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November 2005 | Kathi Hetzinger und Friederike Kapp für satt.org | ||
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ManderlayLars von Triers Filme lassen sich bequem in Trilogien unterteilen: da gibt es die Europa-Trilogie (Element of Crime, Epidemic und Europa), die auf extreme, zum Teil experimentelle Stilisierung setzte, und die 'Dogma-Trilogie' (Breaking the Waves, Idioten und Dancer in the Dark) mit Handkamera-Ästhetik und melodramatischen Frauenfiguren. Seine im Werden begriffene Amerika-Trilogie unterscheidet sich von diesen Dreiergespannen, wenigstens hinsichtlich der ersten beiden Teile, durch eine inhaltliche und formale Geschlossenheit, die nahe legt, dass der Regisseur hier mehr im Sinn hat als einen losen inhaltlichen Zusammenhang von drei eigentlich voneinander unabhängigen Filmen. Dogville und Manderlay wirken eher wie zwei Teile einer einzigen Geschichte, so sehr ist Manderlay die logische Fortentwicklung des ersten Teils. Nicht nur die große Bühne mit Beschriftung auf dem Boden (in Dogville schwarz mit weißer Schrift, in Manderlay nun das Negativ (oder Positiv?) davon) und meist nur angedeuteten Kulissen bleibt uns erhalten, auch die Darsteller finden wir hier zu einem guten Teil wieder, ebenso wie denselben Song (Young Americans von David Bowie) zu Fotografien desselben Künstlers (Jacob Holdt) im Nachspann. Vor allem ist es aber die Handlung die an exakt der Stelle einsetzt, an der Dogville aufhörte. Im Jahr 1933 verlässt Grace (eine jüngere und aktivere Grace, die aber dennoch dieselbe Figur ist, dargestellt von Bryce Dallas Howard) mit ihrem Gangsterboss-Vater (Willem Dafoe) Dogville, auf der Suche nach neuen Jagdgründen. Dabei treffen sie irgendwo in Alabama auf eine Baumwoll-Plantage namens Manderlay, wo Grace auf der Straße von einer schwarzen Frau um Hilfe angefleht wird: ein Mann (Isaach de Bankolé) soll ausgepeitscht werden, für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Grace nimmt schockiert wahr, dass nach dem Willen der Gutsbesitzerin die Zeit in Manderlay offensichtlich still steht seit der Abschaffung der Sklaverei 70 Jahre zuvor. Dank ihres ausgeprägten Sinnes für Gerechtigkeit (den man bereits in Dogville kennen lernte) kann Grace das nicht akzeptieren. Die Gutsherrin, Mam (Lauren Bacall), liegt im Sterben. Grace setzt sie ihre neu gewonnene Macht ein, um die Sklaven auf Manderlay zu befreien – notfalls mit Gewalt: schließlich haben die Weißen die Schwarzen zu dem gemacht, was sie sind. Dass dieses Unterfangen nicht so einfach gelingen kann, wie Grace sich das zunächst vorstellt, ist klar: Demokratie muss erst gelernt werden. Die Parallelen zur amerikanischen Außenpolitik sind offensichtlich, dabei entstand das Drehbuch vor Beginn des aktuellen Irak-Kriegs. Also erteilt Grace Lektionen: den weißen Plantagen-Besitzern, die ihre ehemaligen Sklaven nun bei Tisch bedienen müssen, und den ehemaligen Sklaven, die ihr neu erlangtes Recht auf Selbstbestimmung erstmal dazu einsetzen, lautes Lachen nach Sonnenuntergang zu verbieten. Durch die stets präsenten Maschinengewehre von Grace’ Leibgarde zeigen sich die neuen Plantagenbesitzer durchaus lernbegierig; es sieht so aus, als würde „Mam’s Law", bislang Gesetz und Verfassung auf Manderlay, endgültig der Vergangenheit angehören. Trotz der ernsten Thematik entwickelt Manderlay einen ausgeprägten Sinn für Komik, nicht zuletzt durch den ironischen, trockenen Voice-over-Kommentar (gesprochen von John Hurt). Lars von Trier selbst bezeichnet den Film als eine „moralische Komödie". Bei allem Zynismus und aller Zweideutigkeit ist die moralische Dimension stets präsent. Timothy, der „proudly nigger", fungiert dabei häufig als Sprachrohr der Unterdrückung, als das schlechte Gewissen des Films; ihm verdankt Grace zuletzt kathartische Erkenntnisse. Am Ende des Films ist ihr, und dem Zuschauer, auf jeden Fall klar geworden, dass es keine einfachen, schnellen, sauberen Lösungen geben kann für ein Problem, das über Jahrhunderte Zeit