Anzeige: |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |
März 2006 | Kathi Hetzinger für satt.org | ||
|
Breakfast on Pluto
|
Doch die Geschichte spielt im Irland der 60er/70er Jahre, zu 'Glanzzeiten' des bewaffneten Kampfes um Nordirland. Patrick wird als Baby in einem kleinen Dorf an der Grenze zu Nordirland vor der Tür von Father Bernard (Liam Neeson) abgelegt, und nur die Rotkehlchen scheinen zu wissen, was für eine Geschichte sich hinter seiner Mutter, der Phantom Lady, verbirgt, die dem Filmstar Mitzi Gaynor so sehr ähneln soll. Von der Vogelperspektive geht es jedoch schnell mitten ins Geschehen: der kleine Patrick ist inzwischen 10 Jahre alt und verunsichert seine Pflegemutter mit seiner Vorliebe für ihren Lippenstift und die Kleider seiner Schwester. Einige weitere Jahre später bekommt Patrick mal wieder Ärger in der Schule als er seine neu gewonnene Erkenntnis der Umstände seiner Empfängnis in einem nicht ganz jugendfreien Schulaufsatz verarbeitet. Schließlich macht sich Patrick frei von den Zwängen seiner Umwelt, näht sich seine eigenen, phantasievollen Kleider und schafft sich seine eigene Identität, indem er den Namen Kitten annimmt – nach St. Cettin, einem Messdiener in der Gefolgschaft des heiligen Patrick. Auch seine Freunde sind 'misfits', und Charlie, Irwin, Laurence und Kitten halten zusammen bis die Politik auf einen Schlag und mit aller Gewalt in ihr Leben dringt, als Laurence von einer Bombe getötet wird. Dies ist nicht der letzte Schicksalsschlag für Kitten, die sich schließlich auf die Suche nach der mysteriösen Phantom Lady macht, um am Ende ihrer Odyssee, die teilweise märchenhafte Züge annimmt, schließlich eine echte Familie zu finden. Begleitet wird sie dabei stets von den Liedern des Soundtracks, die ihre Reise kommentieren und die Atmosphäre der 70er wieder lebendig werden lassen (visuell unterstützt durch Kurzauftritte von Gavin Friday und Bryan Ferry).
Jordan ging es in Breakfast on Pluto darum, zu zeigen, wie Menschen in einer fragilen und bedrohlichen politischen Situation (wie man sie nach den Bombenangriffen in London auch heute wieder ähnlich empfinden kann) es schaffen, ihr Leben zu meistern und Wege zu finden, mit der von Gewalt, Angst und Wut geprägten Atmosphäre umzugehen. Quellen der Inspiration waren für ihn nicht nur Voltaires ewiger Optimist 'Candide', sondern auch die tragikomische Erzähltradition Irlands (wie sie sich etwa in den Theaterstücken von Sean O'Casey manifestiert). So besteht Kittens Ausweg darin, sich selbst und ihr Leben zu akzeptieren, und darin einen manchmal grotesken Humor und eine eigene Form der Schönheit zu erkennen. Die Tragik ist der Ausgangspunkt der Komik, beides ist untrennbar miteinander verbunden. Kitten untergräbt also den 'Ernst des Lebens' ("Oh, serious, serious, serious!"), indem sie dieses normierte und eingeschränkte Konzept für sich selbst ablehnt. Zu sagen, Jordan mache sich über ernsthafte Themen lustig hieße, den Sinn des Films ins Gegenteil zu verkehren. Vielmehr bietet Kittens kompromisslose Eigenständigkeit eine Alternative zu den von der Gesellschaft vorgezeichneten Wegen, die (wie Irwins IRA-'Laufbahn') die Gewalt nur zu reproduzieren vermögen.
Mit Breakfast on Pluto setzt Neil Jordan seine Zusammenarbeit mit dem irischen Autor Patrick McCabe fort, dessen Roman The Butcher Boy er 1997 filmisch umsetzte; wie damals steht auch in Breakfast on Pluto das Schicksal einer ungewöhnlichen Person im Mittelpunkt einer Erzählung, die sich frei macht von konventionellen Bewertungen und Urteilen. Und wie in Jordans bisher wohl bestem Film, The Crying Game von 1992, verbindet er auch hier die Politik bzw. den Terrorismus der IRA mit dem Thema der sexuellen Identität, das die Frage nach Menschlichkeit besonders dringlich aufwirft. The Crying Game war in seiner Grundhaltung noch melancholisch (wie schon der Titelsong demonstriert, in dem es heißt: "I know what there is to know about the crying game."); in The Butcher Boy dagegen versuchte sich Jordan bereits am Tragikomischen. Das Lachen blieb einem dort jedoch meist im Halse stecken, da es einer verwirrten, zerrütteten und zynisch gewordenen Seele entsprang. In Breakfast on Pluto hat Jordan den Humor nun tatsächlich für sich entdeckt; das Lachen kommt frei und natürlich, aus einer Figur, die den Witz zu ihrem Schild und ihrer Waffe macht. Und folgerichtig beendet Jordan seinen Film denn auch mit einem witzigen und geistreichen Zitat – natürlich von Oscar Wilde.
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |