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13. Januar 2009
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Boss of it all (R: Lars von Trier)
The Boss of it all (R: Lars von Trier)
The Boss of it all (R: Lars von Trier)
Fotos © alphamedia
The Boss of it all (R: Lars von Trier)
The Boss of it all (R: Lars von Trier)
The Boss of it all (R: Lars von Trier)


The Boss of it all
(R: Lars von Trier)

Originaltitel: Direktøren for det hele The Boss of it all, Dänemark / Schweden 2006, Buch: Lars von Trier, Kamera: Claus Rosenløv Jensen, Schnitt: Molly Marlene Stensgård, mit Jens Albinus (Kristoffer / Svend E.), Peter Gantzler (Ravn), Louise Mieritz (Mette), Iben Hjejle (Lise), Mia Lyhne (Heidi A.), Caspar Christensen (Gorm), Jean-Marc Barr (Spencer), Henrick Prip (Nalle), Friðrik Þór Friðriksson (Finnur), Benedikt Erlingsson (Übersetzer Tolk), Sofie Gråbøl (“Kisser”), Anders Hove (Jokumsen), Lars von Trier (Erzählerstimme), 99 Min., Kinostart: 15. Januar 2009

Fast zweieinhalb Jahre nach der Premiere hat sich für Lars von Triers neuen Film ein kleiner deutscher Verleih gefunden. So klein, dass man fünf Wochen vor dem Start der Presse nur eine DVD mit englischen Untertiteln vorführte. Während von Triers ambitionierte Amerika-Trilogie (Dogville, Manderlay) auf ihre Vollendung wartet, drehte er wie nebenbei eine kleine Komödie, die trotz ihrer Leichtigkeit und Selbstironie an die Anfänge von Jean-Luc Godard erinnert. Gleich in der ersten Einstellung sieht man die Kamera (vgl. Le mepris) in einer Fensterreflektion, doch der Regisseur selbst weist den Zuschauer darauf hin, dass der Film es nicht wert sei, über ihn zu reflektieren. Ähnlich wie bei den Dogma-Regeln hat sich von Trier auch hier wieder die Arbeit ein wenig erschwert, in dem er eine Art Kamera-Computer einsetzte, der halbautomatisch die Bildauschnitte wählte. Was Rudolf Arnheim damals in Film als Kunst als Erklärungsprinzip für das künstlerische Moment an einer Foto- oder Filmaufnahme wählte, um die rein technologische Abbildung vom Ausdrucksvermögen des Malers zu unterscheiden, darüber kann sich von Trier nur lustig machen. Und weil das Ergebnis trotz einiger abgeschnittener Scheitel auch nicht misslungener ist als vieles, was uns die durch den Dänen so populär gewordenen Wackelkameras präsentierten, verstärkt von Trier perfide den wohl als drastischer erwarteten Effekt, indem er durch aufdringliche Jump-Cuts (vgl. A bout de souffle) immer wieder zwischen zwei doch recht ähnlichen Aufnahmen hin und her schneidet, wodurch die alternierend angeschnittenen und mit viel Leerraum darüber versehenen Köpfe zumindest auffallen.

Die Handlung des Films wirkt wie absurdes Theater nach dem Vorbild des großen Dramatikers Antonio Stavro Gambini. Ein Schauspieler soll nur kurz für einen Vertragsabschluss einen Firmenboss darstellen, den es eigentlich nicht gibt. Doch die Unterzeichnung des Vertrags verschiebt sich, weil der isländische Firmenpräsident (Friðrik Þór Friðriksson, Regisseur von Children of Nature, in einer ähnlichen kleinen Rolle wie seinerzeit bei Godards Erstling Jean-Pierre Melville) sich an ein allzu sinnfälliges Zitat aus den alten Sagen erinnert: “Wer mit Handlangern verhandelt, verhandelt nicht”. Und so muss der Handlanger (Jens Albinus, bekannt aus Idioterne) eine Woche in seiner Rolle ausharren, und erfährt dabei, dass sich sein Auftraggeber, der Firmengründer Ravn (Peter Gantzler aus Italiensk for begyndere), den “Chef vom Ganzen” nur ausdachte, um dem kreativen, aber chaotischen Sextett (u.a. Iben Hjejle, Jean-Marc Barr, also einige der alten Kumpels aus Dogma-Zeiten), das hinter der Firma steht, unangenehme Nachrichten und Befehle unterzujubeln, ohne selbst wie der Buhmann dazustehen. Schauspieler Kristoffer, der zunächst nicht einmal den Namen (oder die vermeintliche sexuelle Orientierung) des von ihm dargestellten Direktors kennt, muss viel improvisieren, seine komplette Unkenntnis irgendwelcher IT-Fachbegriffe überspielen, und seinen patentierten Schauspieler-Blick einsetzen, der “voller Trauer in die Ferne blickt”.

Nebenbei kommt über den Schauspieler Kristoffer auch immer wieder des Thema Theater in den Film, denn neben seinen Problemen, die zunächst aus Unkenntnis und später aus einer moralischen Ambiguität erwachsen, will der doch eher erfolglose Darsteller auch noch seine teilweise realitätsfremde Version eines Method Acting einbringen - oder zumindest den langen Monolog des Schornsteinfegers aus Gambinis “Eine Stadt ohne Schornsteine”. Wer es noch nicht mitbekommen hatte, diesen Gambini, den von Trier wie eine Brecht-Parodie einbringt, gibt es natürlich genausowenig wie den “Chef vom Ganzen”.

Richtig ernst kann man den ganzen Film nicht nehmen. Auch weil von Trier hin und wieder wie ein “deus ex machina” auftaucht, die Handlung hinterfragt oder einfach mal, weil alles gerade zu harmonisch ist, eine neue Figur einfügt (Kristoffers Ex-Freundin, die jetzt für den isländischen Firmenpräsidenten arbeitet). Doch gerade diese Experimentierfreudigkeit macht den Reiz des Films aus. Man kann sich gut vorstellen, wie von Trier am Buch des dritten Amerika-Films saß, der Grace wahrscheinlich mit noch schlimmeren moralischen Dilemmas konfrontiert - und plötzlich tritt der neckische kleine Lars beiseite und hat für ein paar Wochen einen Heidenspaß, der sich auch auf das Publikum überträgt, wenn dieses nicht Strindberg oder Ibsen erwartet, sondern sich auch mal daran erfreuen kann, wie der Besuch eines Tarkowskij-Films zur Farce wird oder jemand so tiefsinnige Dialoge von sich gibt wie: “Das Leben ist ein Dogma-Film.”