Cinemania 47:
Kinostart April 2007
[Rezension zu Nummer 23 und Shooter von Daniel Walther,
Rest von Thomas Vorwerk]
Beim (etwas verspäteten) Überarbeiten der nachfolgenden Texte fiel mir diesmal vor allem auf, wie stark ich doch in den 1970ern verwurzelt bin. An nicht immer passender Stelle denke ich an Jaws, Soylent Green, Bad News Bears, Dark Star oder Silent Running, und wenn ich mich mal dem Einfluß längst vergangener Filme entziehen kann, weiß ich irgendwas interessantes (oder zumindest kurioses) über Tick, Trick und Track, Daredevil oder die Teletubbies (die gab es in den Siebzigern noch nicht!) zu erzählen. Das sollte ausreichen, um die Neugierde der Leser zu wecken, auch mal was über Filme zu lesen, die nicht so auf ganzer Linie überzeugten.
Freedom Writers (Richard LaGravenese)
USA / Deutschland 2007, Buch: Richard LaGravenese, Lit. Vorlage: Freedom Writers and Erin Gruwell (The Freedom Writers Diary: How a Teacher and 150 Teens Used Writing to Change Themselves and the World Around Them), Kamera: Jim Denault, Schnitt: David Moritz, Musik: Mark Isham, RZA, Casting: Margery Simkin, mit Hilary Swank (Erin Gruwell), Patrick Dempsey (Scott Casey), Scott Glenn (Steve), Imelda Staunton (Margaret Campbell), April Lee Hernandez (Eva), Mario (Andre), Kristin Herrera (Gloria), Jacklyn Ngan (Sindy), Sergio Montalvo (Alejandro), Jason Finn (Marcus), Deance Wyatt (Jamal), Vanetta Smith (Brandy), Gabriel Chavarria (Tito), Hunter Parrish (Ben), Antonio García (Miguel), Pat Carroll (Miep Gies), 120 Min., Kinostart: 5. April 2007
Der Ansatz der jungen idealistischen Lehrerin Erin Gruwell (Hilary Swank) bei ihrem Amtsantritt ist lobenswert. Ursprünglich wollte sie mal Anwältin werden, doch “by the time you defend a kid in a court room, the battle’s already lost. The battle has to be fought here”, also in der Schule. Dummerweise haben die Freshman-Schüler ihrer Klasse von 1994, kurz nach dem bürgerkriegsähnlichen Zustand in LA nach der Ermordung Rodney Kings, ganz andere Sorgen, und stellen erstmal fest “This bitch is weak.”
Bei der zweiten Regiearbeit (nach Living out loud - dt. Wachgeküsst) des angesehenen Drehbuchautors Richard LaGravenes (Terry Gilliams The Fisher King, Barbra Streisands The Mirror has two Faces, Clint Eastwoods The Bridges of Madison County, Robert Redfords The Horse Whisperer) wird für die in einer Paraderolle auftretende zweifache Oscar-Gewinnerin kaum ein Problem ausgelassen. Ihre Schüler mögen sie (zunächst) nicht, eine Kollegin (Imelda Staunton in Topform) macht ihr das Leben schwer, ihre Ehe scheint an ihrem Idealismus und den zusätzlichen Nebenjobs (um den Schülern Bücher zu kaufen) zu zerbrechen, und sogar ihr Vater (Scott Glenn) scheint ihr in den Rücken zu fallen. “What’s happened to him? He was like Atticus Finch to me when I grew up. Now he asks me about salaries …”
Leider funktioniert der Film trotz vieler guter Ideen trotzdem wie am Schnürchen. Die Schüler bekommen das Tagebuch der Anne Frank zu lesen, identifizieren sich mit der Hauptfigur, ohne zu wissen, was ein Holocaust ist, oder wie die Geschichte ausgeht, besuchen ein entsprechendes Museum und lernen schließlich sogar noch eine überlebende Zeitzeugin aus dem Buch persönlich kennen. So wie die zahlreichen Parallelen der Geschichte (die Schüler führen wie Anne Frank ein Journal, ihre Heldin wird wie Rodney King zum Opfer der Regierung) bereits hart zu schlucken sind, ist der härteste Brocken aber wohl LaGravenese (eigentlich lobenswerter) Versuch, Auszüge des publizierten Freedom Writer’s Diary mit ins Drehbuch einfließen zu lassen. Denn wenn die höchstwahrscheinlich über einen längeren Zeitraum geschliffenen Texte einem hier präsentiert werden wie die ersten Schreibversuche von ansonsten wenig am Unterricht interessierten Jugendlichen, so tut sich ein rhetorischer Abgrund auf, denn Sätze wie “Her tears hit me like bullets” tragen nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit der Geschichte bei, die einzig aufgrund ihrer verbürgten Authentizität nicht automatisch als Film funktionieren muss.
Die Zutaten stimmen allesamt (etwa die Darsteller, diverse gute Ideen im Drehbuch und der Inszenierung), aber im Endeffekt wirkt das Ganze dann doch wie ein (wahres) Märchen, das zu geschliffen wirkt, um Zuschauer mit einer gewissen Kinoerfahrung zu überzeugen. Wenn der Film nur als Offenbarung für 16-Jährige gedacht war, so hat er seine Ziele womöglich erreicht - nur hätte man vom Regisseur mehr erwartet.
Little Children (Todd Field)
USA 2006, Buch: Todd Field, Tom Perrotta, Lit. Vorlage: Tom Perrotta, Kamera: Antonio Calvache, Schnitt: Leo Trombetta, Musik: Thomas Newman, mit Kate Winslet Sarah Pierce), Patrick Wilson (Brad Adamson), Jennifer Connelly (Kathy Adamson), Noah Emmerich (Larry Hedges), Jackie Earle Haley (Ronnie J. McGorvey), Gregg Edelman (Richard Pierce), Ty Simpkins (Aaron Adamson), Sadie Goldstein (Lucy Pierce), Phyllis Somerville (May McGorvey), 130 Min., Kinostart: 26. April 2007
Jackie Earle Haley spielte in allen drei Filmen der Serie um die Bad News Bears Ende der 1970er den Kelly Leak, jenen aufmüpfigen motorisierten Knaben, der unser aller Frühpubertäts-Traummädchen Amanda den Kopf verdrehte. Nun wurde der ehemalige Kinderstar revitalisiert, um ausgerechnet einen Pädophilen zu spielen, jemanden, der sich vor kleinen Mädchen entblößte, und dafür zwei Jahre lang im Knast saß. In der Art und Weise, wie diese Filmfigur einerseits übliche Stereotypen nachzeichnet (fettig-strähnige Haare, lebt noch bei der Mutter), aber in seiner Hilflosigkeit dennoch sympathisch wirkt, erinnert er an ähnliche Figuren in den politisch-unkorrekten Filmen von Todd Solondz (Happiness, Palindromes). Doch auch, wenn Todd Field in seiner zweiten Regiearbeit nach In the Bedroom einige Wagnisse eingeht, wirken seine Little Children im Vergleich zum Namensvetter Todd S. reichlich harmlos und hausbacken. Seinerzeit habe ich mal American Beauty als Mainstream-Version von Happiness diskreditiert, Little Children fehlt zudem auch noch die Klasse und Prägnanz jenes Films, der ebenso die Doppelmoral und die sexuellen Abgründe der (US-amerikanischen) Vorstädte anprangert.
