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April 2007
Thomas Vorwerk
und Daniel Walther

für satt.org


Inland Empire
(R: David Lynch)

Inland Empire (R: David Lynch)
Inland Empire (R: David Lynch)
Inland Empire (R: David Lynch)

Bilder © 2007 Concorde Filmverleih GmbH
Inland Empire (R: David Lynch)
Inland Empire (R: David Lynch)
Inland Empire (R: David Lynch)
Der Regisseur

USA / Polen / Frankreich 2006, Buch, Kamera, Schnitt, Sound Design: David Lynch, mit Laura Dern (Nikki Grace / Susan Blue), Justin Theroux (Devon Berk / Billy Side), Peter J. Lucas (Piotrek Krol), Karolina Gruszka (Lost Girl), Jeremy Irons (Kingsley Stewart), Harry Dean Stanton (Freddie Howard), Jan Hench (Janek), Krzysztof Majchrzak (Phantom), Ian Abercrombie (Henry the Butler), Grace Zabriskie (Visitor #1), Mary Steenburgen (Visitor #2), Diane Ladd (Marilyn Levens), Laura Elena Harring (Rita), William H. Macy (Announcer), Naomi Watts (Rabbit’s Voice), Jordan Ladd (Terri), Kristen Kerr (Lori), Heidi Schooler (Lilli), Kathryn Turner (Dori), Terryn Westbrook (Chelsi), Jamie Eifert (Sandi), Masuimi Max (Niko), Kinostart: 26. April 2007

David Lynch hat vor allem in Europa Verehrer, die jahrelang geduldig auf den nächsten Film warten, und sich die Zeit damit vertreiben, auf seiner Website kleine Filmchen anzuschauen oder sich sogar “damn fine coffee” bei ihm zu bestellen. Nach den Problemen mit dem zunächst als Fernsehserie konzipierten, und in der Filmfassung teilweise wie ein Appetithappen erschienenen Mulholland Drive hat Lynch nun die Digitalkamera für sich entdeckt, und mit einem Minimal-Budget und europäischer Finanzierung einen Film gedreht, bei dem ihm keiner “reinquatschen” konnte, fast ein “home movie”, was allerdings unter seiner Regie etwas anders ausfällt. Vorab hörte man viel über den Film, der drei Stunden lang ist, teilweise auf Polnisch (manchmal, aber nicht immer ohne Untertitel, wie es der Schöpfer wohl bevorzugen würde), und der wenig bis keinen Sinn machen soll.

Wenn man mit solch einer Erwartungshaltung den Film schaut, wird man positiv überrascht sein, wie viel Sinn einiges macht. Viele Kritikerkollegen schreiben fleißig aus den Pressematerialien ab, daß Laura Dern “mehrere” Frauen spielt, die sich allesamt “in Schwierigkeiten” (Lynchs Kurzzusammenfassung des Films) befinden. Was aber meines Erachtens bereits falsch ist, denn Laura Dern spielt die etwas abgehalterte Schauspielerin Nikki Grace, die wiederum eine Susan Blue in dem Film-im-Film On High in Blue Tomorrows spielt. Daß man als Zuschauer von Inland Empire nicht immer weiß, ob man gerade die Schauspielerin oder ihre Rolle sieht, ändert nichts daran, daß Laura Dern nur eine Frau spielt. Daß es, wie bei Lynch schon häufiger vorgekommen, zu dieser eher blonden Frau noch mindestens zwei schwarzhaarige gibt, von der eine dafür sorgt, daß Susan Blue kein Happy End erleben wird, und die andere im Augenblick des möglichen Happy Ends von Nikki Grace sozusagen ihre Rolle übernimmt, macht das Ganze natürlich etwas komplizierter. Daß die eine der zwei anderen Frauen wahrscheinlich eine Prostituierte ist (bei der entscheidenden Szene sind die Köpfe elektronisch ausradiert), die irgendwo in Polen eine Sitcom-Parodie namens Rabbits schaut (war früher schon auf der Website zu sehen und wurde hier recyclet), bei der eine der karnickelköpfigen Protagonistinnen die Stimme von Laura Dern hat (so wurde mir jedenfalls gesagt), verkompliziert das Ganze noch mehr.

Die letzten Filme von David Lynch waren immer wie Überraschungseier. Es gab Spannung, für die intellektuellen Rätselrater auf der Suche nach dem Sinn etwas zum Spielen, nur die Hasen sind hier nicht aus Schokolade und so fehlt etwas Nährwert. Die osteuropäischen Sequenzen und das bis zum Exzess verschachtelte Film-im-Film-Thema legen nun nahe, daß diesmal eher ein Vergleich mit jenen russischen Puppen passen würde, nur daß diesmal in der mittleren Puppe plötzlich die kleinste stecken könnte und in der kleinsten wiederum die zweitgrößte, und in der plötzlich was völlig unerwartetes, vielleicht ein Kalbsfötus mit den Gesichtszügen von Laura Elena Harring.

Irgendetwas will uns Lynch erzählen, aber er spricht es nicht genau aus. So wie er mit einer Kuh über den Hollywood Walk of Fame gegangen sein soll, um für eine Oscarnominierung seiner Hauptdarstellerin zu werben, so setzt er die Tätigkeit der Schauspielerin im Film gleich mehrfach mit Prostituierten gleich, wobei eine oscarreife Sterbeszene auf dem Straßenstrich von Los Angeles natürlich eine Schlüsselfunktion innehat.

So interessant, wie das alles klingen mag (und wir haben noch gar nichts über die Brandlöcher in der Seidenunterwäsche, Smithys Haus, den Schraubenzieher, das Kapuzineräffchen, einen anderen Film namens Vier Sieben, das mise en abyme und jene Nachtischlampe, die wie ein Siegertreppchen aussieht, erzählt), ist dies aber nur ein Versuch einer teilweise Erklärung des Unerklärbaren, und für jene Zuschauer, die das Kino nicht verwirrt, unbefriedigt, und mit dem Gefühl, ein Versuchskaninchen zu sein, verlassen wollen, trifft vielleicht eher Georg Seeßlens Kommentar im epd-Film: “Die schnellere und billigere Arbeitsweise nun verleitete möglicherweise auch dazu, Quantitäten zu erzeugen, die den routinierten Kinozuschauer an den Rand seiner Aufmerksamkeitsspanne bringen.”

Noch stärker als bei Lost Highway oder Mulholland Drive, eher so wie bei Lynchs Debütfilm Eraserhead oder der letzten Folge von Twin Peaks, funktioniert Inland Empire wie ein Traum, den man interpretieren kann oder man lässt es. Wer nicht den Job von Lynchs Psychiater übernehmen will, kann (muß aber nicht!) auf seine Kosten kommen, wer sich aber darauf einlässt, darf sich nach diesem dreistündigen “mind fuck” nicht wundern, wenn er oder sie danach selbst in Therapie muß.

Selten wirkte es so glaubhaft wie hier, daß ein Regisseur wirklich gänzlich auf die Resonanz der Kritik bzw. auch des Publikums zu pfeifen scheint und einfach seine Vorstellung / sein Experiment durchzieht. Oder steckt dahinter auch nur das Kalkül, das Publikum gerade damit ins Kino zu locken?