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August 2005
Thomas Vorwerk
für satt.org

Sin City
USA 2005

Sin City (R: Robert Rodriguez, Frank Miller)

Sin City

Regie: Robert Rodriguez, Frank Miller, Comic-Vorlage: Frank Miller, Kamera & Schnitt: Robert Rodriguez, Musik: Robert Rodriguez, Graeme Revell, John Debney, Art Direction: Jeanette Scott, Set Decoration: David Hack, Jeanette Scott,, "Special Guest Director": Quentin Tarantino, Darsteller: Bruce Willis (Hartigan), Mickey Rourke (Marv), Clive Owen (Dwight), Rosario Dawson (Gail), Jessica Alba (Nancy Callahan), Brittany Murphy (Shellie), Jaime King (Goldie/Wendy), Josh Hartnett (The Man), Marley Shelton (The Customer), Elijah Wood (Kevin), Devin Aoki (Miho), Alexis Bledel (Becky), Benicio del Toro (Jackie Boy), Nick Stahl (Roark Jr.), Powers Boothe (Senator Roark), Rutger Hauer (Cardinal Roark), Michael Madsen (Bob), Michael Clarke Duncan (Manute), Carla Gugino (Lucille), Jude Ciccolella (Commissioner Liebowitz), Rick Gomez (Klump), Frank Miller (Priest), Nick Offerman (Shlubb), Makenzie Vega (Nancy, Age 11), Robert Rodriguez, Quentin Tarantino (Cameos in Hartigan bar scene), 124 Min., Kinostart: 11. August 2005

Nach seinen Erfahrungen Anfang der 1990er mit den Drehbüchern für Robocop II + III (und den üblichen nicht fertiggestellten Projekten) war Frank Millers Vertrauen an die Traummaschinerie Hollywood etwas ramponiert, und wenn man die letzten Filme gesehen hat, die von Millers Comics inspiriert waren (Daredevil, Elektra, ein bißchen Batman begins), würde er wahrscheinlich heute auch nicht besser auf diese seelenlose Geldmaschine zu sprechen sein.

Wenn da nicht Robert Rodriguez wäre, der nach einigen fruchtlosen Versuchen, Miller die Rechte für Sin City abzukaufen, einfach eine dreiseitige Sin City-Kurzgeschichte (The Costumer is always right, aus The Babe wore red and other stories, November 1994) auf eigene Faust und Kosten zunächst visualisierte, dann Miller zu den Dreharbeiten mit Josh Hartnett einlud und schließlich sein Jawort bekam - und nicht nur dies, sondern auch Millers Mitarbeit als Co-Regisseur. Den bereits Anfang 2004 realisierten Kurzfilm sieht man jetzt als Prolog des Langfilms …

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Frank Miller ließ bereits in seinen frühen Daredevil-Heften der 1980er eine Vorliebe für crime novels durchblicken, und erstaunlich viele Szenen dieser Marvel-Superhelden-Serie spielten in riesigen Räumen, die nur von den Lichtschlitzen beleuchtet wurden, die durch überdimensionierte Jalousien auf den Ort des Geschehens fielen. Nach mehreren Rangeleien mit den "großen zwei" Comic-Verlagen DC und Marvel (Millers Probleme mit vermeintlichen Autoritäten sind seinen Fans bekannt) erschuf Miller Anfang der Neunziger für den relativ kleinen Independent-Comic-Verlag Dark Horse (Hellboy, The Mask, Concrete) Sin City, eine Comicserie, die unregelmäßig zumeist in Miniserien erschien, und vor allem graphisch auffiel, denn wie in einer Konzentration der kontrastreichen Filmbilder des Film Noir lebten Millers Geschichten um die hartgesottenen Einwohner einer korrupten Großstadt, wie man sie zuletzt so erbarmungslos in den Fünfzigern in pulp magazines und den Romanen von Mickey Spillane (I, the Jury) dargestellt sah, von den innovativen schwarzweißen Designs, die an die Arbeiten von Alex Toth, Hugo Pratt, Will Eisner oder Jordi Bernet (diese und andere Comiczeichner bekommen im Nachspann des Films auch einen Special Thanks-Credit) erinnern, in ihrer stilistischen Kompromißlosigkeit aber noch darüber hinausgehen. Miller arbeitet mit negativen Flächen, Silhouetten, lässt die Dreidimensionalität seiner actiongeladenen Szenen in einer Flächigkeit verschwinden, die den Betrachter oft dazu zwingt, im zeichnerischen Kampf zwischen Schwarz und Weiß (hin und wieder aufgelockert durch eine symbolkräftige Zusatzfarbe) das Dargestellte erst einmal auszumachen.

