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Februar 2006
Thomas Vorwerk
für satt.org

Wahre Lügen
Where the Truth lies

Kanada / USA / UK 2005

Filmplakat

Wahre Lügen
Where the Truth lies

Buch und Regie: Atom Egoyan; Lit. Vorlage: Rupert Holmes; Kamera: Paul Sarossy; Schnitt: Susan Shipton; Musik: Mychael Danna; Darsteller: Colin Firth (Vince Collins), Kevin Bacon (Lanny Morris), Alison Lohman (Karen O’Connor), Rachel Blanchard (Maureen), Maury Chaykin (Sally San Marco), David Hayman (Reuben), Kristin Adams (Alice), Sonja Bennett (Bonnie Trout), Deborah Grover (Mrs. O’Flaherty); 108 Min.; Kinostart: 2. Februar 2006

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Wer Russell Banks’ Roman The Sweet Hereafter vor der fulminanten Verfilmung durch Atom Egoyan gelesen hat, wird sich womöglich fragen, warum jene Passage, die man wohl als die „filmischste“ des Romans bezeichnen würde, im Film ersatzlos gestrichen wurde. Bei Where the Truth lies verhält sich dies ganz ähnlich. In den Pressematerialien wird ganz vorsichtig mal darauf angespielt, daß sich in der Romanvorlage von Rupert Holmes die Anspielungen auf eine reale Vorlage der zwei Hauptfiguren so sehr häufen, daß sie unübersehbar sind, während Egoyan (der allerdings in seinem letzten Film Ararat gerade erst das Filmemachen zum wichtigen Bestandteil der Biographien seiner Protagonisten erkor) nahezu sämtliche Anspielungen auf Hollywood (ein einziger Film des Filmpaares „überlebte“) in Where the Truth lies entfernte. Wenn man ohne Vorwissen den Film besucht, ist es sehr unwahrscheinlich, daß man die Verbindung zieht. Doch wenn man mal von der britischen Herkunft Vince Collins’ (Colin Firth) absieht, erkennt man fast alle Elemente eines „echten“ Comedy-Duos der 1950er wieder, „dessen geheimnisvolle Trennung praktisch zur Hollywood-Folklore gehört“. Vince „ist der hochgewachsene, lässig-elegante Gentleman, ständig mit einem Bourbon in der einen Hand und in der anderen eine Frau“, und Lanny Morris (Kevin Bacon) „ist der alberne, blödelnde Sidekick, der für einen Lacher alles tun oder sagen würde“.

Diese beiden Personen des öffentlichen Lebens werden nun in einen handfesten Skandal verwickelt, in dem es um sexuelle Exzesse, die Mafia und eine weibliche Leiche im Hotelzimmer geht. In einer für Egoyan typischen verschachtelten narrativen Struktur versucht 15 Jahre später eine junge Journalistin (Alison Lohman) herauszubekommen, woran das Duo zerbrach, das auch sie zu ihren angehimmelten Jugendidolen zählte.

Auch wenn Firth und Bacon sich wenig um die Manierismen ihrer realen Vorbilder kümmern (die aus mehreren Gründen vielleicht auch nicht mit diesem Film in Verbindung gebracht werden wollen), legen sie Performances vor, die man so selten von ihnen sah. Wenn beispielsweise Colin Firth an einer Stelle plötzlich rücksichtslos jemanden einschlägt, wie wir es von Joe Pesci nicht brutaler erwartet hätten, werden viele Fans ihren zurückhaltenden „Mr. Darcy“ nicht wiedererkennen. Sogar Alison Lohman (zuletzt in Matchstick Men) überrascht positiv, wenn auch ihre Rolle ein wenig in die Schablone der Felicia (aus Felicia’s Journey) hineingedrückt wird, und sich man an mehreren Stellen vor allem wegen der drohenden Gefahr mit ihr identifiziert.

Doch auch wenn man alle Elemente eines gut funktionierenden Egoyan-Films wiedererkennt, die Atmosphäre der 50er und 70er (inklusive psychedelischer Musik und Burt Reynolds-Schnurrbärte) gut eingefangen ist, fehlt dem Film doch jenes Element, das wie das Märchen vom Rattenfänger in The Sweet Hereafter den Film über die bloße Mystery-Vorlage hinauswachsen lässt. Maury Chaykin als Mafiaboss ist ein Genuß, er bleibt aber nur ein Klischee-Bild, und spätestens, wenn man die Motivation der Figuren nicht annähernd nachvollziehen kann (die Adresse, an die die geheimnisvolle Kiste geschickt wird) und sich die „Auflösung“ wie eine abgeschmackte Agatha Christie-Finte anfühlt, funktioniert weder die Mystery-Geschichte, die in ihren mysteriösesten (und plakativsten) Momenten an David Lynch erinnert, noch die vielschichtige Narration, die einem sonst schon allein bei Egoyan den Atem verschlagen kann. Und ob der Film trotz seines in den Hauptrollen sehr mainstreamartig anmutenden Castings der erste Egoyan-Blockbuster wird, ist auch fraglich - angesichts der typisch prüden Reaktion in Amerika auf einige „skandalöse“ Szenen ist auch die Frage wohl sogar schon beantwortet …