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September 2004
Kathi Hetzinger
für satt.org

Das Mädchen mit dem Perlenohrring
Girl with a Pearl Earring

UK / Luxemburg 2003

Das Mädchen mit dem Perlenohrring (Girl with a Pearl Earring) (R: Peter Webber)

Regie:
Peter Webber

Buch:
Olivia Hatreed
nach einem Roman von Tracy Chevalier

Kamera:
Eduardo Serra

Schnitt:
Kate Evans

Musik:
Alexandre Desplat

Darsteller:
Scarlett Johansson (Griet), Colin Firth (Jan (Johannes) Vermeer), Tom Wilkinson (Van Ruijven), Essie Davis (Catharina Vermeer), Cillian Murphy (Pieter), Judy Parfitt (Maria Thins), Joanna Scanlan (Tanneke), Alakina Mann (Cornelia Vermeer)

95 min

Kinostart:
23. September 2004

Das Mädchen mit dem Perlenohrring
Girl with a Pearl Earring


Ein Film wie ein Gemälde. Die Handlung dieser Romanverfilmung von Regiedebütant Peter Webber erhielt ihre Inspiration aus dem 45 x 40 cm großen Gemälde Das Mädchen mit dem Perlenohrring des niederländischen Malers Johannes Vermeer: es berührte die Romanautorin Tracy Chevalier angeblich so, dass sie die Geschichte seiner Entstehung niederschrieb, so wie sie sie an den Augen der geheimnisvollen Portraitierten ablas. Deren orientalisch anmutender Turban, ihre leicht geöffneten Lippen, ihre großen Augen, die den Betrachter fixieren, und vor allem der große, tropfenförmige Perlenohrring werden zu Elementen einer eindringlichen Geschichte um Begehren, Inspiration und Betrug.

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Man weiß nur wenig über das Leben Vermeers, der neben Rembrandt und Frans Hals als der bedeutendste holländischen Maler des 17. Jahrhunderts gilt. Er konzentrierte sich auf häusliche Szenen, bei denen meist eine Frau im Mittelpunkt steht, häufig mit einer allegorischen Bedeutung versehen. Er lebte mit seiner Frau und 15 Kindern im Haus seiner Schwiegermutter in Delft und malte nur im Auftrag einiger weniger Förderer. Sein gesamtes Oeuvre besteht nur aus 35 Bildern. (Zwei davon, die auch im Film zu sehen sind, kann man in der Gemäldegalerie in Berlin bewundern.) Das Wenige, das man über ihn und seine Zeit weiß, und das, was man seinen Bildern entnehmen kann, wurde so in den Film integriert, dass die Fiktion, angereichert mit historischen Fakten, den Anschein der Wahrhaftigkeit trägt.

Ja, die Geschichte könnte sich so zugetragen haben: Griet, die 17-jährige Tochter eines verarmten Fliesenmalers (Delft war das Zentrum der holländischen Fliesen- und Kachelindustrie im 17. Jh.) wird als Dienstmagd in den Haushalt des erfolgreichen Malers aufgenommen. Sie ist nicht nur jung und schön, sie besitzt außerdem einen Sinn für Malerei, so dass sich die beiden bald näher kommen als sie sollten. Wie ein Drahtzieher hinter der Geschichte fungiert Vermeers Schwiegermutter Maria Thin, die mit den ständigen Geldsorgen des Haushalts zu kämpfen hat und begierig auf jeden Auftrag ist. Durch sie bekommt van Ruijven, Vermeers Mäzen, Griet zu sehen, und er ordert sogleich ein Portrait. Dieser reiche Händler ist dafür bekannt, von jungen Mädchen mehr als nur ihr Abbild in Öl haben zu wollen. Außerdem ist da noch der junge Metzgerssohn Pieter, der offiziell um Griets Hand anhält. Es ist wiederum Maria Thin, die den Weg für das anrüchige Portrait trotz alledem ebnet - ohne das Wissen ihrer bereits misstrauisch gewordenen Tochter.

Aber nicht nur die Handlung des Films, auch seine Bilder, seine Farben entspringen der Beschäftigung mit der Malerei. Dabei geht der Film über eine einfache Nachstellung der bekannten Szenen des Malers hinaus, auch wenn Eduardo Serras (La fleur du mal, Unbreakable) ruhige Kameraführung es durchaus schafft, die typische Stimmung vieler Vermeer-Bilder zu evozieren. Die traumähnliche Atmosphäre des Stillstands im Atelier des Künstlers, in dem kein Staubkorn sich zu bewegen scheint, geht dabei beinahe physisch auf den Zuschauer über: man hält instinktiv den Atem an, während Griet vorsichtig beginnt, den Raum zu säubern. Aber auch andere Stile und Genres finden ihren Eingang in den Film, wie in der Eröffnungsszene, die man als bewegtes Stillleben bezeichnen könnte, den lichtdurchfluteten Landschaftsaufnahmen oder den lebhaften Straßen- und Marktszenen.

Auch die Beziehung zwischen Maler und Modell speist sich aus dem, was die Malerei, und den Film, zu einem guten Teil ausmacht: aus Farbnuancen, Lichtreflexen, gelenkten Blicken. Griet beginnt, Einfluss auf den Maler zu nehmen, indem sie die Fenster putzt und damit den berühmten seitlichen Lichteinfall verändert, oder indem sie, mutig geworden, einen Stuhl verrückt, um dem (hölzernen) Modell Raum zum Atmen zu verschaffen. Und der Maler reagiert darauf; er erlaubt ihr einen Blick in seine Camera Obscura, sie gestattet ihm einen Blick auf ihr offenes Haar. Eine der am stärksten symbolisch aufgeladenen Szenen des Films bildet zweifellos den Höhepunkt in der Beziehung zwischen Griet und Vermeer: wenn sie ihn als letzte Vorbereitung für ihr gemeinsames Portrait behutsam ihr Ohrläppchen durchstechen lässt, wird aus dem Keuschheitssymbol der Perle ein Tropfen intensiver Lust. Ihre Anziehung bleibt zwar stets auf einer Ebene der Andeutung, sie erschließt sich nur über das geteilte Erleben der Kunst, ist aber dennoch so stark, dass ihr beide vollkommen erliegen. Sie verlieren sich immer mehr in ihren Gefühlen, die gerade aufgrund ihrer abstrakten Sinnlichkeit so skandalös sind.

Vor diesem Hintergrund des filmischen und malerischen Metadiskurses sind es vor allem die Schauspieler, die Das Mädchen mit dem Perlenohrring zu einem mehr als sehenswerten Film machen. Colin Firth (zuletzt als Portugiesisch lernender Schriftsteller in Love, Actually zu bewundern) erhält hier die Gelegenheit, dem unwirschen Verhalten eines weltfremden Eigenbrötlers eine Mimik gegenüberzustellen, die in einem Blick die ganze innere Reichweite eines Künstlers wie Vermeer andeutet. Scarlett Johanssons (Lost in Translation) Griet jedoch ist die wahre Seele des Films: in ihr verbinden sich kindliche Schüchternheit und gebührende Artigkeit mit der selbstbestimmten Souveränität einer intelligenten Frau. In der Großaufnahme wird ihr Gesicht am Ende zu einem Gemälde, das, anstatt bloßes Abbild zu sein, sich vielmehr selbst zu malen scheint – wenn irgendwo, dann erhält die Kunst ihre tatsächliche Wahrhaftigkeit hier.