang (Tall Guy), 88 Min.

Von außen betrachtet, scheint man es bei Jiang Hu mit einem sehr interessanten Film zu tun zu haben. Nicht weniger als fünf der Hauptdarsteller aus der beliebten Infernal Affairs-Trilogie spielen auch hier mit: Andy Lau, Edison Chen, Shawn Yue, Eric Tsang, Chapman To - einzig Tony Leung hatte wohl etwas besseres zu tun, und die Rolle, die ihm zu Gesicht gestanden hätte, wurde mit Jacky Cheung (Ashes of Time, A Chinese Ghost Story II + III) besetzt.
Auch das Thema dieses Films, der wohl am liebsten wie ein inoffizielles Sequel wirken möchte, erscheint wie eine Variante von Infernal Affairs, nur ohne dezidierte Rollen für Maulwürfe und Polizisten, einzig unter diversen Gangstern entwickelt sich die Story, die zunächst fragmentarisch und elliptisch erscheint.
Bereits im Vorspann überlagern sich diverse Ton- und Bildebenen. Der Film involviert seinen Betrachter schon früh mit effektvollen, oft actiongeladene Einzelszenen, einem mitreißenden Musikeinsatz und vielen aufwendigen Kamerafahrten. Doch je mehr es einem als Betrachter gelingt, den Sinn hinter den kaum miteinander verwobenen Episoden zu entschlüsseln, umso mehr verliert der Film seinen Reiz und seine Existenzberechtigung.
Plötzlich erscheint vieles manieristisch, die Inszenierung des Debütregisseurs verliert sich in Spielereien, die ohne Bedeutung für die Geschichte nur noch aufdringlich wirken. Die Kamera betrachtet das Geschehen aus Uhren heraus oder gar durch den Fußboden hindurch, ein zunehmend langweiliges Gespräch zwischen den zwei Hauptfiguren soll dadurch interessanter werden, daß sich die Kamera gemeinsam mit dem Tisch, an dem die zwei Protagonisten sich gegenübersitzen, bewegt. Man sieht immer einen der beiden Gesprächspartner, und vermeintlich unmerklich verändert sich der Hintergrund - die Sparversion eines Effekts, der in Filmen wie Vertigo oder Jaws bahnbrechend wirkte. Doch hier hat es nicht nur keine Bedeutung, ob sich die Kamera vorwärts oder rückwärts bewegt (zunächst nahm ich noch an, der surreale Bewegungseffekt soll die Gesprächsdynamik illustrieren), spätestens, wenn sich die Getränke durch das Tischerücken hin- und herbewegen, wirkt das ganze Unternehmen nur noch lächerlich.
Ähnliches vollzieht sich leider auch, was die Handlung angeht. Ein Suchspiel nach einem potentiellen Killer involviert eine große Anzahl von Prostituierten mit rosa Perücken, eine von ihnen hat an ihrer "privatesten Stelle" die Tätowierung eines Apfels verborgen, und natürlich entwickelt sich eine angedeutete love story zwischen einer unserer jungen Hauptfiguren und dieser "unschuldigen Hure". Doch was folgt, ist eine Aneinanderreihung von Klischees, deren innovativste Idee vielleicht ein Massaker unter Gangstern ist, bei dem die bevorzugte Waffe die Machete ist. Hotel Rwanda lässt grüßen!
Jiang Hu wird gegen Ende immer langweiliger, selbst im oft anspruchlosen Genre der Hong Kong-Tiraden-Filme wirkt er unterdurchschnittlich. Und selbst der eine narrative Kniff des Films (der natürlich auch wieder auf Infernal Affairs verweist) verpufft, weil er weit hinter den Erwartungen bleibt und sich aufmerksamen Zuschauern bereits rechts früh offenbart (Man achte auf wiederkehrende Verletzungen). Wenn man im Kinosessel sitzend bessere Ideen zur Auflösung hat als der sich jahrelang vorbereitende Regisseur und Co-Autor, ist das schon ein sehr schlechtes Zeichen.
Und ähnlich wie das Apfel-Tattoo, das Wong Ching Po nicht etwa ausspart, sondern das man in einer überflüssigen Einstellung auch mal zu sehen bekommt (und zwar auf der Schulter -!- der jungen Frau), verliert der Film jedes Geheimnis, jeden Reiz, jeden Grund, warum man das Kino besuchen sollte.

Riyuu - The Motive
(Nobuhiko Obayashi, Panorama)

Originaltitel: Riyuu, Japan 2004, Buch: Nobuhiko Obayashi, Shiro Ishimori, Lit. Vorlage: Miyuki Miyabe, Kamera: Takehiro Kato, Schnitt: Nobuhiko Obayashi, Junko Uchida, Musik: Kosuke Yamashita, Sotaro Manabu, mit Ittoku Kishibe, Masami Hisamoto, Miyoko Akaza, Jun Fubuki, Akira Emoto, Satomi Kobayashi, Yuko Kotegawa, Ryo Kase, Ayumi Ito, Takahito Hosoyamada u. v. a., 160 Min.

Während eines nächtlichen Sturmes werden in einem Tokyoter Hochhaus vier Menschen Opfer eines grausamen Verbrechens. Da die Opfer sich eine Wohnung teilen, nimmt man zunächst an, eine ganze Familie wäre abgeschlachtet worden, doch im Zuge der Ermittlungen stellt sich heraus, daß die vier Personen in nahezu keiner Beziehung zueinander standen - nur eben eine Wohnung hatten sie gemeinsam "besetzt".
Nach einem in Japan sehr bekannten Roman der Bestsellerautorin Miyuki Miyabe übernimmt auch die Verfilmung das eigentümliche Genre der "Doku-Fiction". Wie diverse achtminütige Folgen einer Fernsehserie erfährt man als Zuschauer immer mehr über den Fall, erst nach und nach offenbaren sich nach Zeugenaussagen und Recherchen die Zusammenhänge und das titelgebende Motiv. Surveillance footage gehört hierbei ebenso zu den inszenatorischen Stilmitteln wie ein immer wieder auftauchendes Musikthema, stark übersteuerte Farben oder die viele Kapitel beschließenden Aufnahmen der sturmgepeitschten Wolken am Nachthimmel. Da taucht die TV-Crew zum Interview auf oder der Hausmeister führt den Zuschauer durch den Tatort, daß es schon an den Trailer zu Hitchcocks Psycho gemahnt. Doch auch wenn die mysteriöse Häppchenware zu Beginn sogar Vergleiche mit David Lynchs Twin Peaks erzwingt, kann sich die anfängliche Spannung und das Interesse des Zuschauers nicht über eine Laufzeit von über zweieinhalb Stunden aufrechterhalten. Das TV-Team wird auch immer unkonzentrierter, durchhängende Mikros gehören zur Tagesordnung, und wenn mitten in Spielhandlungen die Protagonisten plötzlich in die Kamera sprechen, so erscheint das sehr schnell nicht mehr als gewolltes Stilmittel, sondern als misslungener Versuch, den Zuschauer wach zu halten. Der Film driftet immer mehr in eine beliebige Fernsehdramaturgie ab und erinnert plötzlich mehr an Aktenzeichen XY als an irgendwelche ernstzunehmenden Vorbilder.
Wäre Riyuu als tägliches Appetithäppchen über mehrere Wochen an einem festen Platz im Fernsehen ausgestrahlt worden, hätte der Film ähnlich wie Twin Peaks oder Big Brother Anlass für Spekulationen gegeben und vielleicht sogar eine Art Kultcharakter entwickelt. Konzentriert auf einen (zu) langen Kinoabend wirkt vieles repetetiv und schlichtweg ermüdend. Selbst wenn dann im Schlußkapitel sogar der für den japanischen Horrorfilm unumgängliche Geist ins Spiel kommt (wenn auch nicht ganz ernstgenommen), reißt das niemanden mehr aus dem Kinosessel.