So wie sich Kevin Spacey damals jeden Morgen unter der Dusche einen runterholte, interessiert sich Richard Pierce (Gregg Edelman) für Websites von “Slutty Kay” und Konsorten, bestellt sich getragene Slips und lässt sich dummerweise mit einem solchen auf dem Kopf von seiner jüngeren Frau Sarah (Kate Winslet) beim Masturbieren erwischen. Sarah hatte ihre akademische Ausbildung für ein Leben als Hausfrau und Mutter aufgegeben, und beginnt nun eine Affäre mit Brad (Patrick Wilson), den sie auf dem Kinderspielplatz mit seinem Sohn (im gleichen Alter wie Sarahs Tochter) angesprochen hatte, und der ebenfalls eine berufstätige bessere Hälfte hat (Jennifer Connelly als Dokumentarfilmerin), und aus etwas anderen Gründen mit seinem Leben unzufrieden ist und wohl auch seine einstmals angestrebte Karriere im Justizwesen nicht erleben wird. Außerdem gibt es da noch einen ehemaligen Polizisten, der sich nun als Anführer der Bürgerwehr darum kümmert, daß der freigelassene Kinderschreck ordentlich eingeschüchtert wird.
Ziemlich schnell ist klar, daß hier so ziemlich jeder irgendeine Leiche im Keller hat, daß die Doktorspiele der Erwachsenen kritischer sind als die der Kinder, und daß es irgendwann zu einem unschönen Höhepunkt kommen wird, denn die in vielerlei gegen den Strich gebürsteten Protagonisten laufen sich in dem kleinen Örtchen recht häufig über den Weg. Doch während man als Zuschauer zunächst noch darüber sinniert, warum Brad einen so großen Kinderwagen spazierenfährt und seine Frau ein Buch über die Verarbeitung von Trauer liest, ist die Auflösung (die übrigens ganz absichtlich anders als in der Romanvorlage ist) dann doch etwas enttäuschend.
Little Children hat hervorragende Darsteller (Winslet und Haley waren für den Oscar nominiert), viele gute inszenatorische Ideen, eine beunruhigende Atmosphäre und interessante Themen, doch mit Ausnahme der schönen Hommage an Spielbergs Jaws (der Pädophile taucht durchs Schwimmbad, fehlt nur die Musik von John Williams) und die köstliche Szene mit Ronnies Date (Ronnies Mutter: “There, you look handsome. She won't be disappointed.” --- Er: “Yeah, wait till she hears about my criminal record.”) bleibt davon nur sehr wenig im Gedächtnis.
Der Fluch der goldenen Blume (Zhang Yimou)
Originaltitel: Man cheng jin dai huang jin jia, Int. Titel: Curse of the Golden Flower, China 2006, Action-Regie: Tony Ching Siu-Tung, Buch: Zhang Yimou, Wu Nan, Bian Zhihong, Drehbuchberatung: Wang Bin, Kamera: Zhao Xiaoding, Schnitt: Cheng Long, Musik: Shigeru Umebayashi, Ausstattung: Huo Tingxiao, Kostüme: Yee Chung Man, Visuelle Effekte: Frankie Chung Chi Hang, mit Chow Yun Fat (Kaiser), Gong Li (Kaiserin), Liu Ye (Kronprinz Xiang, der älteste Sohn), Jay Chou (Prinz Jie, der mittlere Sohn), Qin Junjie (Prinz Cheng, der jüngste Sohn), Ni Dahong (Hofarzt), Chen Jin (Frau des Arztes), Li Man (Chan, die Tochter des Arztes), 114 Min., Kinostart: 26. April 2007
Zhang Yimou war Ende des letzten Jahrhunderts wohl der in Europa bekannteste und am meisten gefeierte chinesische Regisseur, der mit Filmen wie Rotes Kornfeld, Rote Laterne, Die Geschichte der Qui Ju oder Leben! trotz staatlicher Zensur und Repressalien veritable Filmkunst mit politischen Spitzen hervorbrachte. Dann spielten wohl ein oder zwei Filme nicht soviel ein, wie die ausländischen Förderer forderten und er versuchte sich mit vergleichsweisen Low-Budget-Produktionen wie Heimweg, Keiner weniger oder Happy Times, was auch immer sehenswert war. Dann kam der Erfolg von Ang Lees Crouching Tiger, Hidden Dragon, und Zhang hielt mit Hero noch die Laterne der Multi-Millionen-Dollar-Martial-Arts-Spektakel hoch, legte dann aber den in jeder Hinsicht enttäuschenden House of Flying Daggers nach, weshalb die Erwartungshaltung bei seinem neuen Film erst einmal gespalten ist. Der Fluch der goldenen Blume nimmt (mal wieder) für sich in Anspruch, der teuerste aus China stammende Film aller Zeiten zu sein, und die Besucherzahlen sollen auch ganz tüchtig sein, für Chow Yun-Fat und Gong Li kann man sich ja eigentlich immer mal wieder ins Kino trauen.
Die schauspielerischen Leistungen sind auch durchweg überzeugend, und sogar das Drehbuch zählt diesmal wieder zu den Stärken des Films, ein Vergleich mit einem shakespeareschen Königsdrama ist durchaus angemessen - wäre da nicht das Detail, daß es sich eben nicht um ein Theaterstück handelt, sondern um eine bombastische Multi-Millionen-Dollar-Produktion. Und so wird schon zu Beginn erst mal geprotzt, was das Zeug hält: Teure Gewänder, riesige Bauten, Statistenmeere (und diesmal nicht alle aus dem Computer). War die Farbdramaturgie in Hero ja noch so simpel wie überzeugend, gibt es hier zunächst nur zwei “Farben”: bunt und golden, und das bis an die Schmerzgrenze.
