The Wrestler
(R: Darren Aronofsky)
USA 2008, Buch: Robert Siegel, Kamera: Maryse Alberti, Schnitt: Andy Weisblum, Musik: Jim Black, mit Mickey Rourke (Randy “The Ram” Robinson), Marisa Tomei (Cassidy), Evan Rachel Wood (Stephanie), Mark Margolis (Lenny), Todd Barry (Wayne), Wass Stevens (Nick Volpe), Judah Friedlander (Scott Brumberg), Ernest Miller (The Ayatollah), Dylan Summers (Necro Butcher), Kinostart: 26. Februar 2009
The Real Slumdog:
Mickey Rourke - Millionär der Herzen
Schon bei seiner Rolle als Marv in Sin City hatte man das Gefühl, dass Mickey Rourke die Rolle seines Lebens gefunden hatte, doch bei The Wrestler wurde ihm diese Rolle auch noch auf den Leib geschrieben, wie es in dieser Finesse nur selten passiert. Rourke, der in fast prophetischer Weise sein 1980er-Schönling-Image in Walter Hills Johnny Handsome 1989 auf leise Art karikierte, ruinierte sich sein Gesicht durch eine kurze Karriere als Profiboxer in den Neunzigern, und bekam danach - auch wegen seinem unprofessionellen Gehabe und seiner rebellischen Natur - allenfalls noch Nebenrollen in Filmen. Und dann dieses durch Domino und Sin City vorbereitete Comeback, das auch noch mit einem Golden Globe (aber keinem Oscar) vergoldet wurde.
Auch Randy “The Ram” Robinson hatte seine große Zeit in den Achtzigern, der durch seine lange blonde Mähne und den Kostümstil extrem anachronistisch wirkende ehemalige Wrestling-Star lebt neben Auftritten bei heruntergekommenen Events und ernüchternden Autogrammstunden unter anderen von einem Job als Lagerarbeiter im Supermarkt. Seinen Körper hat er jahrelang malträtiert, neben einem unübersehbaren Hörgerät pumpt er sich vor jedem Kampf mit Steroiden auf, und die Art und Weise, wie der Film die alte (eher rhetorische) Frage danach, ob Wrestling-Kämpfe schon im Vorfeld abgesprochen werden, beantwortet, wird durch weitere Details, wie man seinen Körper vielleicht nicht behandeln sollte (statt Blutkapseln bevorzugt Randy den Einsatz echten Blutes), ausgeschmückt, für zarte Gemüter bietet sich dieser Film vielleicht nicht an.
Doch wie der visionäre Regisseur Darren Aronofsky (Pi, Requiem for a Dream, The Fountain) die quasi-nostalgische Wundästhetik der Rocky-Filme mit einem Sozialdrama à la Dardenne-Brüder kombiniert, das lässt den Gewinn des Goldenen Löwen in Cannes 2008 ganz selbstverständlich erscheinen, und man fragt sich, warum The Wrestler nicht beispielsweise als Film oder für Regie oder Drehbuch ins Oscar-Rennen kam (die Antwort liegt angesichts des Stils des Films auf der Hand), während Ron Howard, einer der langweiligsten Regisseure Hollywoods, erneut mitgeschleppt wurde.
Während der Arzt ihm wegen akuter Herzprobleme weitere Kämpfe untersagt (insofern man einem Wrestler irgendwas “verbieten” kann), fristet Randy sein trauriges Leben mit Fantasien von einem großen Comeback-Kampf gegen seinen alten Erzfeind (und guten Kumpel) “The Ayatollah”. Er setzt sich zum Ziel, mit seiner mittlerweile fast volljährigen Tochter (Evan Rachel Wood), um die er sich ewig nicht gekümmert hat, Frieden zu schließen, er hat sowas ähnliches wie eine Romanze mit der Stripperin (eine etwas euphemistische Bezeichnung) Cassidy (Marisa Tomei nach Before the Devil knows you’re dead erneut mit exhibitionistischer Ader), und lässt seine großen Zeiten Revue passieren, indem er mit Kindern aus der Nachbarschaft seines heruntergekommenen Trailers die altmodischen Videospiele spielt, in denen “The Ram” gegen “The Ayatollah” kämpfte. Er versucht sich sogar als Fleischereifachverkäufer in “seinem” Supermarkt, für einen gewissen Zeitraum scheint ein geordnetes, bürgerliches Leben möglich, doch nach einigen großartigen (und humorvollen) Szenen, wo etwa ein altes Mütterchen mit dem Wunsch nach einem bestimmten Fleischgewicht Randys Geduld auf eine Probe stellt, kommt es zur Eskalation mit unumgänglichen Jobverlust.
Während am fernen Hintergrund das Comeback winkt, scheint der Untergang des Wrestlers vorprogrammiert, und Aronofsky geht den beschwerlichen Gang bis zum Ende, wobei insbesondere die letzte Einstellung des Films (kein Freeze Frame, wie man es erwarten könnte) vom Stilwillen und Talent dieses Regisseurs zeugt. Wie sein Wrestler ist Aronofsky kompromisslos und unerschrocken, und deshalb hofft man sowohl bei Randy als auch bei seinem Regisseur auf ein Happy End, einen Moment im Scheinwerferlicht - und damit meine ich keinen Goldenen Löwen in Venedig, sondern irgendwann einen Regie-Oscar. Ich will jetzt nicht auf Danny Boyle herumreiten, aber der hatte nach vier Filmen seinen Zenit bereits überschritten, von Darren Aronofsky erwarte ich zwar noch einige üble Machwerke, aber zwischendurch auch immer wieder ein Aufblitzen des Genialen, was ich persönlich bei Slumdog Millionaire größtenteils vermisst habe. Aronofsky letzter Film The Fountain war genauso verunglückt wie Boyles Sunshine, aber The Fountain beinhaltete dabei eine Vision, die man Sunshine allenfalls bezüglich einiger grandioser Bilder (ohne inhaltlicher Entsprechung) bescheinigen konnte. Und beim Vergleich von The Wrestler (kein Oscar) mit Slumdog Millionaire (acht Oscars) ist klar, welcher Film eine Geschichte zu erzählen hat, und welcher vor allem bunte Bilder bietet. Mickey Rourke ist ein Underdog, mit dem man trotz diverser Schwächen mitfühlt, die Hauptfigur im laut Academy “besten Film” ist nur ein am Reißbrett entwickelter Märchenheld, der nach der starken ersten Hälfte von Boyles Film schnell an Micky Maus erinnert, während Mickey Rourke etwa Bluto, dem ewigen Gegner des kruden Trickfilm-Popeyes, entspricht. Und wer von diesen beiden ein Underdog ist, muss man wohl nicht lange erklären.