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Juli 2006 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||
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Hwal - Der BogenKim Ki-Duk dreht zwar nicht wie Takashi Miike vier Filme im Jahr, sondern „nur“ ca. anderthalb, aber das sind dann auch fast automatisch anderthalb gute Filme, auf die es Miike bei seinem höheren Output nicht so ohne weiteres bringt. Seit zweieinhalb Jahren gibt es bei satt.org den „Film des Monats“, und nach März 2004 (Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling) und August 2005 (Bin-Jip) hat es Kim auch in diesem Jahr geschafft, sich einen Platz in dieser illustren Schar von zwölf Qualitätsfilmen hineinzudrängen. (Was ansonsten selbst zweimal nur Jim Jarmusch und evtl. ab August Pedro Almodóvar schafften.) Wie man an meinen alten Rezensionen auch sehr gut absehen kann (Samaria, der Gewinner des Goldenen Bären von 2004, sei hier noch zu nennen), ist besonders interessant bei Kim seine Entwicklung. In früheren Filmen wie Seom / The Isle (2000), Adress Unknown (2001) oder Bad Guy (2001) erschöpfte er sich noch in Gewaltdarstellungen, die seit 2003 nur noch rudimentär in seinem Œuvre auftauchen. Seit Frühling, Sommer hat er die Allegorie für sich entdeckt, und wie schon in Bin-Jip übt er sich auch in Hwal (erneut eine Art Dreiecksgeschichte) darin, seine Geschichte fast ohne Worte zu erzählen. In der Rolle des namenlosen jungen Mädchen, das seit Jahren auf einem Schiff von einem älteren Herren aufgezogen (und gefangengehalten) wird, finden wir Han Yeo-Reum wieder, mit der Kim schon in Samaria zusammenarbeitete, und wenig überraschend kündigt sich damit auch das Thema des Films an: der Verlust der (insbesondere sexuellen) Unschuld durch notgeile und rücksichtslose ältere Männer. Wie der lüsterne Greis auf einem Kalender die verstreichenden Tage durchkreuzt, bis das ihm wie eine Tochter ergebene Mädchen endlich 17 ist, und er sie heiraten (und somit auch …) darf, wirkt zunächst fast liebevoll. Doch wenn man miterlebt, wie er die (auch nicht eben subtilen oder netten) Avancen ausnahmslos aller japanischer Angler, die er als Broterwerb auf sein Schiff einlädt, mit eifersüchtigem Blick und blitzschnell gespannten Bogen abwehrt (wobei auch schon mal ein Oberschenkel durchbohrt werden kann), so wirkt er immer grotesker, wie einer jener Greise, die schon bei Boccaccio oder Chaucer keine Chance hatten, ihre jüngeren Ehefrauen vor den Nachstellungen der potenteren Nachbarsjungen und -Männer abzuschotten. Wenn dann auch noch das Interesse des einmal bereits fast von Anglern vergewaltigten Mädchens an einem jungen Studenten erwacht, der ihr schon über mitgebrachte Freizeittechnologie völlig neue Perspektiven eröffnet, dann dauert es nicht mehr lange, bis das symbolische Vorspiel (Händchenhalten im Etagenbett) plötzlich unwirsch abgewiesen wird. Und weil der Alte seine Felle davonschwimmen sieht, beginnt er mehrere Tage gleichzeitig durchzustreichen bzw. schließlich sogar ganze Monate vorzeitig vom Kalender abzureißen. Seinem vermeintlichen Erzieherstatus kommt dies sicher nicht nach und er offenbart sich als notgeiles Teufelchen, mit dem verglichen der Student durchaus die bessere Wahl scheint. Die Auflösung des Konflikts ist in ihrem Symbolcharakter sicher ein Element des Films, über das man geteilter Meinung sein kann, doch wie Kim „sein Ding“ durchzieht, ist durchaus bewundernswert. Der titelgebende Bogen ist nicht nur eine Waffe mit sexuellen Implikationen, er wird hier auch noch als Musikinstrument eingesetzt (mit zwei, drei Handgriffen wird eine kleine Trommel dazwischengeklemmt, und Kim verstärkt auch hier den Symbolcharakter, in dem er einem völlig unverwandte Studiomusik als diegetisch eingeflochten weismachen will), und schließlich sogar als mythisch überhöhtes Wahrsageinstrument. Vom Beiboot aus schießt er Pfeile auf die bemalte Schiffswand hinter dem auf einer Schaukel sitzenden Mädchen. Die Unschuld der Kindheit wird bedroht durch die Penetration der Pfeile, was dann als Weissagung weitergeflüstert wird (die beiden können also doch sprechen), erzürnt oder schockiert die japanischen Angler mit gleichgültiger Regelmäßigkeit. Andreas Thomas von der Filmzentrale hat im neuen „Applaus“ den Film besprochen, und liefert ein eindrucksvolles Beispiel dafür ab, wie man bei einem Verriß völlig übers Ziel hinausschießen kann: Die „Begehr“ des „bärbeißigen Alten“ nach der „knospenden Jungfräulichkeit“ ist natürlich „schlicht frauenfeindlich“, eine „unhinterfragte Altherrenphantasie“, der Film ist zudem „bedeutungsschwanger“, „mystisch“ und „esoterisch“, die Logik kommt zu kurz, das Ohr wird „über Gebühr“ mit „Weltmusik“ „belästigt“. Selbst eine der komischsten Szenen des Films stößt ihm sauer auf, und mit seinen Schlussworten will ich auch meine Kritik beenden, selbst wenn ich völlig anderer Meinung bin. „Immerhin hat die Kritik an der Tierquälerei früherer Kim-Filme den Regisseur dazu bewegt, diesmal keine Tiere zu behelligen - mit Ausnahme eines gefesselten Hahns. Er symbolisiert den Alten, und der Junge gibt ihm ein paar kräftige, symbolische Watschen. Das kommt von zu viel Allegorie: Am Ende trifft es immer den Falschen.“ (Applaus 7/8 2006, S. 65) |
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