Die Geschichte (über die ich hier nicht zuviel verraten will, denn sie ist mit das interessanteste am Film) dreht sich eigentlich nur um acht Personen: den Kaiser und die Kaiserin, deren drei Söhne, den Hofarzt, dessen Frau, und deren Tochter (das neue “Mou Girl” Li Man, dem womöglich die selbe Karriere bevorsteht wie ihren beiden berühmten, jeweils von Zhang entdeckten Vorgängerinnen Gong Li und Zhang Ziyi). 98% aller Ereignisse des Films spielen sich zwischen diesen Personen ab, wie es sich für so eine Tragödie gehört, wird per Schwertkampf, Gift und Intrige dafür gesorgt, daß ein Großteil des Ensembles im Verlauf des Geschehens ins Gras beißt, aber das war ja bei Shakespeare damals auch nicht anders. Aber vielleicht reicht das heutzutage nicht mehr, ein Millionenpublikum in die Kinos zu ziehen, und deshalb gibt es jede Menge Schauwerte: Ninja-Überfälle, Blumenmeere, CGI-Heere und -last but not least- Frauenbrüste, die aus streng korsettierten Dekolletes herauszuquellen drohen. Dummerweise wirkt diese ganze Mauerschau, die hier zum Zentralaspekt hochgepuscht wird, extrem überflüssig, und belebt nicht den Film, sondern nur sein Farbspektrum, denn nun gibt es schwarz- und weißgewandete Statisten, und gelbe Chrysanthemen, die sich irgendwann blutrot färben. Davon, daß jede Menge für die Geschichte unerhebliche Figuren sich gegenseitig abmurksen. Am großen Schlachtengemälde ist einzig innovativ, daß hier irgendwelche vom Ornament der Masse geschobenen Wände eingesetzt werden wie einst die Caterpillars in Soylent Green. Ob dies ein Kommentar zur chinesischen Überbevölkerung sein soll oder Zhang Yimou nur schon recht früh für die Olympia-Eröffnung nächstes Jahr übt (der Titel der “Leni Riefenstahl des 21. Jahrhunderts” ist ihm bereits sicher), kann man nicht mit Sicherheit sagen, aber meine Reaktion auf die unzähligen plattgewalzten Kriegerleichen fasst eigentlich ganz gut zusammen, wie misslungen ich das gesamte Unterfangen einschätze, denn erstmals wünschte ich mir während eines Filmes eine Lautsprecherdurchsage, die das Filmerlebnis sicher aufgewertet hätte: “Ein Mitarbeiter der Firma Sasse bitte in Kino 8 …”
Sunshine (Danny Boyle)
UK 2007, Buch: Alex Garland, Kamera: Alwin H. Küchler, Schnitt: Chris Gill, Musik: Karl Hyde, John Murphy, Rick Smith, Production Design: Mark Tildesley, Art Direction: Gary Freeman, Stephen Morahan, Denis Schnegg, David Warren, mit Cillian Murphy (Capa), Chris Evans (Mace), Michelle Yeoh (Corazon), Rose Byrne (Cassie), Cliff Curtis (Searle), Hiroyuki Sanada (Kaneda), Troy Garity (Harvey), Benedict Wong (Trey), Mark Strong (Pinbacker), ca. 100 Min., Kinostart: 19. April 2007
Danny Boyle, einstige internationale Regiehoffnung (Trainspotting), und Romanautor Alex Garland (The Tesseract, The Coma) scheinen einen Narren aneinander gefressen zu haben. Nach Boyles Adaption von Garlands Roman The Beach verwirklichten sie zusammen 28 Days Later, und haben sich dessen Hauptdarsteller Cillian Murphy nun auch für ihr neues Projekt zurückgeholt. Der Film mit dem optimistisch klingenden Titel Sunshine ist ein Science-Fiction-Reißer, der nicht immer reisst, dafür aber dank Kameramann Alwin H. Küchler (The Claim) die wohl schönsten Bilder präsentiert, die man seit Soderberghs Solaris (bei dem die Oberfläche auch wichtiger war als der Kern) in einem Science-Fiction-Film zu sehen bekommen hat. Nein, das nehme ich zurück, Sunshine ist noch viel schöner als Solaris, die Faszination, die die nahe Sonne auf einige der Astronauten ausübt, kann man als Zuschauer voll nachvollziehen.
Die Geschichte selbst ist nichts Neues: Die Sonne ist kurz vorm Erlöschen, acht Astronauten sollen nahe der Sonne einen neuen Stern kreieren, das Schiff der früheren Expedition Icarus I taucht auf und schickt ein Notsignal, aus unterschiedlichen Gründen wird sich die Anzahl der Astronauten (und die Menge des verbleibenden Sauerstoffs) langsam, aber stetig verringern. Trotz eines überschaubaren und multi-ethnischen Ensembles dauert es ein bißchen, bis man die Rollen der einzelnen Astronauten unterscheiden kann, eine wirkliche Verbundenheit mit den Figuren stellt sich nur in den wenigsten Fällen ein, und insbesondere in der zweiten Hälfte des Films scheinen die Filmemacher zu sehr damit beschäftigt, eine Spannung aufrecht zu erhalten, und stürzen den Zuschauer in ein Meer aus halb- oder nicht erklärten Unstimmigkeiten.
Dabei scheint die Besatzung nach Star Trek-Gesichtspunkten ausgewählt (“Das muß der Physiker entscheiden”), bei der Innenarchitektur des Raumschiffs waren außerdem 2001 und Alien Inspirationen, und der Sauerstoff-Garten ist aus Silent Running geklaut. Doch selbst die Suche nach Vorbildern kann den Genre-Fan kaum bei Stange halten (eine seltsame Kreatur namens “Pinbacker” erinnert natürlich schon vom Namen her an Carpenters Dark Star), denn ungeachtet der womöglich guten Absichten der beiden Schöpfer ist das Ganze ein wild zusammengepfuschtes Süppchen, das auch noch wie bereits einmal aufgewärmt wirkt. Hoffen wir, daß ein gehöriges Umsatzminus Boyles nächste Regiearbeit wieder etwas auf den Boden der Tatsachen und zurück zu seinen kreativen Energien bringt.
Nummer 23 (Joel Schumacher)
Originaltitel: The Number 23, USA 2007, Buch: Fernley Phillips, Kamera: Matthew Libatique, Schnitt: Mark Stevens, Musik: Harry Gregson-Williams, mit Jim Carrey (Walter Sparrow / Detective Fingerling), Virginia Madsen (Agatha Sparrow / Fabrizia), Logan Lerman (Robin Sparrow / Fingerling als Junge), Danny Huston (Dr. Isaac French / Dr. Miles Phoenix), Kinostart: 22. März 2007
[Rezension von Daniel Walther]
Es dauerte ein bisschen, bis ich über den numerischen Umweg über 300 endlich bei The Number 23 gelandet bin. In dem neuen Film von “Disco Batman” Schumacher ist die Hauptfigur Walter Sparrow (Jim Carrey) von der Zahl 23 besessen und verliert durch sie völlig die Kontrolle über sein Leben. Der Auslöser seiner wachsenden Besessenheit ist ein Buch, welches er von seiner Frau zum Geburtstag geschenkt bekommt. Nachdem er auch eine Warnung am Beginn des Buches ausschlägt, welche ihn deutlich darauf hinweist bei Ähnlichkeiten zwischen den Romanfiguren mit Lebenden oder Toten nicht weiterzulesen, nimmt das Unheil seinen Lauf.