Colour Blossoms
(Yonfan, Panorama)

Originaltitel: Tao Se, Hong Kong / China 2004, Buch: Yonfan, Kamera: Wang Yu, Schnitt: Kwong Chit-Leung, Tin Samfat, Lam Wah-Chuen, Musik: Surender Sodhi, Art Direction: Man Lim-Chung, mit Matsuzaka Keiko (Madam Umeki), Teresa Cheung (Meili), Harisu (junge Umeki), Sho (Kim), Carl Ng (4708), 106 Min.

Weibliche Hände in Lackhandschuhen streiche(l)n über eine Marmoroberfläche, buntes Neonlicht - schon während des Vorspanns macht Colour Blossoms seine Nähe zum Spiel mit sexuellen Fantasien klar. Der executive producer dieses Films ist Fruit Chan, auf der Berlinale als Regisseur auch mit Dumplings präsent, und die Filme ähneln sich zumindest in ihrer Ästhetisierung. Noch stärker als in Dumplings nehmen hier die überbordend stilverliebte Architektur und Inneneinrichtung, die verschwenderischen Kostüme und die sehr bewegliche Kamera fast Hauptrollen ein. Wobei man allerdings schon einen kleinen Qualitätsunterschied zwischen den Kameramänner Christopher Doyle (Dumplings, 2046) und Wang Yu (Suzhou River, Colour Blossoms) machen muss
Die Maklerin Meili ist fasziniert von der japanischen Diva Madam Umeki, deren extravagante Wohnung sie vermieten soll, und wo plötzlich der extrem gutaussehende Kim auftaucht, der sich später als ein früherer Liebhaber von Madam Ugeki herausstellt und Meili spätestens mit einem sehnsuchtsvollen Kuss entflammen lässt. Außerdem ist da noch der Polizist mit der Nummer 4708, der Meilis Fantasien anregt - "temptation of the uniform", wie sie es zusammenfasst, natürlich auf Englisch, weil das cooler ist.
Schöne Menschen in einem Wirrwarr von Anzüglichkeiten. Der anwesende Regisseur Yonfan stellte seine "Diven" vor dem Film vor und verglich sein Werk mit einem französischen Film, der von Federico Fellini inszeniert sei. "Achteinhalb trifft auf Die Regenschirme von Cherbourgh". Doch in der ersten Hälfte wirkt der Filme eher wie eine verfilmte Modenschau, wie ein sich leidlich bewegender Unterwäsche-Katalog. Was nützen Darsteller, die so gut aussehen, daß sie jeder Jeans- oder Parfüm-Reklame zu Ehren gereichen würden, wenn diese (perfekt ausgeleuchtet) einzig unispirierte Dialogzeilen und Liebesgestöhne liefern?
Nach einem anstrengenden Berlinale-Tag zog ich es vor, in dieser Nacht lieber eine Stunde mehr Schlaf zu haben, und verließ den Film nach etwa der Hälfte. Meine im Kino verbleibene satt.org-Kollegin Kathi Hetzinger eröffnete mir am nächsten Morgen, daß ich die richtige Entscheidung getroffen habe, daß noch gut 50 andere Zuschauer meinem Beispiel gefolgt seien, und daß nach der Vorführung auch nur wenig Verlangen der hartnäckigen Betrachter bestand, den Regisseur zu seiner Sado-Maso-Fantasie, die später auch noch die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits überschritten haben soll, zu befragen.

Coming soon in Cinemania 13 (Kinostart April 2005):
Die monatliche Abrechnung mit den Filmen, die sonst noch so angelaufen sind:
Being Julia - Alle lieben Julia, Coach Carter, Hotel Ruanda, Der Kaufmann von Venedig, Kebab Connection, Lieber Frankie, Nachbarinnen