In der Verfilmung, die sich nicht als Adaption, sondern als Übersetzung sieht (deshalb gibt es offiziell auch keinen Drehbuchautor, sondern nur die auf die Leinwand "übersetzten" Comic-Vorlagen Millers), findet man all jene visuellen Elemente wieder, die den Comic Sin City außerordentlich machen und für Miller typisch sind: Weitwinkel-verzerrte Draufsichten auf Treppenhäuser, wie Miller sie schon in Elektra lives again ausgiebig einsetzte, rote Turnschuhe oder den "yellow bastard" inmitten von Schwarzweißbildern, Silhouetten in Schwarz, Weiß und Schwarzweiß (bei Raumflächen, die aus Ziegeln oder Fliesen bestehen, und die abwechselnd das Baumaterial oder die Fugen schwarz oder weiß hervorstechen lassen) und sogar das Mosaik von Pflastern, das das übel zugerichtete Gesicht von Marv schmückt. Einzig Blut als Weißfläche inmitten einer dunklen Umgebung funktioniert im Film, der immer plastischer erscheint als die stilisierten Tintenflecke auf Papier, nicht ganz so gut, hat aber dennoch seinen visuellen Reiz.

Ein anderes Problem, das der Film hat, ist das Format der Vorlagen: drei abgeschlossene Geschichten mit unterschiedlichen Hauptfiguren, die zwar auf subtile Art miteinander verwoben sind, aber bis auf einige narrative Freiheiten im Film nacheinander und streng chronologisch erzählt werden. Dadurch, daß man es dabei auch noch mit vier unterschiedlichen Ich-Erzählern zu tun hat, die ihre jeweilige Mär in hard-boiled-Tradition aus dem Off an den Mann bringen, droht der Film auseinanderzufallen, eine Kürzung um etwa 20 Minuten hätte dem Material sicher gutgetan. Doch Miller und Rodriguez fanden, sie hätten schon genug gekürzt, in der DVD-Edition sollen dann die ursprünglichen Comics (die man der Vollständigkeit halber komplett gefilmt hat) ihre endgültige "Übersetzung" erfahren, man kann dann wahrscheinlich nebenbei mitlesen und wird kein Panel oder auch nur ein Wort vermissen …

Die drei Hauptgeschichten, aus denen der Film besteht, wurden als Comics unter den Titeln Sin City (April 1991 bis Mai 1992 in Dark Horse Presents, später gesammelt und von Miller in The Hard Goodbye umbenannt) The Big Fat Kill (November 1994 bis März 1995) und That Yellow Bastard (Februar bis Juli 1996) veröffentlicht und erzählen im Grunde allesamt unter einem unguten Stern stehende Liebesgeschichten zwischen schweren Jungs und leichten Mädchen.

Hartigan (Bruce Willis), der "letzte ehrliche Cop" in Sin City (aka "Basin City"), will vor seiner Pensionierung noch die elfjährige Nancy retten, die von dem psychopathischen Senatorensohn Rourk jr. verschleppt wurde, der zuvor bereits drei junge Mädchen gefoltert, vergewaltigt und getötet hat, aber wohl auch diesmal straflos ausgehen würde, wenn Hartigan sich nicht von seinen Herzanfällen und den lieben Kollegen von der Ausführung seines letzten Jobs behindern lässt.

Marv (Mickey Rourke), der so hässlich ist, daß er sich (körperliche) Liebe nicht einmal kaufen kann, erlebt mit Goldie (Jaime King), einer göttlichen Frau, die "riecht wie ein Engel", eine Liebesnacht, die sein Leben umkrempelt. Vor allem deshalb, weil er Goldie beim Aufwachen tot neben sich im Bett findet und er sich auf die Suche nach dem Mörder macht - koste es, was es wolle.