In dem Buch erzählt die Hauptfigur Detective Fingerling (ebenfalls Jim Carrey), wie er durch einen seltsamen Mordfall auf die “Mächte” der 23 trifft und ihn ein regelrechter Virus ergreift. Der 23-Virus befällt Walter beim Lesen und seine Obsession wird enorm gesteigert durch viele Gemeinsamkeiten zwischen Fingerlings und Walters Leben. Da wäre beispielsweise der Name Fingerling, welcher von einer Figur aus einem Kinderbuch stammt, welches Walter ebenfalls als Kind gelesen hat und im Verlauf des Films auf dem Dachboden auskramt. So dauert es nicht lange bis Walter nahezu überall auf die 23 stößt und immer unzugänglicher und beängstigender wird, worunter vor allem seine Frau Agatha (Virgina Madsen) und sein Sohn Robin (Logan Lerman) leiden. In dem Buch treibt der Wahnsinn mit der 23 Fingerling zu der Erkenntnis, einen Mord begehen zu müssen, und da Walter sich das Buch so zu Herzen nimmt ist auch er sich bald nicht mehr sicher, ob er nicht auch dazu verdammt ist.
Die auserwählte Ermordete ist im Buch die untreue Freundin Fabrizia (wiederum Virginia Madsen), welche sich ähnlich wie ihr Name auf der Zunge durch den Film schlängelt. In alptraumhaften Halluzinationen sieht Walter nicht nur, daß er seine Frau tötet, auch sein Freund, der Psychologe Isaac French (Danny Huston), taucht in ihnen auf. Im Buch ist Fabrizias Liebhaber Dr. Miles Phoenix (erneut Danny Huston) und so beginnt Walter, auch zu vermuten, daß Agatha und Isaac eine Affäre haben, was aber lediglich daran liegt, daß Agatha sich um Walter sorgt und Isaac als Psychologen öfter aufsucht um ihm zu helfen.
Irgendwann beginnt Walter natürlich nach dem Autor des Buches zu suchen und findet ihn auch und kommt somit letztendlich auf die Spur, welche ihn zu den Antworten auf seine Fragen führt.
Nun ist ja das Spiel mit dem Phänomen 23 eines der beliebteren und so versucht Drehbuchautor Fernley Phillips diese Begeisterung für die unwahrscheinlichen wahrscheinlichen Zufälle mit der 23 zu entfachen und liefert dafür auch quasi zum Einstieg ein paar Fakten:
- Jedes Elternteil gibt mit dem Erbmaterial 23 Chromosomen an sein Kind weiter
- Shakespeare ist am 23. April geboren und gestorben
- Beim Mensch bestimmt das 23. Chromosom das Geschlecht
Und zum Schluss noch meine zwei Lieblinge von den 23 Beispielen aus dem Presseheft für die “Allgegenwart” der Zahl 23:
- Kurt Cobain kam 1967 zur Welt: 1+9+6+7 = 23
- Kurt Cobain starb 1994: 1+9+9+4 = 23
Interessant ist natürlich in diesem Zusammenhang auch die zufällige Entwicklung mit der Pressevorführung. Bei der 3. angesetzten PV wurde der Film endlich gezeigt, also nachdem ich 2 mal umsonst für The Number 23 halb Berlin durchquert habe. Also: deutlich zu erkennen, daß ein Entrinnen nicht möglich ist.
Das Spiel mit der Zahl versuchen Schumacher bzw. Phillips offensichtlich für ihren Thriller zu nutzen, um damit eine mysthische und beängstigende Ausgangslage für den steigenden Wahnsinn der Hauptfigur zu schaffen. So wird eine düstere Stimmung aufgebaut und diese entlädt sich dann in der Buchebene mit harten schnellen Schnitten, einer wackeligen Kamera und so wirkt die gezeigte Welt des Buches härter und gnadenloser. Passend dazu geben die Darsteller aus der realen Ebene ihre bösen verruchten Zwillinge im Buch und wirken dabei sehr kitschig, was vielleicht im Ansatz beabsichtigt war, aber hier übertrieben wird. Überhaupt wirkten die Schauspieler in ihren Rollen nicht wirklich so glaubwürdig, daß es mir möglich gewesen, wäre ihnen die jeweilige Rolle abzukaufen. Das gilt ebenfalls für Jim Carrey, dem ja eigentlich meine Symphatien gehören, doch auch er wirkt angestrengt und scheitert die meiste Zeit daran, mir das Gefühl zu geben, Ehemann und ein Vater eines Teenagers sein zu können, zumindest am Anfang und auch mit dem Besessenen hapert es ein wenig.
Natürlich verfolgt man die Informationssuche und die Wendung am Ende interessiert, denn dazu weiß Schumacher auch einfach zu genau wie man Basis-Unterhaltung schafft, aber wirklich mitreißen kann er nicht, dazu wirkt vieles auch einfach zu abgedroschen - außer vielleicht bei dem Schluss, wo er mich mit der Entscheidung von Walter doch etwas überrascht.
Solide ist das Wort, welches wahrscheinlich am ehesten The Number 23 beschreibt.
Shooter (Antoine Fuqua)
USA / Kanada 2007, Buch: Jonathan Lemkin, Lit. Vorlage: Stephen Hunter, Kamera: Peter Menzies Jr., Schnitt: Conrad Buff IV, Eric A. Sears, Musik: Mark Mancina, mit Mark Wahlberg (Bob Lee Swagger), Michael Peña (Nick Memphis), Danny Glover (Colonel Isaac Johnson), Kate Mara (Sarah Fenn), Elias Koteas (Jack Payne), Rhona Mitra (Alourdes Galindo), Ned Beatty (Senator Charles F. Meachum), 124 Min., Kinostart: 19. April 2007
[Rezension von Daniel Walther]
Wie verhält sich ein Mann, der von dem, woran er geglaubt hat, verraten wird? Seine Antwort auf diese Frage gibt uns Antoine Fuqua in seinem neuesten Film Shooter mit Mark Wahlberg in der Rolle des ehemaligen Scharfschützen Bob Lee Swagger, der sich in die Rolle des Opferlamms gedrängt findet, als er seinem Land einem Dienst erweisen möchte.
Der Film führt uns zu Beginn nach Äthiopien, wo wir ein Scharfschützen-Team im Einsatz gegen irgendwelche Warlords sehen. Einer der beiden ist Bob Lee Swagger, die einsame kampfstarke Hauptfigur des Films. Als der Einsatz misslingt, werden die beiden von ihrer Einheit im Stich gelassen, und bei dem anschließenden Versuch, zu überleben und zu entkommen, erwischt es den Kumpel. Nur mit viel Mühe überlebt Swagger. Tief enttäuscht zieht er sich daraufhin in die Berge und die Einsamkeit zurück, wo er mit seinem talentierten Hund die Natur und Ruhe genießt.
Das Ganze verpackt Fuqua in pompöse Naturaufnahmen: Swagger, mit seinem treuen Begleiter neben ihm, vor einem riesigen Bergpanorama stehend und versunken in die Ferne blickend. Passend dazu, daß Swagger jetzt eremitenartig lebt, hat er sich einen Bart und lange Haare wachsen lassen und sieht jetzt etwa aus wie Robert De Niro in The Deer Hunter.
