Pas douce
(R: Jeanne Waltz)
Frankreich / Schweiz 2007, Int. Titel: A Parting Shot, Dt. (inoffizieller) Titel: Die Unsanfte, Buch: Jeanne Waltz, Kamera: Hélène Louvart, Schnitt: Eric Renault, Musik: Cyril Ximenes, mit Isild Le Besco (Fred), Steven Pinheiro de Almeida (Marco), Lio (Eugenio, Marcos Mutter), Yves Verhoeven (Miguel, Marcos Vater), Maxime Kathari (Jeremy), Christophe Sermet (André), Serge Onteniente (Verliebter Arzt), 85 Min., Kinostart: 8. November 2007
Isild Le Besco ist in Frankreich längst bekannt, in Deutschland kommt mit Pas douce endlich auch mal ein Film mit ihr "richtig" ins Kino (zuvor bedurfte es immer einer Berlinale, einer französischen Filmwoche oder ähnlichem, um Filme wie Roberto Succo, Camping sauvage oder ihr Regie-Debüt Demi-Tarif auf der großen Leinwand sehen zu dürfen). Auch auf die Gefahr hin, daß ich mich wiederhole, kann man Isild Le Besco am einfachsten als schroffere, europäische Version von Scarlett Johansson erklären. Sie entspricht zwar keinen gängigen Schönheitsidealen oder spielt sich als ewiglächelndes Glamour Girl auf, dafür nimmt sie ihren Job aber mindestens genauso ernst, und hat, obwohl sie gerade erst zwei Jahre älter als der ehemalige Kinderfilmstar ist (beide haben am 22. November Geburtstag, 1982 bzw. 1984), bereits bei zwei abendfüllenden Filmen Regie geführt. Daß sie bei ihrer Rollenauswahl dazu zu neigen scheint, etwas exhibitionistisch zu wirken, sollte insbesondere den männlichen Kinobesuchern wenig Anlass zu Beschwerden geben, und auch das kleine Detail, daß ihre Rollen bisher vom Typ her im Ansatz ähnlich gelagert waren, finde ich immer noch besser, als Scarlett dabei zuzuschauen, wie sie in The Black Dahlia als femme fatale recht eindeutig scheitert.
Ähnlich wie in Camping sauvage spielt Isild auch in Pas douce wieder eine sehr konfrontative und promiske junge Frau, die in ihrem Umgang mit Sex und Alkohol mitunter gefährlich wirkt und ihre Frustration nur bis zu einem gewissen Punkt in sich hineinfressen kann. Als 24jährige Krankenschwester in dem kleinen schweizerischen Ort La Chaux-de-Fonds (laut der Regisseurin Jeanne Waltz so etwas wie ein Hauptdarsteller) ist sie "hin- und hergerissen zwischen ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit und der ständigen Verfügbarkeit, zu der ihr Beruf sie zwingt" (O-Ton der Autorin Waltz).
Ohne zuviel verraten zu wollen, bringt sie ihr unerfülltes Leben (im Spital wird sie bevorzugt bei hoffnungslosen Fällen eingeteilt, weil ihr das weniger auszumachen scheint, und ihr Lover fängt auch gerade etwas mit einer anderen an) bis an den Rand des Suizids.
Mit ihrem Karabiner war sie schon öfter im Wald spazieren gegangen, jetzt streichelt sie die Waffe zärtlich, schiebt sich den Kolben unters Kinn - und wird von einem Jungen, der mit einer Schleuder zunächst auf Vögel, dann seinem Klassenkameraden ins Gesicht schoß, gestört, geradezu "aufgeweckt", und ehe Fred (kurz für Frédérique) wirklich begreift, was sie tut, schießt sie dem Jungen (Steven Pinheiro de Almeida als Marco) aus ihrem Versteck ins Bein.
Marco wird in Freds Krankenhaus eingeliefert, und nachdem ihr Versuch, sich der Polizei zu stellen, misslingt ("C'est moi" sagt zu zwei Polizisten, doch ihre Schwesterkollegin stellt sie danach nur den Polizisten namentlich vor), wird sie diesem "schwierigen" Fall (Marco ist nicht eben kooperativ) zugeordnet, und fällt beim Anblick der von ihr verursachten Schusswunde erst einmal in Ohnmacht.
Der Film erzählt dann die behutsame Freundschaft der beiden, auf der natürlich das Geheimnis lastet. Wie Fred ist auch Marco "pas douce", also "ohne Süße", schroff, und wie sich beide langsam verändern, wie der Schuss im Nachhinein wie die nötige Veränderung in beider Leben wirkt, das macht diesen Film aus.
Zu Beginn des Films hat Isild Le Besco noch tiefe Ringe unter den Augen, im Verlauf der Handlung scheint sie geradezu aufzublühen, und wenn Fred Marcos Egoshooter-Spiel betrachtet und erwähnt, daß sie früher mal "Meisterin" (im Jugendschießen) war, entdeckt man immer mehr Gemeinsamkeiten, eine klare Opfer-Täter-Dichotomie ist hingegen keineswegs gegeben.
Die letzte Szene des Films (deren weitere Umstände hier nicht ausgeplaudert werden), zeugt davon, wie Fred wohl doch noch etwas "Süße" entwickelt, wenn sie fürsorglich den Kinderschuh einer Nachbarin im Treppenhaus aufsammelt. Pas douce ist ein Film, der in der Nacherzählung düster, verzweifelt oder melodramatisch wirken mag - der aber trotz allem auch lebensbejahend ist - selbst, wenn man, um daran erinnert zu werden, daß man noch am Leben ist, erst angeschossen werden muss - oder jemanden anderes anschießt.