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November 2007 | Thomas Vorwerk für satt.org | |
Free Rainer
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Bilder © Kinowelt 2007 |
Mitunter ist es kein Zuckerschlecken, für satt.org einen “Film des Monats” zu bestimmen. Während in manchen Monaten zwei oder vier Filme anlaufen, die dieses Gütesiegel verdient hätten, muss ich manchmal zähneknirschend auch einen Film auszeichnen, bei dem schon abzusehen ist, daß er es nicht einmal in meine Jahres-Top-Twenty schaffen wird. Im November 2007 fiel mir die Wahl mit Pas Douce nicht völlig leicht (in meiner Jahreswertung rangiert der Film momentan nur auf 48), aber erstmals hatte ich auch die Idee, eine Art Kontraprogramm durchzuziehen, den (Arbeitstitel) “Scheißfilm des Monats”. Und dazu bedurfte es nur einer Sichtung des neuen Films von Hans Weingartner (Das weiße Rauschen, Die fetten Jahre sind vorbei), vor der mich sogar einige Kritikerkollegen gewarnt hatten (beim nächsten Mal höre ich auf Elisabeth und Heiner), der aber doch bei einem gar nicht mal untalentierten Regisseur meines Erachtens gar nicht soo schlimm sein konnte …
Oh doch! Und noch schlimmer! Schon bei den letzten zehn Minuten von Die fetten Jahre sind vorbei konnte man beobachten, wie Weingarten eine schier unendliche Naivität mit einer vollkommenen Entmündigung seiner Zuschauer paarte, und dieses Inszenierungsproblem scheint sich nun zur konkreten Zielsetzung entwickelt zu haben. Free Rainer will dem (Kino-)Publikum eine Message nahebringen, die keine Überraschung darstellen sollte: Fernsehen verblödet! Doch um diese Botschaft zu übermitteln, benutzt Weingartner leider nahezu die selben Mittel wie das Fernsehen. Er hämmert die Botschaft durch andauernde Wiederholung ins Hirn des Betrachters, bedient sich einer Dramaturgie, die sich höchstens von einer Werbepause zur nächsten hangeln könnte, und präsentiert Figuren, wie sie schablonenhafter kaum sein könnten.
Da ist zunächst Rainer (Moritz Bleibtreu), ein zunächst unsympathischer, oberflächlicher Fernsehmacher, der zugekokst und volltrunken sein Luxusauto bei Wahnsinssgeschwindigkeit durch die Berliner Stadt jagt, um sich nebenbei durch stumpfes “ANGER! ANGER!”-Hardrockgeballere noch zusätzlich aufzuputschen. Als er schließlich einem anderen Verkehrsteilnehmer voll drauffährt, wird dieses dadurch verharmlost, daß daraus einige erboste Glatzköpfe aussteigen, doch unser Rainer hat seinen Baseballschläger schneller ausgepackt als die Verkehrsopfer. Ungefähr ab Minute Zwei des Films weiß man, daß dieser Rainer zu einem besseren Menschen bekehrt werden wird, wie man aus aus Tom Cruise-Filmen wie Rain Man oder War of the Worlds kennt. Daß der erste Moment der Wandlung dadurch vollzogen wird, daß Rainer seine Flatscreen-Heimkinoanlage “entsorgt”, unterstreicht aber nur, wie dumpf Film und Regisseur sind, denn das Gerät wird ohne die geringste Sorge um Passanten von einem Hochhaus geschmissen. Spätestens an dieser Stelle konnte für mich Moritz Bleibtreu noch so ein knuffiger Typ sein, der Film war bereits gestorben.
Bleibtreu zur Seite steht die Neuentdeckung Else Sophie Gambard als “Pegah”, die zwar erstaunlich Natalie Portman ähnelt, aber in diesem Streifen einzig als Augenschmaus und love interest verschossen wird. Zunächst will sie Rainer noch umbringen (und warum dies so ist, erfährt der Zuschauer später durch eine unendlich plumpe Inszenierung), doch später wird sie als Meisterschwimmerin den wasserscheuen Rainer zum Bade (und mehr) einladen, womit der Film (womöglich für ein romantisch veranlagtes Teilpublikum) eine gefühlte Viertelstunde an ziemlich überflüssigen Schmuseszenen einbaut.
Als dritte Hauptfigur spielt Milan (Netto) Peschel den als Sicherheitsmann arbeitenden Verschwörungsfanatiker Philipp, der innerhalb weniger Sekunden das Lager wechselt, weil Pegah sozusagen intuitiv errät, daß sein Lieblingsbuch Brave New World sein könnte, und vor einer ähnlich stupiden Gesellschaft wollen die drei uns retten. Dazu wollen sie mit einigen Hartz IV-Empfängern, Kleinkriminellen und Dilletanten die Fernseh-Quoten manipulieren. Schon recht früh im Film machen Rainer und seine Spießgesellen die (wohl als überraschend angelegte) Entdeckung, daß die Quoten tatsächlich stimmen. Nicht nur werden unsere Filmhelden dies natürlich ändern, auch entblödet sich Herr Weingartner nicht, durch Quotenlügen die Narration seines Deppenfilms voranzutreiben. Nachdem 500 der 5500 in Deutschland verteilten “Quotenboxen” unter die Kontrolle unserer Rebellen gebracht wurden, wird als erste Demonstration die Quote der Show “Hol Dir das Superbaby” von über 15% auf 3% heruntergeholt. Natürlich kann man vom Kinozuschauer nicht erwarten, daß er (oder sie) nebenbei die Zeit aufbringt, das elementare Prozent- oder Bruchrechnen aus der sechsten Klasse zu reaktivieren, um aufzuzeigen, daß Weingartner ein viel größerer Lügner und Verblöderer ist als die (fiktiven) Fernsehsender, die er anprangert.
Die Quoten werden einfach umgeleitet, zum Beispiel auf Angst essen Seele auf, und schon bald gibt es Fassbinder-Abende und die Jugend sitzt im Park und liest sich gegenseitig aus Reclam-Klassikern vor. Solche an den Haaren herbeigezogenen Happy Ends kennt man vor allem von Film-Produzenten verunstalteten Filmen wie Blade Runner oder der berühmt-berüchtigten US-Fernseh-Version von Brazil. Und Weingartner scheint nicht einmal zu merken, was er da für einen Mist fabriziert, und gibt sich dann auch noch den endgültigen Gnadenschuss, wenn er eine durchschnittliche Fernsehfamilie gebannt vor dem Fernseher sitzend zeigt, bis endlich offenbart wird, was sie sehen. Nicht Al Bundy, nicht Fassbinder, sondern Die fetten Jahre sind vorbei. Peinlich genug, daß Weingartner sich so erdreistet, sich mit Fassbinder zu vergleichen, da er das Kinopublikum auch noch für so blöd hält wie seine Vorstellung vom Fernsehpublikum (oder vielleicht auch einfach sich selbst), zeichnet sich der Ausschnitt aus seinem früheren Werk auch noch dadurch aus, daß der Filmtitel selbst zu sehen ist, denn sonst hätten die Stumpfbratzen auf den Kinosesseln (oder bei der bereits geplanten TV-Ausstrahlung auf Vox) womöglich gar nicht gemerkt, für welches vermeintliche Meisterwerk hier Schleichwerbung (übrigens auch sehr penetrant für eine Biersorte) getrieben wird. Ich kann nur hoffen, daß möglichst wenige Menschen dumm genug sind, hierfür Geld auszugeben.
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