Eines Tages taucht dann Colonel Johnson (Danny Glover) bei Swagger auf und bittet ihn um Hilfe, denn es soll Informationen geben, nach denen jemand einen Anschlag auf den Präsidenten plant. Natürlich lehnt der unter geschwächtem Patriotismus leidende erst mal ab, aber da er nun mal der Experte ist, soll er als Berater helfen, der die Sicherheitslage an den Orten, an denen der Präsident auftritt, überprüft und dort potentiell günstige Positionen zum Schießen ausmacht. Nachdem er sich zunächst ziert, ist Swagger natürlich doch bereit, seine amerikanische Pflicht zu erfüllen. Dafür werden die Haare und der Bart geschnitten bzw. abrasiert und der Holzfäller-Look wird abgelegt.
Selbstverständlich kommt es zu einem Attentat, bei dem allerdings der Präsident gerade noch gerettet werden kann und stattdessen ein Bischof stirbt. Bei dem Versuch, das zu verhindern wird Swagger plötzlich angeschossen und wird vom Jäger zum Gejagten. Verwirrt und verletzt läuft Swagger auf seiner Flucht einem vertrottelten FBI Agenten (Michael Peña aus World Trade Center) über dem Weg, dem er mit Leichtigkeit die Waffe abnimmt und noch kurz mitteilt, daß er nicht der Täter ist, bevor er weiterhastet. Der FBI-Mann bleibt mit Zweifeln über die Schuld Swaggers zurück und wird im weiteren Verlauf sein Helfer. Schnell ist Swagger klar, daß er in eine Falle getappt ist. Gesucht und verletzt, erinnert er sich an die ehemalige Freundin seines gestorbenen Soldatenkumpels, welche als Krankenschwester ausgebildet ist, und sucht bei ihr Zuflucht. Natürlich hilft sie ihm, und ganz schnuckelig sieht sie auch noch aus (Kate Mara, die Alma jr. aus Brokeback Mountain). So begeben sich die beiden im weiteren Verlauf des Films auf die Suche nach den Verantwortlichen im Hintergrund, um seine Unschuld zu beweisen. Das ist selbstverständlich etwas schwer, wenn man der meistgesuchte Mann in Amerika ist, aber als eine Ein-Mann-Armee mit der feinsten militärischen Ausbildung kriegt man auch das hin. Swagger und die Frau verlieben sich ineinander und so kommt es mit der Geliebten als Geisel auf dem Gipfel eines schneebedeckten Berges zum Showdown.
Wie schon in Training Day baut der Spannungsaufbau auf der Unwissenheit der Hauptfigur auf, die als Opfer in die Falle tappt und sich dann zu befreien versucht und auch noch ihre Unschuld beweisen muß. Zwar ist das Opfer hier kein Frischling wie in Training Day, sondern ein enttäuschter Elite-Soldat, trotzdem besteht eine weitere Parallele zwischen den Ausgangslagen darin, daß beide von etwas enttäuscht werden, an das sie glaub(t)en. Swagger möchte, nachdem er bereits einmal enttäuscht wurde, anscheinend an ein ehrliches demokratisch geführtes Amerika oder so ähnlich glauben und wird erneut zum Narren gehalten. Leider gelingt es dem Film sehr selten, so etwas wie Spannung zu erzeugen, denn vieles ist abgedroschen und somit vorhersehbar.
Sicherlich kommentiert und kritisiert Fuqui auch mit Hinblick auf die Stimmung innerhalb der USA und der Entwicklung im Irak, die immer deutlicher werdenden Machenschaften der neo-konservativen Bush-Regierung. Zuletzt wurden auf der Berlinale bereits in Paul Schraders The Walker diese Machenschaften thematisiert und witzigerweise spielt Ned Beatty auch in beiden Filmen den bösen macht- und geldgierigen Senator.
Die Darsteller geben eine solide Vorstellung, wobei man festhalten kann, daß Mark Wahlberg die Rolle der relativ monoton dreinblickenden Kampfmaschine vom Schlag eines John Rambo ganz gut zu liegen scheint. Ein Grundproblem des Films besteht darin, daß er die gängigen Klischees und dramaturgischen Kniffe bekannter Verschwörungsfilme nur aufgreift, ohne dabei etwas Innovatives (oder zumindest Spannendes) hinzuzufügen, weshalb der Streifen dann auch im Mittelmaß versinkt. Wurde in Training Day noch Spannung erzeugt durch die anfängliche Ohnmacht gegenüber der Situation und das Überwinden dieser durch die Hauptfigur, gelingt das hier bestenfalls nur für ein paar Momente wie z. B. am Anfang des Films oder bei der Flucht des angeschossenen Swaggers nach dem Attentat. Natürlich strotzt der Film vor Spezial-Gewehren und dem dazugehörigen Vokabular, was dem Ganzen womöglich einen Hauch von Wissenschaft und Authentizität geben soll, aber auch schnell in einen Werbefilm für die Waffenindustrie abdriftet. Bringt aber letztlich einfach keine Spannung und Bob Lee Swagger wird dadurch zwar klar zum absoluten Experten im Erschießen von Leuten auf weite Entfernung, aber das war’s dann auch. Reines Mittelmaß, für das sich wohl allenfalls Fans von Mark Wahlberg oder Danny „Ich bin zu alt für diesen Scheiß“ Glover erwärmen können.
Lieben und Lassen (Susannah Grant)
Originaltitel: Catch and Release, USA 2006, Buch: Susannah Grant, Kamera: John Lindley, Schnitt: Anne V. Coates, Musik: BT, Tommy Stinson, mit Jennifer Garner (Gray Wheeler), Timothy Olyphant (Fritz), Sam Jaeger (Dennis), Kevin Smith (Sam), Juliette Lewis (Maureen), Joshua Friesen (Mattie), Fiona Shaw (Mrs. Douglas), Tina Lifford (Eve), Georgia Craig (Persephone), 124 Min., Kinostart: 26. April 2007
Beim Besuch dieses Films geschah etwas Seltsames: Auf der Presseeinladung war der Name des Regisseurs nicht angegeben, und ich hatte mich ausnahmsweise auch nicht darum gekümmert, wie er lautete. Da es nun bösartigerweise aber auch keine herkömmlichen Credits zu Beginn des Films gab, sinnierte ich mehrfach darüber nach, ob es womöglich um eine neue Regiearbeit des als Darsteller präsenten Kevin Smith handeln könnte, denn auch in dessen Jersey Girl wurde ja eine ganz ähnliche Geschichte erzählt. Damals ging es um Ben Affleck, dessen Filmbraut Jennifer Lopez früh im Film verstarb (für den Zuschauer eine kleine Gnade), und der dann mit einer Tochter im Schlepptau auf Liv Tyler stieß. In Catch and Release geht es um Gray (sprechender Name!) Wheeler (Jennifer Garner, über ihre Rolle in Daredevil auch indirekt zum Smith / Affleck-Dunstkreis gehörig), dessen Verlobter Grady frühzeitig verstirbt. In einer kleinen Hamlet-Umkehrung sind es hier nicht “the funeral bak’d meats”, die “coldly furnish forth the marriage tables”, sondern das Blumen-Bouquet zur Hochzeit, das fälschlicherweise bei der Beerdigung angeliefert wird. Für Kevin Smith fast eine Spur zu subtil, aber man erinnert sich ja, welchen Spaß er mit dem Thema Beerdigung in seinen Frühwerken hatte.