hatte, tiefe Wunden zu schlagen. Zeitlich ist Manderlay zwischen Hitchcocks Rebecca (1940) und Brechts Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (UA 1930) angesiedelt. Wie in Rebecca wird ein ganzes Anwesen (das nicht zufällig in beiden Filmen denselben Namen trägt) vom Geist und Willen einer Verstorbenen regiert – anscheinend. Die Vergangenheit wirkt in die Gegenwart hinein und ist, einem Dämon gleich, nicht fassbar und doch allgegenwärtig. Rebecca richtet sich dabei nach innen und lotet individuelle, psychologische Tiefen aus: so wird die Handlung als Rückblende erzählt, eingeleitet durch einen Traum und die Erzählerstimme der Hauptdarstellerin, Joan Fontaine. Manderlay dagegen zielt auf Größeres: gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und Strukturen – über allem schwebt die allwissende Stimme des ironisch distanzierten Erzählers. In Mahagonny fungiert eine kleine Stadt in einem mythisch aufgeladenen Amerika als Zukunftsschmiede und Hort der Verheißung. Das Experiment von einer Stadt der Freien schlägt fehl. Mit Brecht scheint von Trier (neben der Wahl der stilistischen Mittel, die in Dogville und Manderlay den Brechtschen Verfremdungseffekt zumindest zitieren) eine Vorliebe für amerikanischen Legendenstoff zu teilen: Amerika als Land voller Wildheit, Sklaven, Gangster, Selbstbehaupter, Überlebenskünstler und kämpfer. Macho-Themen, Jungs-Träume. Entsprechend fragwürdig wird der Film, wenn es um Mädchen-Träume geht. Dass Grace nicht gleichgültig bleibt, wenn um sie herum das pralle zwischengeschlechtliche Leben tobt, ist einleuchtend. Versteckt, verschämt, in voller Bekleidung und selbstverständlich ohne Zeugen übt sie Selbstbefriedigung. Der guten Fee von Manderlay, die sie gerne wäre, kann sie solch’ profane Triebe wie den Sexualtrieb nicht recht zubilligen. Ihre Vorbildfunktion wäre hierdurch anscheinend stärker gefährdet als dies durch die bemannten Schießprügel an ihrer Seite der Fall ist. Der gehemmte Umgang mit ihrer Sexualität, der im Gegensatz steht zu dem freien Spiel der Kräfte, das sie bei den zwangsbefreiten Sklaven beobachten muß, verweist außerdem auf einen klassenspezifischen Gegensatz. Weibliche Verklemmtheit darf auch als bürgerliches Attribut gelesen werden. Soweit, so glaubwürdig, und schließlich schreiben wir das Jahr 1933. Grace begehrt Timothy, den Ungezähmten, den Krieger, den Anmaßenden. Es kommt zu einem Beischlaf voller Demütigung und roher Unterwerfung. Timothy verdeckt ihr Gesicht mit einem Taschentuch, ist betrunken, stößt roh zu. Grace jedoch zeigt, nur für die Kamera sichtbar, alle Anzeichen von Genuss. Als sie ihn später auspeitscht, in genau derselben Pose, in der er zu Beginn des Films ausgepeitscht werden sollte, hat sie hierfür eine ganze Reihe von Gründen. Einer davon ist die Scham über den Genuss, den sie bei ihrer sexuellen Demütigung empfand, die umgeschlagen ist in Wut. Letztlich bleibt Grace’ Masochismus jedoch unerklärt, unmotiviert und dadurch befremdlich. Fragwürdig werden so auch die Schlüsse, die aus dem Geschehen zu ziehen wären. Erst wollen sie’s und hinterher tut’s ihnen leid? Diese Lesart ist zugegebenermaßen etwas bösartig, aber sie schwingt mit. Auch bleibt festzuhalten, dass sowohl in Dogville als auch in Manderlay eine Menge Unglück und Ungemach verhütet worden wäre ohne die anscheinend notorische Humanitätsseligkeit des Weibes. In beiden Filmen legt die enttäuschte Humanistin gegen Ende eine Brutalität an den Tag, die den herbeigeeilten Vater, den professionellen Killer erschauern lässt. Manderlay gleicht einem kleinen, gesellschaftlichen Planspiel. Es gibt dabei keine eindeutige Aussage, kein endgültiges Rezept. Der Film bietet einige Kernsätze, die sich aus einzelnen Aspekten ableiten lassen, wirft Fragen auf, die nicht beantwortet werden. Viele sind weniger seltsam als die oben genannten. Der Vorhang zu und alle Fragen offen, diese Maxime schafft letzten Endes einen stärkeren Appell als jede in sich geschlossene Erklärung. |
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