Dwight (Clive Owen) ist der neue Liebhaber der mit dem Frauenschläger Jackie Boy (Benicio del Toro) verbändelten Shellie (Brittany Murphy), und bringt diesem erstmal Manieren bei. Doch Jackie Boy und seine vier nicht weniger unberechenbaren Kumpel machen sich danach einigermaßen frustriert nach "Old Town" auf, jenen Stadtteil, in dem die Prostituierten ihr eigenes Gesetz schreiben. Durch einen unglücklichen Zwischenfall wird ein Bandenkrieg angezettelt, den Dwight für seine wahre (Old Town-)Liebe Gail (Rosario Dawson) zu verhindern versucht - in einem Auto mit fast leerem Tank und einem Kofferraum voller Leichenteile, aber mit der Hilfe der ebenso leisen wie tödlichen Mio (Devin Aoki), einer wortlosen japanischen Elektra-Nachfolgerin.

Beim Casting fällt neben der halbnackten Riege junger Darstellerinnen (im Film kommen die ganzen tits and asses natürlich noch pin-up-mäßiger rüber als im Comic, aber Frauenrechtlerinnen seien darauf hingewiesen, daß immerhin fast alle weiblichen Figuren positiv gezeichnet sind - und zwei oder drei von ihnen sind nicht einmal Prostituierte oder Striptease-Tänzerinnen …) vor allem auf, daß die drei männlichen Hauptfiguren allesamt schon etwas älter sind, wobei der abgehalfterte Mickey Rourke sicher den Vogel abschießt, als Marv aber glänzt wie wahrscheinlich nie zuvor in seiner Karriere. Bei den Bösewichten gibt es neben den üblichen Gaunervisagen (Powers Boothe, Rutger Hauer mit Brando-Glatze) hingegen vor allem die gutaussehenden jungen Darsteller wie Elijah Wood und Josh Hartnett zu sehen, der Höhepunkt wäre in dieser Hinsicht wohl Leonardo DiCaprio gewesen, der ursprünglich den Rourk jr. hätte spielen sollen (jetzt Nick Stahl, bekannt aus Terminator III). Ähnliches haben wir aber schon öfter bei Rodriguez erlebt, und Sin City ist nicht nur in dieser Hinsicht die Weiterführung von Spy Kids 3D (Elijah Wood als "The One"). Der wieder fast ausschließlich mit Green Screen-Technologie hergestellte Sin City kann von den vorherigen Erfahrungen seines Regisseurs nur profitieren, flüssiger als in Sky Captain and the World of Tomorrow wirken die Bilder hier allemal.

Kurz erwähnen könnte man neben dem sehr gelungenen Vorspann (Comicbilder neben den Namen der Darsteller, die zumindest Leser des Comics sich so schon früh in den Film hineindenken können) noch, daß Rodriguez wie üblich wieder diversen Filmschaffenden einen Job vorenthalten hat und Musik, Kamera, Schnitt selbst übernommen hat ("shot and cut by Robert Rodriguez"), sich aber neben dem Co-Regisseur Miller (der auch noch eine Sprechrolle übernommen hat) noch einen "Special Guest Director" gegönnt hat. Sein alter Kumpel Quentin Tarantino (From Dusk Til Dawn, Four Rooms) hat für einen Dollar auch mal einen Tag lang die HD-Kamera ausprobiert und eine Szene inszeniert, die zu den besten des Films gehört. Natürlich ist es ein Gespräch in einem fahrenden Auto, und zwar zwischen Clive Owen und Benicio del Toro. Außerdem hat Tarantino neben einer Cameo Appearance noch einige Props ausgeliehen: Die Schwerter aus Kill Bill, die bei ihm in der Garage lagen, kommen in Sin City erneut zum Einsatz.

Neben dem leichten Hänger in der Mitte des Films aufgrund der Filmlänge, und den 1:1 aus den Comics übernommenen Gewaltverherrlichungen und politischen Unkorrektheiten ("She’s a dyke, but God knows why. With a body like that she could have every man.") kann ich nur wenig am Film aussetzen, einzig an Brittany Murphys quietschige Stimme kann ich mich nicht gewöhnen, aber das war wohl Absicht …