Nun ja, ich will mein Rätselspiel nicht weitertreiben, vor allem, weil ja der Leser des Namens der Regisseurin längst angesichtig wurde. Susannah Grant ist die oscargekrönte Drehbuchautorin von Erin Brockovich, aus deren Feder auch In her Shoes und 28 Days stammen, und die ferner an den Büchern von Charlotte’s Web, Ever After und Pocahontas mitarbeitete. Als Regisseurin hatte sie Ende der 1990er immerhin Erfahrungen bei der Fernsehserie Party of Five gesammelt. Nun war ich zum Zeitpunkt, als ich noch überlegte, ob Smith der Regisseur sein könnte, keineswegs voll des Lobes für die Regieleistung oder auch das Drehbuch, doch nach der Information, daß hier eine auf Frauenthemen abonnierte Autorin sich mit einigen Erfolgen ihr Spielfilmregiedebüt verdient hatte (ich muß an dieser Stelle an Norah Ephron und Nancy Myers -schudder!- denken), wurde der Film in Nachhinein dadurch auch nicht besser. Nicht nur der Dänenprinz ist der Meinung, daß das Ableben eines Lebenspartners kaum ein Ansporn sein sollte, sich umgehend “was neues” zu suchen, ungeachtet der plot twists um eine frühere Liebschaft (Juliette Lewis) des verstorbenen Verlobten und deren Sohn entspricht der “nette junge Mann” aus Grays Freundeskreis (Timothy Oliphant als “Mr. Yummy”) einfach zu sehr den üblichen Hollywood-Klischees, um irgendeine Spannung aufzubauen. Wie schon der deutsche Verleihtitel Lieben und lassen sehr gut demonstriert, handelt es sich hier um einen Frauenfilm von jener Kajüte, bei der bereits im (zumindest deutschen) Titel Worte wie “Liebe”, “Herz” oder “Hochzeit” vorkommen müssen, derart dem Pawlowschen Hund verwandt erachtet man das Zielpublikum. (Passendes Beispiel: Frau mit Hund sucht Mann mit Herz).
Was gibt es noch zu sagen über diesen Film? Der Titel Catch and Release stammt natürlich aus der Anglersprache und erinnert nicht von irgendwoher an Titel wie Ein Goldfisch an der Angel oder Wie angelt man sich einen Millionär?
Da ist es irgendwie vielsagend, wenn mal erwähnt wird: “Catch and release is torture on the fish”. (An dieser Stelle mag der Leser über die vielfachen Konnotationen und Analogismen sinnieren.) Für den Zuschauer ist der Film vor allem deshalb keine wirkliche “Tortur”, weil Kevin Smith zwar weder Autor noch Regisseur ist, aber als Darsteller (mit schäbigem Bademantel und Bier in der Hand der Gegenentwurf zu den Schönlings-Anglern in A River runs through it) seit langem mal wieder so witzig ist wie in seinen Anfangszeiten, und somit ein Labsal während des ansonsten eher drögen Streifen. Seine Filmverbindung mit Juliette Lewis ist aus meiner Sicht auch klar das überzeugendere Happy End. Trotz des penetrant süßen Bengels, der immerhin aus Smith einen Satz lockt, der wahrscheinlich nicht im Originaldrehbuch stand: “The force is strong in this one.”
The Reaping - Die Boten der Apokalypse (Stephen Hopkins)
Originaltitel: The Reaping, USA 2007, Buch: Carey W. Hayes, Chad Hayes, Kamera: Peter Levy, Schnitt: Colby Parker, jr., Musik: John Frizzell, mit Hilary Swank (Katherine Winter), Idris Elba (Ben), David Morrissey (Doug), AnnaSophia Robb (Loren McConnell), Stephen Rea (Father Costigan), John McConnell (Mayor Brooks), William Ragsdale (Sheriff Cade), Andrea Frankle (Maddie McConnell), 97 Min., Kinostart: 19. April 2007
Wenn Erfolgsregisseur Joel Silver (Die Hard, Lethal Weapon, The Matrix) sich damit brüstet, daß das neueste Werk seiner Horrorschmiede Dark Castle (Haunted House, Gothika, House of Wax) “viel komplexer und vielschichtiger als die üblichen Thriller mit übernatürlichen Phänomenen” sei, muß das noch nicht viel bedeuten. The Reaping beginnt mit einer Sequenz, die schon mal so blödsinnig ist, wie man es aus solchen Filmen gewohnt ist. Father Costigan erwacht des Nachts, um festzu-stellen, daß bei einer gerahmten Fotografie, die in seinem Schlafzimmer steht, der Kopf einer Frau (die ein kleines Mädchen neben sich stehen hat) plötzlich weggebrannt ist. Man sieht noch die CGI-Flammen im dunklen Raum. Man ahnt natürlich gleich, daß die Frau zuvor das Gesicht von Hilary Swank hatte, und diese sich somit irgendwie in Gefahr befinden könnte. Doch der schlaue Geistliche (Stephen Rea) kramt noch diverse andere Fotos von Katherine Winter heraus, bei denen jeweils (und das offenbar erst seit neuestem) das Gesicht herausgebrannt ist. Und es gelingt ihm sogar, die Brandspuren auf den Fotos so zu arrangieren, daß sich in etwa nebenstehendes Bild ergibt.
Daß man aus denselben Fotos wahrscheinlich 23 andere Botschaften hätte basteln können, ist an dieser Stelle unwichtig, denn es gilt, ein Rätsel zu initiieren, das den Erfolg von Remake, Sequels und Prequels von Satanskult-Filmen wie The Exorcist oder The Omen verbindet mit einer X-Files-Version des Da Vinci Codes. Statt der sieben Todsünden in Seven (an den man sich spätestens beim Abspann erinnert) geht es diesmal um die zehn biblischen Plagen, die mal Ägypten heimgesucht haben sollen. Anders als in meiner Bibel (2. Buch Mose) gehören im Film zu diesen Plagen auch Läuse und Feuer, das vom Himmel fällt - dafür hat man halt die thematisch ähnlichen Stechmücken (Plage 3) und Stechfliegen (Plage 4) zusammengefasst und auf den Hagel (Plage 7), der immerhin mal erwähnt wird, verzichtet.
