|
Bildmaterial © MFA+
FilmDistribution e.K
|
Antichrist
(R: Lars von Trier)
Dänemark / Deutschland / Frankreich / Schweden / Italien / Polen 2009, Buch: Lars von Trier, Kamera: Anthony Dod Mantle, Schnitt: Anders Refn, Production Design: Karl Júlíusson, Art Direction: Tim Pannen, mit Willem Dafoe (Er), Charlotte Gainsbourg (Sie), 109 Min., Kinostart: 10. September 2009
Wenn der Filmtitel auf der Leinwand zu sehen ist, und anstelle des letzten Buchstaben jenes Symbol für das weibliche Geschlecht prangt, das den Spiegel der Athene darstellt und auch das Logo der Emma ziert, ahnt man schon einiges.
Im komplett schwarz-weiß und in Zeitlupe gehaltenen Epilog sieht man dann drei kleine Statuetten (nicht unähnlich den Oscars aber ein wenig kleiner und silbern), auf deren Sockel man die Worte „Grief“, „Fear“ und „Despair“ liest (also Trauer, Furcht und Verzweiflung), und selbst bei geringem Vorwissen über Lars on Trier verdichtet sich ein schlimmer Verdacht. In Abwandlung eines Zitats des Drill Instructors aus Full Metal Jacket könnte man sagen: „Ich habe nicht gewusst, dass man Symbolismus so hoch stapeln kann.“
Wenn dann gut anderthalb Stunden später die Abspanntitel über die Leinwand laufen, erfährt man, wieviele Personen für Recherchearbeiten zuständig waren. Recherche über Misogynie, Recherche über Mythologie, Recherche über den Horrorfilm. Was man aber vermissen könnte, ist jemand, der (oder besser: die wie Mehrzahl) dafür zuständig war, den Begriff der Filmkunst zu recherchieren. Doch in dieser Hinsicht fand sich der Regisseur, der seinen Größenwahn ja schon durch den selbstgewählten Namenszusatz „von“ (nach Erich von Stroheim) vor langer Zeit proklamiert hat, selbst ausreichend vorgebildet. Ein verhängnisvoller Trugschluss.
Es scheint, als hätte sich von Trier an ehemaligen „Skandalfilmen“ orientiert, die jeweils mit etwas Verspätung als Filmklassiker erkannt wurden, an einige Bergman-Filme inkl. Das Schweigen oder Mishimas Reich der Sinne, und sein Hauptanliegen war wohl, dem „noch eins draufzusetzen“. Der Provokation war der Däne nie abhold, doch bisher konnte man selbst in seinen fragwürdigeren Werken (zuletzt etwa Manderlay) immer auch einen tieferen Sinn erkennen. Doch Antichrist ist im Grunde genommen der Bastard zwischen Kunstkino und Horrorfilm, als hätte man Tarkowskij gezwungen, Hostel IV zu drehen, oder Kurosawa, ein Remake von The Evil Dead zu erschaffen. Nur halt mit der strengen Vorgabe, dass weder die Intellektuellen noch die Horrorfans (und auch nicht die Schnittmenge dieser Gruppen) abgesehen vom Wiedererkennen unzähliger Motive einen Nutzen oder Sinn in dem Film finden werden. Außer natürlich: Provokation um der Provokation willen.
Der Film hat auch einige (durchaus prominente) Verteidiger, doch ich muss sagen, selbst ein profunder Interpretationsversuch ändert für mich nichts daran, dass Antichrist (den mancher als „Tragikomödie“ einstuft) für mich einfach nur plump und holprig wirkt, die Therapiesitzungen und sonstigen Dialoge zwischen Dafoe und Gainsbourg sind aus meiner Sicht unfreiwillig komisch und peinlich (zur Verteidigung des Films kann ich hier immerhin einbringen, dass man uns mal wieder die Synchronfassung gezeigt hat). Und wer die märchenhaften Bilder des teutonischen Ur-Waldes von Anthony Dod Mantle über den grünen Klee lobt, dem möchte ich erwidern, dass ich bisher noch keinen von-Trier-Film erlebt habe, der so gelackt wirkte. Robby Müllers „God’s Eye“-Kapitelbeginne in Breaking the Waves waren verglichen hiermit kolossal, selbst der plakative Farbeinsatz in Europa hat teilweise wenigstens Spaß gemacht. Spaß macht Antichrist zu keinem Moment (selbst dann nicht, wenn man lauthals lacht und andere Zuschauer sich wundern, worüber). Jemand wie Jörg Buttgereit hat vielleicht Spaß daran, die diversen Ehrerweisungen an die Geschichte des Horrorfilms zu erkennen (diesen Spaß kann ich noch halbwegs nachvollziehen), aber der Film ist eine ziemliche Tortur, und das Positivste, was ich darüber sagen kann, ist, dass ich ihn mir vielleicht nochmal in 20 oder 30 Jahren anschauen werde, um meine jetzige Reaktion mit der zukünftigen (und der veränderten Filmlandschaft) abzustimmen. Ich bin filmmäßig einiges gewohnt, aber selbst bei Filmen wie Lukas Moodyssons A Hole in my Heart oder Container, die auch viele Zuschauer überfordern, habe ich sehr viel mehr Input erkannt. Ein Film wie Mike Leighs Naked weckt in mir auch nicht den Wunsch, ihn gleich ein zweites Mal zu sehen, doch bei Leighs Tour-de-Force erkennt man die Qualität, bei Antichrist ist man einfach nur abgenervt und angeödet. Vor allem, wenn dann das Trio „Grief“, „Fear“ und „Despair“ am Schluss des Films auch noch einen gemeinsamen Sinn ergibt. Wenn David Lynch statt Therapie lieber Filme macht, so ist man darüber als Zuschauer dankbar, doch Lars von Trier hätte seine Depression dann doch lieber auf der Couch kurieren sollen und nicht im Regiestuhl (wenn das zumindest ihm geholfen hat, hätte der Film noch einen - wenn auch geringen - Nutzen gehabt).