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3. März 2010 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||
Alice im Wunderland
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Bildmaterial © Disney Enterprises Inc. |
Doch widmen wir uns erst mal dem Drehbuch, bevor wir die Effekte loben. Lewis Carrolls zwei Alice-Bücher zeichnen sich nicht unbedingt durch eine gut handlungsorientierte Narration aus. Die Abenteuer der kleinen Alice erinnern nicht von ungefähr an Traumlogik, Carroll konzentrierte sich sehr auf Spielereien mit der Sprache oder legte etwa Through the Looking Glass so an, dass sich die komplette Handlung an ein Schachspiel anlehnt. Das ist teilweise für Akademiker interessanter als für Kinder. Drehbuchautorin Linda Woolverton (meines Wissens nicht verwandt mit Basil) ist eine Expertin für Kinderserien und Disney-Filme. Sie kombinierte gleich mehrere produktionstechnische Ansprüche an den Stoff. Zunächst einmal benutzte man den alten Kniff von Steven Spielbergs Hook und ließ die Hauptfigur altern. Dann braucht man sich weniger mit Kinderdarstellern herumärgern, die bekanntlich nur soundso viele Stunden am Tag arbeiten dürfen und auch nicht immer alles im ersten Take perfekt hinbekommen. Somit spielt die Handlung von Alice in Wonderland im Film 13 Jahre später, Alice ist jetzt 19 (für ein erwachsenes Publikum auch ansprechender) und soll in einer (ziemlich überflüssigen) Rahmenhandlung gerade verlobt werden (der Verlobte erinnert sehr an das weiße Kaninchen und zwei Bekannte von Alice mit vielsagendem Familiennamen Chattaway nehmen bereits Tweedledee und Tweedledum vorweg), und auf der Flucht vor dieser Verlobung landet sie wieder im Wonderland, wo die früheren Abenteuer als gegeben angenommen werden, Alice aber das meiste vergessen hat und so einige Erlebnisse einfach erneut durchlebt. Die Bewohner des Wonderland (oder "Underland") beäugen sie dabei und sind sich nicht sicher, ob das "ihre" (6jährige) Alice ist.
Dieser Kunstgriff, den man auch (besser!) in der Sandman-Storyline A Game of You um "Prinzessin Barbie" erleben konnte, hat einige entscheidende Vorteile: Man kann jetzt einfach aus den beiden Alice-Büchern übernehmen, was gefällt, und rausstreichen, was man nicht so gut findet. Der Herzkönig war immer etwas langweilig, man bastelt sich also einen virileren Ritter draus, zwischendurch erzählte Geschichten lenken nur ab, Zugfahrten und Gerichtsverhandlungen sind visuell uninteressant, fliegt alles raus. Dass Alice so sehr weint, dass es eine Überschwemmung gibt, ist auch irgendwie blöd und passt bei einer 19jährigen nicht, also weg damit. Alles, was abgedreht oder visuell interessant ist, darf bleiben, und wird ein wenig umarrangiert. Dass die Herzkönigin (aus Alice in Wonderland) aus einer Spielkarte entstand, die White Queen (aus Through the Looking Glass) hingegen von einer Schachfigur inspiriert wurde, ist nicht so wichtig, man schmeißt einfach die schwarzen (Schach-)Figuren aus dem Spiel und lässt weiß gegen rot antreten. Dass das Ganze eine halbwegs nachvollziehbare Handlung haben soll, ist das größte Problem des Films, denn diese Handlung ist nun ein uninspirierter Fantasy-Mischmasch, bei dem Alice in Ritterrüstung (wie Joan of Arc) gegen den bösen Jabberwocky antreten muss (bei Grals-Geschichten hat Terry Gilliam irgendwie ein sichereres Händchen), und die Armeen von Schachfiguren und Spielkarten (insbesondere letztere übrigens sehr schön gestaltet) sich auf dem Schlachtfeld (natürlich kariert) bekriegen, als sei man in Narnia (aus der bei Carroll kurz auftauchenden Maus wird bei Frau Woolverton ein Fechtexperte!!) oder Middle-Earth.
Und als gäben die Bücher von Lewis Carroll nichts her, stützt man sich auch arg auf den Film The Wizard of Oz (Judy Garland war damals auch schon kein kleines Mädchen und musste ihren Brüste mit Verband verstecken), aus dem man den Übergang ins "Traumland" übernimmt (Öffnen einer Tür, vergleiche auch Spielbergs War of the Worlds), die (bei Burton sehr vage) Verbindung zur Rahmenhandlung und schließlich sogar die roten Schuhe, die hier in Gestalt des Bluts des Jabberwockys auftauchen: "Will this take me home?"
Dummerweise ist es wohl möglich, ein Nonsens-Buch für die Verfilmung mit konventioneller Handlung vollzustopfen, und am Ende ist das Produkt noch unsinniger als zuvor. Der besprochene Film liefert den Beweis.
Wer sich an solchen Details nicht stört, bekommt immerhin auch viele positiv anzumerkende Details geboten: Helena Bonham Carter ist ein Ereignis (ihr Make-Up auch), die Froschlakaien sind drollig, die Cheshire Cat räkelt sich fliegenderweise, dass es eine Freude ist, die blaue Raupe überzeugt schon allein durch die Stimme Alan Rickmans (spricht der eigentlich Hörbücher? Würde ich mir glatt kaufen!), und irgendwo am Rande sieht man auch mal die "Rocking Horse Fly" (übersetzt etwa Schaukelpferd-Bremse), die auch schon als Tenniel-Illustration überliefert ist. Meiner bescheidenen Meinung nach reicht dies aber nicht als Anlass, eine Kinokarte zu erwerben. Der enttäuschendste Burton-Film seit Planet of the Apes, und mindestens genauso überflüssig.
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