Während die einstige Pastorin Katherine, die nach Verlust von Mann und Tochter im Sudan Gott abgeschworen hat und nunmehr als Professorin bereits für 48 vermeintliche “Wunder” 48 wissenschaftliche Erklärungen gefunden hat, noch damit beschäftigt ist, das blutrot gefärbte Wasser zu analysieren oder die vom Himmel gefallenen Frösche (ungeachtet der bekannten Szene aus Magnolia fallen die Frösche in meiner Bibel auch nicht vom Himmel, sondern nur über Ägypten her), ahnt der Zuschauer natürlich, daß sich diesmal nicht alles erklären lassen wird, und ein folgender Kniff des Drehbuchs ist auch vielversprechend: Ex-Mutter Katherine ließ sich auf den blutroten Fluß in Louisiana überhaupt erst ein, als der attraktive Auftraggeber Doug ihr erzählte, daß die gottesfürchtige Gemeinde als Sündenbock womöglich ein kleines Mädchen (AnnaSophia Robb, die kaugummibesessene Violet Beauregard aus Charlie and the Chocolate Factory) töten würde. Diese will Katherine zunächst beschützen, doch dann taucht die umgekehrte Sichel an vielen Stellen auf (mein Verdacht ist, daß auch das “O” der “Church of Haven” so eine Sichel sein könnte …), und es sieht ganz so aus, als sei Katherine die einzige, die die “Tochter des Satans” (pubertätstechnisch Carrie nachempfunden) zu töten vermag (um damit die Erde zu retten), was man ja ähnlich auch aus der Bibel kennt.
Aber für jede gute Idee des Drehbuchs (das immerhin von den House of Wax-Zwillingen stammt) kommt jede Menge Mumpitz, ein inszenatorischer Overkill und mehr Logik-Löcher als in manchen Bibelkapiteln. Ziemlich ärgerlich ist beispielsweise der andauernde Einsatz von Visionen, Halluzinationen und Träumen, die mehr verwirren als klären, und bei denen dann etwa die traumatischen Erlebnisse im Sudan nacherzählt werden, woraufhin Katherine ganz wie in Pet Semetary nach dem Traum tatsächlich sandige Füsse hat, als sei sie schlafwandelnder Weise mal eben in ein Flugzeug nach Afrika gestiegen. Was für ein Schmarrn, der dann nur dazu benutzt würd, eine spätere Überraschung etwas plausibler erscheinen zu lassen. Trotz einiger netter Ideen und einem der putzigsten Dialoge, die ich lange Zeit gehört habe (“You’re here for my baby girl. Do you want to kill her?” --- “What? NO!” --- “Why not?”), ist The Reaping ein ziemlich überflüssiges Filmchen, bei dem auch die zweifache Oscargewinnerin nichts rausreißen kann, und die einzige Seelenernte des Films bezieht sich auf die Geschichte des Horrorfilms, man hat so ziemlich alles geklaut, was es zu klauen gab, doch das Produkt der flinken Leichenfledderei bleibt dennoch seelenlos.
Vollidiot (Tobi Baumann)
Deutschland 2007, Buch: Tommy Jaud, Christian Zübert, Lit. Vorlage: Tommy Jaud, Kamera: Jo Heim, Schnitt: Martin Wolf, Musik: Stefan & Cecil Remmler, Titelsong: Nena, Stefan Remmler und Oliver Pocher, mit Oliver Pocher (Simon Peters), Oliver Fleischer (Flik), Tanja Wenzel (Paula), Anke Engelke (Heidrun Köster, die "Eule"), Ellenie Salvo González (Marcia P. Garcia), Tomas Sinclair Spencer (Steve), Herbert Feuerstein (Kleiner Mann), Daniela Preuß (Daniela), Jana Pallaske (Petra), Julia Stinshoff (Katja), Hilmi Sözer (Einsatzleiter), Tommy Jaud (Stefan, der andere), Heinrich Schafmeister, Cecilia Kunz u.v.a., 102 Min., Kinostart: 12. April 2007
Für die neuere deutsche "Popliteratur" habe ich mich nie sonderlich interessiert, nur mit Stuckrad-Barres Soloalbum habe ich mal meine Lebenszeit verpulvert. Der Plot von Tommy Jauds Bestseller-Roman Vollidiot klingt ganz ähnlich, und erinnert mich auch an Liegen lernen, wo ich allerdings auch wieder nur die Verfilmung kenne: Endzwanziger wurde von Freundin verlassen und versucht, etwas Neues zu finden. Das Ganze wird nicht besser dadurch, daß die Titelfigur der Verfilmung mit Oliver Pocher kongenial besetzt wurde, und man zusätzlich zu Drehbuch-Co-Autor Jaud nahezu den ganzen Stab der Fernseh-Comedy Ladykracher versammelte, und Regisseur Tobi Baumann (Der Wixxer) neben der Hui Buh-Schönheit Ellenie Salvo González (die hier eine weniger schöne Seite zeigt) vor allem TV-C-Prominenz wie Oliver Fleischer (Pastewka), Tanja Wenzel (Verbotene Liebe) oder Herbert Feuerstein verpflichtet hat. Und natürlich Anke Engelke, die mal wieder die "Eule" gibt.
Ganz auf seinen Hauptdarsteller zugeschnitten, hat man das zweifelhafte Vergnügen, für 90% der screen time Oliver Pocher betrachten zu dürfen, für den der Schritt vom "Moderator" zum "Schauspieler" nur ein kleiner war, und der auf der der großen Leinwand ähnliches Talent zeigt wie bei der Elektro-Verkaufshaus-Reklame, die aus ungeklärten Gründen im Film mehrfach direkt und indirekt zitiert wird. Auch wie hier Telekom und Starbucks marginal verfremdet werden, soll wohl dem typischen Pocher-Fan das Gefühl vermitteln, endlich auch mal eine Anspielung verstanden zu haben, und bei der Auffassung der Filmemacher vom Medium (erschreckend, was man in den Pressematerialien lesen kann) muß man schon dankbar sein, daß weitgehend auf "Sperma-Pipi-Kacka-Gags" (O-Ton Pocher) verzichtet wird, und man stattdessen "einen sehr guten Wortwitz" pflegt (wie ja auch schon diese Auszüge aus dem Interview beweisen). Das bedeutet dann konkret, daß Pocher in seiner Lieblingsdisco Frauen anbaggert ("Ich wohne gleich um die Ecke"), während auf seinem T-Shirt die Aufschrift "Ficken" blinkt und sein Primärziel verrät. Bei solchen Scherzen, die wohl noch am ehesten auf die Buchvorlage verweisen, wird ohne Rücksicht auf überflüssigen Realismus jeder Sparwitz direkt visuell umgesetzt, Rolltreppen bleiben stehen, Pocher findet sich in angetrunkenem Zustand plötzlich auf einem Bus wieder oder bei der Kundenberatung im Handyladen wird die überflüssige Kamera halt mit Gewalt "ausgebaut" - ohne daß bei irgendeiner dieser Szenen (abgesehen von einer gänzlich misslungenen Traumsequenz) auch nur angedeutet wird, daß es sich hier um eine Vision oder Metapher handeln könnte - was das Zielpublikum überfordern könnte, wenn die Aufmerksamkeitsspanne weiter als von einem Flachwitz zum nächsten reichen würde.
Pocher fasst das Problem seiner Filmfigur (und des Films) zusammen: Entweder traut er sich nicht, eine anzusprechen, weil er noch nicht besoffen genug ist - oder er ist zu besoffen und "labert nur noch Scheiße". Und irgendwo dazwischen gibt es ein sehr kurzes Zeitfenster, das aber in einem Film von 102 Minuten Länge kaum auffällt.
TMNT - Teenage Mutant Ninja Turtles (Kevin Munroe)
USA / Hong Kong 2007, Regie-Assistenz: Tom Tanaka, Buch: Kevin Munroe, Comic-Vorlage: Kevin Eastman, Peter Laird, Schnitt: John Damien Ryan, Musik: Klaus Badelt, mit den Original- / deutschen Stimmen von: James Arnold Taylor / Simon Jäger (Leonardo), Nolan North / Michael Iwanek (Raphael / Nightwatcher), Mikey Nelly / Frank Schaff (Michelangelo), Mitchell Whitfield / Bernhard Vögler (Donatello), Mako / Karl-Heinz Oppel (Master Splinter), Sarah Michelle Gellar / Nana Spier (April O'Neal), Chris Evans / Marcel Collé (Casey Jones), Patrick Stewart / Bernhard Vögler (Max Winters), Zhang Ziyi / Maria Koschny (Karai), Kevin Michael Richardson / Jan Spitzer (General Aguila), Laurence Fishburne / Leon Boden (Erzähler), Kevin Smith / ?? (Diner), 87 Min., Kinostart: 12. April 2007
Auch die Comicverfilmung, die in der zweiten Aprilwoche anläuft, ist stark von Frank Miller beeinflusst. Wer Ronin, Daredevil oder die Wolverine-Miniserie kennt, die Miller einst zeichnete, braucht niemals die relativ straight erzählte Parodie, die Teenage Mutant Ninja Turtles von Kevin Eastman und Peter Laird, die sich zu einem veritablen Independent-Phänomen entwickelte, und ihre Creators zu Millionären machten, gelesen haben, um selbst noch anhand des inzwischen vierten (und erstmals computeranimierten) Films noch diverse Details wiederzuerkennen. Das New York hat die typischen Wassertanks aus Millers Hell’s Kitchen, die Verbrecher werden wie bei Daredevil an Laternenpfählen für die Polizei hinterlassen (obwohl dieses Detail bei Spider-Man geklaut ist), beim Sai denkt ohnehin jeder an Elektra, doch das schönste Wiedererkennen war für mich die “Footgang”, die natürlich an die Ninja-Vereinigung The Hand bei Miller erinnert. Daß seinerzeit, Anfang der 1980er, auch X-Men-Spinoffs wie The New Mutants (teilweise mal von Bill Sienkiewicz gezeichnet) sehr erfolgreich waren, sieht man ja schon an den im Titel prominent gefeatureten Teenage Mutants, auch wenn es hier weniger um unterschiedliche Superkräfte und pubertäre Liebeleien geht.
Ich persönlich habe mich nie besonders für die TMNT interessiert, habe glaube ich sogar in meiner Comicsammlung mehr Hefte von einer der Parodien der Parodie, den Radioactive Black Belt Hamsters (wegen der frühen Zeichnungen von Mike Dringenberg), und dieser Film wird daran auch nicht viel ändern. Ich bin auch mit zuwenig Hochachtung an das Thema herangegangen, und habe beispielsweise eher darüber nachgedacht, inwiefern die für den Nichtfachmann farblich noch am einfachsten unterscheidbaren Turtles diese Farbcodierung einerseits bei Tick, Trick und Track geklaut haben, andererseits aber auch eine Inspiration für die Teletubbies gewesen sein könnten. Aber zurück mit dem nötigen Ernst.
Nachdem der große Gegenspieler der Turtles, Shredder, wohl in Film 3 besiegt worden war, gibt es nun gleich zu Beginn einen mythischen Prolog, bei dem neue Feinde, 13 Monster und einige vor 3000 Jahren zu Stein verwandelte Kriegergeneräle, eingeführt werden. Was leider schon ein bißchen mühsam ist, und dann durch die 3000 Jahre alten Steinstatuen, die April O’Neal und ihr Freund Casey gleich darauf beim offenbar unsterblichen Multimillionär Winters abgeben, wie ein sehr kindgerechter Plot erscheint. Die Turtles sind mittlerweile etwas zerstritten, einzig der von Ratten-Yoda Splinter in den Dschungel geschickte Leo und der als “Nightwatcher” (schon aufgrund des Namens und der Rüstung wohl eine weitere Miller-Parodie, die ich hier nicht aufschlüssele) weiterhin für Recht sorgende Raffi zeigen weiterhin Heldenpotential, aber gleichzeitig auch eine sehr unterschiedliche Sensibilität, die die beiden auch wenig überraschend aufeinandertreffen lassen wird.
An dieser Stelle muß ich mal direkt nachfragen, für was für ein Publikum dieser Film eigentlich gemacht wurde. Erwachsene sind durch die mühsamen Scherze (Ein Turtle sagt zum anderen: “Das Monster sah aus wie deine Mutter”, Pointe kann man sich denken) und die Videospiel-Dramaturgie reichlich unterfordert, und generell nicht leicht für Computeranimationen, die nicht als Disney-Familienunterhaltung oder halbwegs subversive Schenkelklopfer à la Shrek deklariert sind, zu haben. Also dann doch wohl eher die pubertären männlichen Teenies. Doch denen wird einerseits eine April O’Neal geboten, deren Vorbau nicht von irgendwoher an Lara Croft erinnert, andererseits wird das Martial Arts-Thema hier derart jugendfrei abgehandelt, daß als Titel Hero Turtles wohl doch eher gepasst hätte. Wenn beispielsweise Raffi und Leo ihren vielleicht alles entscheidenden Kampf haben, dan werden die Waffen des einen schließlich im Kampf zerbrochen, und man braucht so den Unterlegenen kein Blut verlieren zu lassen. Gääähn!
Die interessanteste Figur des Films ist bezeichnenderweise eines der 13 Monster, genauergesagt das zwölfte, das nicht wenig wie Hellboy jr. aussieht, und im Gegensatz zu seinen Kollegen nicht riesengroß ist, sondern einfach eher nervtötend (wenn man es als Turtle bekämpfen muss) bzw. spaßig (wenn man es als Zuschauer betrachten darf). Abgesehen von der Stimme von Patrick Stewart (im Original Mr. Winters) war es das aber bereits an besonderen Vorkommnissen. Wie subtil der Film ist, zeigt dann abermals der Schluss-Song Shellshock, ach wie witzig. Da warte ich lieber auf meine bereits achte Comic-Verfilmung dieses noch jungen Jahres, Spider-Man 3.
Coming soon in Cinemania 48: Kinostarts Mai / Juni 2007:
Rezensionen zu aktuellen Kinostarts, darunter wahrscheinlich: Golden Door, Hot Fuzz – Zwei abgewichste Profis, Joe Strummer – The Future is Unwritten, The Namesake – Zwei Welten, eine Reise, Unbesiegbar – Der Traum seines Lebens …