Der Vorleser
(R: Stephen Daldry)
Originaltitel: The Reader, USA /Deutschland 2008, Buch: David Hare, Lit. Vorlage: Bernhard Schlink, Kamera: Chris Menges, Roger Deakins, Schnitt: Claire Simpson, Musik: Nico Muhly, mit Kate Winslet (Hanna Schmitz), David Kross (Young Michael Berg), Ralph Fiennes (Michael Berg), Bruno Ganz (Professor Rohl), Lena Olin (Rose Mather / Ilana Mather), Susanne Lothar (Carla Berg), Matthias Habich (Peter Berg), Jeanette Hain (Brigitte), Hannah Herzsprung (Julia), Karoline Herfurth (Marthe), Burghart Klaußner (Judge), Alexandra Maria Lara (Young Ilana Mather), Vijessna Ferkic (Sophie), Sylvester Groth (Prosecuting Council), Fabian Busch (Hanna’s Defense Council), Volker Bruch (Dieter Spenz), Jürgen Tarrach (Gerhard Bade), Ava Eusepi-Harris (Young Julia), Fritz Roth (Tram Supervisor), Barbara Philipp (Waitress), Margarita Broich (Co-Defendant #1), Marie Gruber (Co-Defendant #2), Lena Lessing (Co-Defendant #3), Merelina Kendall (Co-Defendant #4), Hildegard Schroedter (Co-Defendant #5), 122 Min., Kinostart: 26. Februar 2009
Seit Patrick Süskinds Das Parfum war Bernhard Schlinks Der Vorleser wohl der größte literarische Exportschlager Deutschlands, sowohl ein Bestseller als auch von den Kritikern mit Wohlwollen betrachtet, und trotz einer gewissen Problematik bei einer filmischen Adaption war es nur eine Frage der Zeit, bis auch hieraus eine internationale Filmproduktion mit deutscher Beteiligung wurde, in der übrigens erneut Karoline Herfurth eine diesmal etwas unwichtigere Nebenrolle bekleidet. Stephen Daldry, der zuletzt mit The Hours hochqualitative Literatur auf die Leinwand brachte, stand erneut sein damaliger Drehbuchautor David Hare zur Seite, und auch die Besetzung (Kate Winslet bekam hierfür einen ihrer zwei Golden Globes des Jahres) ist hochwertig, sowohl auf internationaler Ebene (Ralph Fiennes und Lena Olin) als auch, was den deutschen Nachwuchs angeht (David Kross, Hannah Herzsprung, Alexandra Maria Lara etc.). Da bleibt nur noch die Frage, ob auch der Film etwas taugt, und dabei kommen wir zurück zu der gewissen Problematik des Romans, was die Verfilmung betrifft. Denn Der Vorleser spielt in vier Jahrzehnten. Im Film wird die Geschichte damit begonnen, dass im Berlin des Jahres 1995 der offensichtlich wohlhabende Rechtsanwalt Michael Berg (Ralph Fiennes) seine junge und attraktive Bettkollegin der letzten Nacht abspeist, woraufhin sie bemerkt “Does any woman ever stay long enough to find out what goes on in your head?”. Und wenige Einstellungen später gibt es einen relativ eleganten Übergang zum fast 16-jährigen Michael Berg (David Kross), der in einer Strassenbahn in “Neustadt” (ich denke, der Städtename ist zumindest im Film einfach ein Platzhalter) im Jahre 1955 eine Schaffnerin (Kate Winslet) kennenlernt, die sich dann natürlich zu jener (32-jährigen) Frau entwickelt, die an der späteren emotionalen Zurückhaltung des Rechtsanwalt wohl nicht ganz unschuldig ist. Dass sich Hanna Schmitz im Verlauf des Films als Frau mit dunkler Vergangenheit während der NS-Zeit offenbart, dürfte inzwischen vielen bekannt sein, und mehr möchte ich an dieser Stelle auch nicht über die Handlung verraten, außer vielleicht noch die zwei Details, dass der fleißige Schüler Michael im Deutschunterricht folgendes erfährt: “The notion of secrecy is central to Western literature” (außer einem Briefmarkenhändler und dem Schmähruf “Nazihure” ist leider im nahezu komplett in Deutschland spielenden Film in der Originalfassung nichts deutschsprachig), und er Hanna bei den zahlreichen Stelldicheins Werke der Weltliteratur vorliest (u. a. Emilia Galotti, Die Odyssee, Huckleberry Finn, Lady Chatterley, Tim & Struppi, Die Dame mit dem Hündchen), womit dann auch der Titel erklärt wäre.
Kate Winslet spielt ihre Rolle mit aufwendigem Make-Up komplett selbst, aber bei der Rolle des Schülers, der zum Rechtsanwalt wird, bemühte man zwei sich nicht unbedingt ähnliche Darsteller, die jeweils zwei Jahrzehnte absteckten. Während Ralph Fiennes dies mit viel Zurückhaltung einigermaßen hinkriegt, nimmt man David Kross den Zeitsprung nicht unbedingt ab, denn während er im Jahre 1955 den (zumindest sexuell) unbedarften Großäugigen abliefert, den er schon in Knallhart und Krabat kultivierte, wirkt er elf Jahre später (mit Ausnahme einer KZ-Besichtigung, die irgendwie besser funktioniert) immer noch wie ein Milchbubi, und bei dem Umgang mit den beiden “Damenbekanntschaften”, die Michael abgesehen von Hanna in diesen beiden Zeitabschnitten macht, erkennt man auch ganz klar die filmische Verkürzung des Buchstoffs. Nun mag mancher behaupten, das sei unumgänglich, aber im irgendwie verwandten Benjamin Button (mir ist klar, dass dort die Vorlage ungleich kürzer war), gelingt es mithilfe von Tilda Swinton weitaus besser, darzustellen, dass die beiden Hauptfiguren neben der großen on-and-off-Liebe über diverse Jahrzehnte auch noch andere Verhältnisse hatten. Etwas mehr “Sophie” oder “Marthe” hätte The Reader meines Erachtens gutgetan. Nichtsdestotrotz ist The Reader ein überzeugender Film, der sich seines Themas (das übrigens ein anderes ist, als man aufgrund dieses Textes annehmen mag) mit Sorgfalt (trotz meiner Einwände ist auch das Drehbuch gelungen) annimmt.
Und wenn Volker Bruch, Stephen Daldry, Ralph Fiennes, Bruno Ganz, Jeanette Hain, Karoline Herfurth, Hannah Herzsprung, Burghard Klaußner, David Kross, Susanne Lothar, Lena Olin, Jürgen Tarrach und Kate Winslet alle (wie angekündigt) zur Berlinale-Vorführung kommen, dürfte vom roten Teppich nicht mehr viel zu sehen sein.