Anzeige: |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |
5. November 2008 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||
Waltz with Bashir
|
Nun gab es in letzter Zeit mehrere Versuche, den Animationsfilm von seiner Herkunft wegzuführen, ähnlich der “comics are not just for kids”-Werbekampagne der 1980er. Doch selbst thematisch ähnlich gelagerte Filme wie Persepolis oder Sita sings the Blues sind Waltz with Bashir animationstechnisch Jahre voraus, und dies meine ich nicht technologisch, sondern ästhetisch und was die Ausnutzung der Möglichkeiten angeht.
Kommen wir also zum zweiten Punkt, zum zweiten Genre: dem Dokumentarfilm. Waltz with Bashir entspricht hier einem (den Punkt Animation mal ganz außen vor) Untergenre, dass einem investigativem Journalismus mit autobiographischer Motivation entspricht. Der Regisseur Ari Folman erfährt in einem Gespräch mit einem Bekannten von einem wiederkehrenden Traum dieser Person, und fragt sich daraufhin, was er eigentlich selbst während des Libanonkrieges zu beginn der 1980er so gemacht hat, denn aus irgendwelchen Gründen kann er sich daran nicht mehr erinnern. Hört sich gleich nach psychologischer Verdrängung traumatischer Erlebnisse an, und so reist Folman durch Land und interviewt Zeitzeugen, die ihm auf der Suche nach seiner eigenen Vergangenheit weiterhelfen. Das ist durchaus spannend anzusehen, und über das Werkzeuganimationsfilm kann man nicht nur Träume visualiseren, sondern auch Geschehnisse, von denen die Interviewten berichten (insbesondere natürlich auch Scharmützel, die nachgedreht ein Heidengeld kosten würden und in einem Realfilm immer sehr seltsam wirken - man vergleiche etwa den sehr suspekten Dokumentarfilm Cocaine Cowboys, der sich in nachgestellten Szenen ähnlich einer Aktenzeichen XY-Folge ganz der Faszination der Gewalt hingibt).
Doch hier beginnen auch die Probleme, denn nicht nur würde ich die Animation einer Kriegsszene ebenso wie eines somit visualisierten, auf einer real existierenden Tonspur basierenden Interviews nicht als “Dokumentation” bezeichnen, doch Regisseur Folman macht wenig aufhebens darum, dass er die Filmgeschichte (Ari fährt von Interview zu Interview) dramatisiert hat, er beispielsweise den Traum von den 26 Hunden einfach zwischen Personen “transferierte” und ähnliche Freiheiten. So sagte er jedenfalls im Interview mit Elstermann nach dem Film. Originalzitat: “I honestly don’t care”. Das ist ja auch sein gutes Recht, doch abgesehen von einigen Dialogsätzen wie “So erinnere ich es, aber es muss anders gewesen sein” wird diese Differenz zum Dokumentarfilm (so wie ich ihn ganz altmodisch verstehe) im Film nicht thematisiert. Man muss als Zuschauer schon extrem aufmerksam zu sein, um beispielsweise zu erkennen, dass einige im Film benutzte Songs wie “Enola Gay” von OMD oder “This is not a love song” von Public Image Limited sowohl zeitlich als auch thematisch (bei letzterem Song zumindest halbwegs) gut passen. Doch wenn dann an ein anderer Song auf hebräisch den Libanonkrieg kommentiert (laut deutscher Untertitel: “jeden Tag habe ich Beirut bombardiert”), hält man das natürlich automatisch für zeitgenössisches Liedgut, bis man dann im Nachspann erfährt, dass es sich um eine hebräisch neugetextete Coverversion eines erst viel später entstandenen Songs (“I bombed Korea” von Cake) handelt. Und so bekommt man das Gefühl, dass der Film viel eher die Mittel des Spielfilms benutzt als die der Dokumentation. In vielen während des Vietnamkriegs angesiedelten Spielfilmen wäre man niemals auf die Idee gekommen, später (oder womöglich sogar extra für den Film) entstandene Songs einzubauen, die sich im Text des Filmthemas annehmen, doch Ari Folman “honestly doesn’t care”.
Und auch, wenn dies nicht jeder nachvollziehen muss, und der Film durchaus interessante Elemente hat, hat sich diese Einstellung des Regisseurs auch auf mich übertragen, und auch, wenn mich die Geschichte des Libanonkrieges, die Probleme Ari Folmans mit seinem selektiven Gedächtnis und vieles anderes sehr interessieren - der Film als solches spricht mich nicht wirklich an. Hätte vor der Vorstellung jemand gesagt: “Jetzt kommt ein Flash-Animation-Spielfilm, der auf wahren Begebenheiten beruht”, hätte ich den Film womöglich mehr ins Herz geschlossen, aber man kann halt nicht aus seiner Haut, und wenn man sich über bestimmte Dinge aufregt, ist es schwer, dies nachträglich noch zu korrigieren.
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |