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Bilder © Walt Disney Studios
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Glaubensfrage
(R: John Patrick Shanley)
Originaltitel: Doubt, USA 2008, Buch, Lit. Vorlage: John Patrick Shanley, Kamera: Roger Deakins, Schnitt: Dane Collier, Dylan Tichenor, Musik: Howard Shore, Casting: Ellen Chenoweth, mit Meryl Streep (Sister Aloysius Beauvier), Philip Seymour Hoffman (Father Brendan Flynn), Amy Adams (Sister James), Viola Davis (Mrs. Miller), Alice Drummond (Sister Veronica), Joseph Foster II (Donald Miller), Mike Roukis (William London), Lloyd Clay Brown (Jimmy Hurley), Audrie Neenan (Sister Raymond), Paulie Litt (Tommy Conroy), Suzanne Hevner (Mrs. Kean), Tom Toner (Monsignor Benedict), Frank Shanley (Kevin), Frank Dolce (Ralph), Matthew Marvin (Raymond), Molly Chiffer (Sarah), Lydia Jordan (Alice), 104 Min., Kinostart: 5. Februar 2009
Doubt läuft am selben Tag wie The Spirit an, und das augenfällige Problem des Films ist ein ähnliches: John Patrick Shanley, der Autor des Theaterstücks, der auch das Drehbuch schrieb, ist dadurch nicht automatisch als Regisseur prädestiniert. Im Vorfeld warnten mich einige Kollegen vor der Unfähigkeit Shanleys, einen Film zu inszenieren, doch dieses Urteil erscheint mir unangemessen, denn abgesehen von der durchaus dubiosen Entscheidung, in einigen wenigen, aber auffälligen Szene eine verkantete Kamera (à la The Third Man) einzusetzen, und einem ebenfalls auffälligen over-acting der aber allesamt für den Oscar nominierten vier wichtigsten Darsteller macht Shanley seine Sache durchaus gut. Ausgehend vom (mir nicht bekannten) Stück fällt so z. B. auf, dass die etwa 12-13jährigen Schüler allesamt gut gecastet sind (gibt es 14-jährige, die jeden Abend auf der Theaterbühne so eine Performance abliefern können, oder sind die Schüler im Stück etwas älter?) und überzeugen, und Shanley hat sich Mühe gegeben, den Stoff trotz eines eingeschränkten Handlungsortes filmisch abwechslungsreich zu gestalten. Eine im Nachhinein zentrale Szene, bei der ein Close-Up unablässlich ist, muss im Stück irgendwie anders funktionieren, auch gibt es weitere Details, die auf einer Theaterbühne höchstens über die verbale Ebene funktionieren dürften (die Fingernägel, das tanzende Spielzeug, die rübergeschobene Gabel), und manche Szenen sind filmisch sehr gut aufgelöst (das Gespräch zu dritt im Büro der Rektorin), wobei allerdings auch der erfahrene Kameramann Roger Deakins (auch in diesem Jahr wieder für den Oscar nominiert, aber für The Reader) geholfen haben könnte.
Kommen wir ein wenig zur Handlung, um darauf aufbauend weiteres über die Arbeit Shanleys zu erklären. In einem irisch-italienischen Viertel im Jahre 1964 gibt es eine katholische Schule mit angeschlossener Kirche. Die strenge und erzkonservative Schwester Aloysius (Meryl Streep) fungiert als Schuldirektorin, ist aber eigentlich Pater Flynn (Philip Seymour Hoffman) unterstellt, der ihr aus mannigfaltigen Gründen ein Dorn im Auge ist (der Film thematisiert hier vor allem die unwichtigsten Gründe: Flynn hat lange Fingernägel, raucht, nimmt drei Stücke Zucker in seinen Kaffee). Nach einer sorgsamen Beobachtung beauftragt Aloysius die junge, lebensfrohe und naive Schwester James (Amy Adams, die zwar gegen Ende des Films für eine Viertelstunde verschwindet, aber wahrscheinlich genauso viel screen time wie Streep und Hoffman hat, und deshalb nicht wirklich eine Nebenrolle bekleidet, da passt die Oscar-Kategorie “Supporting Actress” ungleich besser), auf etwaige Auffälligkeiten im Verhalten Flynns zu achten. Dies ist Schwester James, die den Pater sehr achtet, das Terrorregime von Schwester Aloysius hingegen nicht befürwortet, eher unangenehm, doch dann sieht sie, wie Donald, der einzige farbige Schüler der Schule, nach einem privaten Gespräch im Büro des Paters, danach sehr seltsam wirkt - und nach Alkohol riecht. Daraus entsteht dann der an Lilian Hellmans The Children’s Hour (die bekannte Verfilmung heißt auf deutsch Infam) und Arthur Millers The Crucible (dt.: Hexenjagd) Konflikt, wobei besonders interessant ist, dass Shanley dieses Thema mit Versatzstücken des Polizeifilms anreichert. Vieles wirkt wie die Untersuchung der bekannten Internal Affairs, wobei Regeln und Vorgesetzte umgangen werden, junge Kollegen auf suspektes Führungspersonal “angesetzt” werden und regelrechte Verhörtaktiken angewendet werden (Jalousien öffnen, um den Verhörten zu blenden, Adams und Streep als good cop / bad cop).
Schon früh im Film hält Pater Flynn eine der gut ausgearbeiteten Predigten, bei der er auf das Titelthema des Zweifels zu sprechen kommt. Hierbei benutzt Shanley eine dezidiert filmische Ausdrucksform, um den Verdachtsmoment von Schwester Aloysius schon früh für den Zuschauer ohne direkten Personen-Bezug à la point of view zu visualisieren. Pater Flynn spricht davon, dass man einem Menschen die Gefühle in seinem Innersten nicht unbedingt ansieht. “Keiner sieht, dass ich krank bin,” - Zwischenschnitt auf einen älteren Kirchenbesucher - “dass ich meinen besten Freund verloren habe,” - Schnitt auf einen anderen aus der Gemeinde - “dass ich etwas falsches gemacht habe ...” - Schnitt auf Pater Flynn. Durch diese Variation des Kuleschow-Experiments wird auch im Zuschauer schon früh der Zweifel gesät, was man als Schwäche der Inszenierung auffassen könnte, doch da die Ambiguität, der Zweifel, praktisch bis zum Ende aufrecht gehalten wird, ist es nur konsequent, das Thema des Films bereits sehr früh einzubringen. So wie Schwester Aloysius in Schwester James den Zweifel sät, so benutzt Shanley ähnlich perfide Mittel, um auch im Zuschauer Zweifel wachzurufen. Und das kann man wohl kaum als Schwäche auslegen, sondern als kongeniale Umsetzung des Themas.