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Sweeney Todd
Der teuflische Barbier
aus der Fleet Street
(R: Tim Burton)
Originaltitel: Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street, USA 2007, Buch: John Logan, Musical-Vorlage: Stephen Sondheim, Hugh Wheeler, Lit. Vorlagen: Thomas Peckett Prest, Christopher Bond, Kamera: Dariusz Wolski, Schnitt: Chris Lebenzon, Musik: Stephen Sondheim, Ausstattung: Dante Ferretti, Kostüme: Colleen Atwood, Make-Up & Hair Design: Peter Owen, mit Johnny Depp (Benjamin Barker / Sweeney Todd), Helena Bonham Carter (Mrs. Nellie Lovett), Alan Rickman (Judge Turpin), Jamie Cambell Bower (Anthony), Edward Sanders (Toby), Timothy Spall (Beadle Bamford), Sacha Baron Cohen (Signor Adolfo Pirelli), Jayne Wisener (Johanna), Laura Michelle Kelly (Beggar Woman), Colin Higgins (Elixir Sniffing Customer), Kinostart: 21. Februar 2008
Falls es Sweeney Todd wirklich gegeben hat, dürfte er sein Unwesen ca. 1800 getrieben haben. Falls man nur von einer fiktiven Figur ausgeht, die über eine Vielzahl von penny dreadfuls (sozusagen frühen “Groschenromanen”) zu Berühmtheit gelangte, so wird als früheste erhaltene Quelle The String of Pearls von Thomas Peckett Prest aus dem Jahre 1846 aufgeführt. Ein Londoner Serienmörder lange vor Jack the Ripper. Bis zu diesem Punkt schreibe ich übrigens nicht nur aus dem Presseheft ab, Todd war als Inspiration der Late Victorian Gothic auch Thema meiner mündlichen Prüfung in Anglistik, die zufällig am Tag nach der Pressevorführung von Sweeney Todd stattfand.
Der Plot um Judge Turpin gesellte sich erst in einer Bühnenfassung des Stoffes von 1973 dazu, und die direkte Vorlage für Tim Burtons Film ist das Musical von 1979, das Stephen Sondheim (u. a. Songtexte aus West Side Story) komponierte. Und deshalb wird im Film auch ein Großteil der Dialoge gesungen, wobei insbesondere Johnny Depp, dessen Stimme sich sicher mit der von Robbie Williams messen könnte, aber lieber eine Art Sprechgesang wie von Tom Waits bevorzugt, was durchaus eine gewisse Faszination entfaltet.
Wie Regisseur Burton sich schon öfter mit Stoffen, Geschichten oder Designs aus dem 19. Jahrhundert beschäftigte (Sleepy Hollow, Corpse Bride, seine Version von Gotham City), hat auch Johnny Depp nicht nur in den beiden genannten Burton-Filmen, sondern auch als Gegenspieler von Jack the Ripper in From Hell schon einige diesbezügliche Erfahrungen gemacht, doch diesmal brilliert er in der Rolle des Killers, dessen tragische Motivation an seiner Blutrünstigkeit wenig ändern kann. Ihm zur Seite steht Tim Burtons Lieblingsschauspielerin Helena Bonham Carter, die aus den “worst pies of London” durch fleischliche Zutaten, die offenbar von besserer Qualität als die üblichen Katzen sind, ein ziemlich florierendes Fleischpasteten-Geschäft zaubern kann. Wenn man bedenkt, dass Sweeney Todds Barbierstube aufgrund der häufigen Verirrungen von Todds geliebtem Rasiermesser wohl wenig Mundpropagande erzeugen kann, wirkt diese frühe Kombination zweiere Shops eigentlich wie eine Erfolgsgeschichte, die in Anlehnung an ein anderes Musical auch Little Shop of Razors hätte heißen können. Doch neben der unterschwelligen Liebesgeschichte gibt es noch zwei Subplots, wie sie von Charles Dickens stammen könnten. Zum einen ist da der Waisenjunge Toby (Edward Sanders), der zunächst als Marktschreier für den durchtriebenen Pirelli (Sacha Baron Cohen) arbeitet, bevor er bei Mrs. Lovett einsteigt und eine Spur zu neugierig wird. Zum anderen reist Todd gemeinsam mit dem jungen Matrosen Anthony an, der sich in Johanna verliebt, das Mündel des sexbesessenen Richters Turpin (Alan Rickman) und zufällig auch noch Mr. Todds Tochter. Ein aus meinen Augen typischer Musicalstoff, und mich würde auch interessieren, wie diese Geschichte im Musical zuende geht. Tim Burton interessiert sich nicht wirklich dafür und inszeniert seinen Film so zu Ende, wie man es von ihm fast schon erwarten könnte: mit viel Blut und Pathos und nur soviel Kitsch, wie unbedingt nötig ist.
Auch wenn das Design des Films zu Beginn (Vorspann wie bei der Schokoladenfabrik, nur halt mit “Fleischpasteten”) wie ein seltsamer Bastard zwischen Old-School-Ausstattung von Dante Ferretti und ein paar zu vielen CGI-Effekten anmutet, und der Friseursalon eine Spur zu sehr an frühere Bühnenbilder wie den Dachboden bei Edward Scissorhands erinnert, nimmt die Geschichte (trotz einiger vorhersehbarer Schnörkel) einen doch sehr schnell gefangen, und zusammen mit Burtons Bildern wirkt sogar Sondheims Musik, die für meine Verhältnisse öfters etwas zu pompös und musicalhaft (im Sinne von Andrew Lloyd Webber) ausfällt. Doch Sweeney Todd ist bereits der vierte oder fünfte durchweg gelungene Burton-Film, und nach Filmen wie Sleepy Hollow oder Planet of the Apes hatte ich bereits einen Großteil meiner Hoffnungen für dieses Regietalent verloren gegeben. Doch mittlerweile scheint es so, als müsse sich Burton nicht mehr einem seltsamen Publikumsgeschmack beugen, sondern er kann machen, wozu er Lust hat, und als Zuschauer kann man sich beruhigt in seine Obhut begeben, ganz wie man sich bei einem fingerfertigen Barbier ganz entspannt auf den Stuhl setzt ...