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April 2006 | Thomas Vorwerk für satt.org | |
Das geheime Leben der WorteSchon Isabel Coixets letzter Film, My Life without Me, evozierte Reaktionen zwischen Begeisterung (vor allem Frauen) und Gleichgültigkeit (zum Beispiel ich), und auch bei The Secret Life of Words äußerten sich Kritikerkollegen, der Film sei zu konstruiert, zu politisch korrekt, zu langweilig. Diesmal bin ich aber ins Lager der Verteidiger übergetreten. Was mir an My Life without Me nicht gefallen hat, waren die Bonbonfarben, eine allzu romantisch, fast verkitschte Auflösung angesichts eines sehr realen Problems. Ein Märchen für Frauen, natürlich auch von einer Frau. Sind dies allesamt Teilaspekte, die man The Secret Life of Words nicht vorwerfen kann? Mitnichten, und dennoch bin ich begeistert. Einer meiner liebsten zeitgenössischen europäischen Regisseure (neben Haneke, Moodysson, Almodóvar, den Dardenne-Brüdern) ist trotz allem noch Lars von Trier. Die Prämisse von Triers ersten zwei internationalen (sprich: englischsprachigen) Filmen findet sich in The Secret Life of Words leicht umarrangiert wieder. Da haben wir eine aus dem Ausland stammende junge Frau, deren Sinneswahrnehmung beeinträchtigt ist, und die in einer Fabrik arbeitet. Und das männliche Opfer eines Unfalls auf einer Bohrinsel. Doch im Gegensatz zu Breaking the Waves passiert dieser Unfall nicht kurz nach einer Hochzeit, sondern ist überhaupt nur der Beweggrund (und dies auch noch sehr indirekt), warum sich diese zwei Menschen treffen. Außerdem wird die Fabrikarbeiterin hier nicht langsam blind wie Björk in Dancer in the Dark, sondern hat sich längst mit ihrem Hörproblem arrangiert, während seinerseits das Unfallopfer hier zunächst blind ist (Verbrennungserscheinung auf der Hornhaut), es aber abzusehen ist, daß er sein Augenlicht wiedererlangen wird. Hanna (Sarah Polley) führt ein routiniert ablaufendes Leben. Im laut stapfenden Fabrikalltag ist sie die einzige, die keine Kopfhörer trägt, sondern höchstens mal ihr Hörgerät einstellt, wenn Interaktion mit Kollegen oder Vorgesetzten unbedingt vonnöten ist. Sie führt ein einsames Leben ohne irgendwelche Extravaganz, in vier Jahren war sie nicht einmal krank und hat auch nie Urlaub genommen. Obwohl sie ihre Arbeit sehr zur Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten ausübt, ist die Gewerkschaft über sie erzürnt und sie bekommt einen Monat „Zwangsurlaub“ aufgedonnert, für Hanna, die ihre karge Wohnung mit dem vorsortierten Kühlschrank (sie isst immer nur Hähnchenstücke, weißen Reis und Äpfel) und dem Vorrat an Seifestücken (ähnlich wie Melvin in As Good as it Gets) nur für den Weg zur Arbeit verlässt, eine mittlere Katastrophe. Entgegen den Vorschlägen ihres Vorgesetzten, der ihr Palmen und Pina Coladas empfiehlt, mietet Hanna irgendwo in Irland ein schäbiges Hotelzimmer, dessen Bettwäsche ihr schon mal gar nicht gefällt. Während des Abendessens hört sie ein Telefonat und sieht einen Ausweg aus der Misere Urlaub. Für zwei oder drei Wochen wird eine Krankenschwester auf einer Bohrinsel gesucht, die sich um ein Verbrennungsopfer kümmern soll. Hanna stellt sich als Krankenschwester mit entsprechender Erfahrung vor und bekommt den Job, gemeinsam mit einem halben Dutzend Männern hockt sie nun auf der seit dem Unfall (vorübergehend?) stillgelegten Bohrinsel und kümmert sich um den (vorübergehend?) blinden Josef (Tim Robbins), der das volle Krankenschwester-Programm benötigt: Verbände wechseln, füttern, waschen, Bettpfanne. Josef sucht sofort die Kommunikation, doch Hanna bleibt verschlossen. Sie übernimmt einen Namen (Cora), der Josef gefällt, lügt, daß sie rothaarig sei (“Du bist bestimmt eine Blondine - eine Stimme wie Butter und Zimt“), und erst nach mehreren Tagen rückt sie mal mit einem Fitzelchen an Information heraus: Daß sie gern Huhn ißt. Und weißen Reis. Und Äpfel. Und das war’s. Nicht nur in Josefs Augen ist dies ein untragbarer Zustand, auch der Koch der Bohrinsel, Simon (Javier Camára aus Hable con ella), der sich jeden Tag mit landesspezifischen Schlagern auf besondere Nationalspeisen einstimmt, versucht sie zu verwöhnen, bietet ihr gar ein Menü aus ihrem Heimatland an. Doch höflich aber bestimmt weist Hanna alle Avancen von sich, probiert aber heimlich von den Resten von Josefs aktueller Götterspeisung - und wird geradezu in eine sinnliche Extase versetzt. Ein anderer Sonderling auf der Bohrinsel ist Martin, der als Ozeanograph misst, wie viele Wellen täglich an die Bohrinsel klatschen (!), und der als Hobby tropische Muscheln untersucht. Hanna taut mit der Zeit ein wenig auf, und als Josef ihr eines Tages davon erzählt, daß er nicht schwimmen kann, und was sein Vater mit ihm als kleinem Jungen auf einem Tretboot gemacht hat, kommt auch Hanna mit dem großen Geheimnis ihres Lebens heraus … Ausgehend von der von Trier-Prämisse erwartete ich schon bald ein halbgares Happy-End, doch ohne ihrem eigenen Stil abtrünnig zu werden, beweist Isabel Coixet mit diesem Film, daß sie von Triers tragischen Frauenfiguren mit dem „Herz aus Gold“ noch einiges beibringen kann. Einiges (wie zum Beispiel der schönste Dialog des Films) wirkt tatsächlich etwas konstruiert, doch ähnlich wie bei Atom Egoyan (neben Eastwood, Kim, Jarmusch, Miyazaki oder van Sant einem meiner liebsten nicht-europäischen zeitgenössischen Regisseure) findet The Secret Life of Words eine ruhige Balance zwischen der Schönheit des Lebens und der Tragik und Trauer, die Josef und Hanna hier auch irgendwie verbindet. Was den Film weiterhin auszeichnet: Er lässt auch noch einiges für die Interpretation offen, löst nicht jedes kleine Rätsel wie das der Mädchenstimme, die Teile der Geschichte aus dem Off begleitet. The Secret Life of Words ist diesmal kein „Märchen für Frauen“, sondern eher eine Liebesgeschichte, die aber auch Männer verzaubern kann, denn der Samariterkomplex gegenüber einem älteren Mann, der aussieht „wie eine Mischung aus Wile E. Coyote und Mr. Magoo“ funktioniert natürlich auch aus männlicher Sicht (und mit Sarah Polley allemal!) An einer Stelle des Film erzählt Josef mal von einer japanischen Traummaschine, bei der man vorm Schlafengehen eingeben kann, wovon man träumen will - beispielsweise, daß man am Nordpol unter Sean Connerys Kilt Zuflucht sucht. Isabel Coixet zeigt uns, daß das Mittelding zwischen den wildesten Wunschträumen und den schrecklichsten Alpträumen immer noch die Realität ist. In der eine kleine Mascarpone oder ein Song von Tom Waits bereits einen Unterschied machen können … |
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